Interview mit Rya Kühn: „Ich brauche manchmal Anschub“

Rya Kühn ist 80 und fordert, dass Kultureinrichtungen mehr für Senioren tun. Von älteren Menschen wünscht sie sich mehr Unternehmungslust.

Interview mit Rya Kühn: „Ich brauche manchmal Anschub“
Foto: David Young

Düsseldorf. Eine Zeit lang hat Rya Kühn an Auszug gedacht. Die heute 80-Jährige war damals ja in erster Linie wegen ihres Mannes in die Seniorenresidenz Grafenberger Wald gezogen. Als er erkrankte, folgte das Ehepaar Kühn dem Rat des Arztes und suchte sich eine Wohnung in einer Einrichtung mit Fachkräften. Viele Jahre kümmerte sich Rya Kühn um ihren Mann, Hilfe nahm sie nur sehr selten in Anspruch. Den Eheleuten gelang das Kunststück, die Herausforderungen, welche die Pflegebedürftigkeit an sie stellte, auf eine harmonische Zweisamkeit zu betten. Sie hatten in all den Jahren ihres Zusammenlebens aus der Vielzahl gemeinsamer Erlebnisse ein Gerüst geschaffen, das sie jetzt trug.

Die kulturellen Erfahrungen spielten dabei eine wichtige Rolle. Die frühere Wirtschaftsberaterin und der Altphilologe hatten ein Opernabo, besuchten Theatervorstellungen und Konzerte. Rya Kühn wurde Mitglied im Seniorentheater Seta und wirkt dort nach wie vor aktiv mit. Im Wohnheim engagiert sie sich im Beirat und wundert sich manchmal ein wenig darüber, dass ihre früher einmal so kulturinteressierten Mitbewohner heute häufig lieber daheim bleiben, als in die Tonhalle oder in die Komödie zu gehen. Es könnte damit zu tun haben, meint sie, dass man nicht mehr so kann wie früher. Aber auch die Kultureinrichtungen könnten es ihrem Publikum in Seniorenalter leichter machen, findet sie.

Frau Kühn, wie häufig besuchen Sie ein Theater oder die Oper?

Rya Kühn: Einmal im Monat, meist mit einer Bekannten. Sie ist 87 Jahre alt, aber immer noch unglaublich agil.

Wie kommen Sie zum Veranstaltungsort und wieder zurück nach Hause?

Kühn: Mit der Straßenbahn, die Anbindung hier am Staufenplatz ist ja sehr gut. Nach der Vorstellung nehme ich mir aber auch manchmal ein Taxi, denn abends wartet man ziemlich lange auf die Bahn. Ein Taxi kann sich jedoch nicht jeder leisten, was die Hemmschwelle noch erhöht: Ältere Menschen gehen abends grundsätzlich nur sehr ungern aus dem Haus.

Die Uhrzeiten der meisten Vorstellungen liegen demnach für Senioren ungünstig?

Kühn: Ja. Wenn es ein Nachmittagsangebot gäbe, wäre das viel besser. Das Traumkino mit seinen 11-Uhr-Terminen zum Beispiel ist perfekt.

Das Theater an der Kö bietet zu jedem neuen Stück auch eine Nachmittagsaufführung extra für Senioren an. Wird dieses Angebot genutzt?

Kühn: Ich wusste das gar nicht, werde das aber sofort notieren. Da haben wir es wieder: Uns fehlen einfach die Informationen. Viele ältere Menschen kennen die Seniorenangebote der Kultureinrichtungen nicht. Das erlebe ich immer wieder. Im Alter braucht man präzise Angaben, um sich zurechtzufinden.

Wo genau liegt das Problem?

Kühn: Die meisten älteren Menschen sind körperlich nicht mehr fit, viele sind auf einen Rollator oder eine Gehhilfe angewiesen. In den Theatern oder in der Oper kennen sie sich gar nicht oder nicht mehr aus. Dann ist allein die Furcht davor, dass man eventuell Treppenstufen überwinden muss oder den Aufzug nicht findet, schon so groß, dass man den Ausflug gar nicht erst antritt. Man müsste Gewissheit haben, dass es vor Ort jemanden gibt, der hilft.

Aber es gibt doch Unterstützung. In der Oper zum Beispiel stehen Mitarbeiter bereit.

Kühn: Das weiß doch niemand. Na ja, vielleicht ist es auch ein bisschen meine Aufgabe als Beirat hier im Wohnheim, solche Auskünfte weiterzutragen. Schön wäre, wenn die Kultureinrichtungen ihre Angebote ins Haus schickten, so dass wir sie aushängen können. Noch besser wäre es allerdings, wenn Vertreter der jeweiligen Kultureinrichtung einmal im Jahr zu uns kämen, um ihr Programm vorzustellen. Aber natürlich muss bei den älteren Leuten auch der Wille, etwas zu unternehmen, vorhanden sein.

Und der fehlt?

Kühn: Ja, häufig schon. Das gilt sogar für Veranstaltungen im Haus und für Ausflüge, die wir mit Fahrdienst organisieren. Wir sind kaum losgefahren, da heißt es schon: Wann sind wir wieder zu Hause? Dabei haben wir hier viele Bewohner, die früher Oper- oder Theaterabonnenten waren. Aber — so schön man sich die Zerstreuung vorstellt — man mag von seinem geregelten Tagesablauf nur ungern abweichen. Ich glaube, das hat mit dem fortgeschrittenen Alter zu tun.

Spüren Sie bei sich selbst auch diese Zurückhaltung?

Kühn: Ja, früher als mein Mann so krank war und mich nicht mehr begleiten konnte, bin ich alleine zu Konzerten und ins Theater gegangen. Heute fehlt mir manchmal der Impuls, etwas zu unternehmen. Ich brauche Anschub und gehe lieber in Begleitung aus. Man ist im Alter einfach auch schneller müde. Das ist auch ein Problem bei Museumsbesuchen.

Weil es dort keine Möglichkeiten zum Ausruhen gibt?

Kühn: Ja. Als wir zum Beispiel die Gursky-Ausstellung im Museum Kunstpalast besucht haben, war es dort sehr voll. Es gab nur wenige Sitzgelegenheiten, und die waren besetzt. Daraufhin haben einige von uns die Ausstellung nicht einmal zur Hälfte angeschaut. Sie haben sich ins Foyer oder draußen vor die Tür gesetzt und gewartet, bis wir wieder abfuhren.

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