Mahn- und Gedenkstätte Geschichte spielt auch im Nachbarhaus

Seit einem halben Jahr spürt die neue Dauerausstellung der Mahn- und Gedenkstätte dem Nazi-Unrecht sehr lokal nach. Mit Erfolg.

Mahn- und Gedenkstätte: Geschichte spielt auch im Nachbarhaus
Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Bastian Fleermann konnte nicht sicher sein, ob nicht eine Welle von Gefühlen seine ausgezeichnete Ausstellung wegspülen würde. Details können so groß werden, wenn die Biografie eines geliebten Menschen der Öffentlichkeit offenbart wird. Gefühle erlebte der Leiter der Mahn- und Gedenkstätte nach der Eröffnung der neuen Dauerausstellung viele.

Mahn- und Gedenkstätte: Geschichte spielt auch im Nachbarhaus
Foto: Sergej Lepke

Er begegnete Söhnen, die das schicksalsschwere Denkmal ihrer verstorbenen Mutter zutiefst rührte. Traf eine Familie, die es mit fast kindlichem Stolz erfüllte, dass der Vater, der so viel mitgemacht hatte, jetzt zu einer Berühmtheit geworden ist. Jedoch mündete keine noch so starke Emotion in Kritik oder Vorwürfe, wie es viele andere Einrichtungen erfahren, die sich mit den Biografien von Opfern der Nationalsozialisten auseinandersetzen. „Das“, sagt Fleermann, „empfinde ich als große Anerkennung unserer Arbeit.“

Vor gut einem halben Jahr hat die neue Mahn- und Gedenkstätte in der Mühlenstraße 29 eröffnet. Mit Festakt, Prominenz und viel Tamtam. „Das haben wir genossen“, gibt Fleermann zu. „Wir hatten das Projekt fünf bis sechs Jahre vor Augen. Da war es schön für das ganze Team zu sehen, dass es so geworden ist, wie wir es konzipiert haben.“

„Das Projekt“ meint nicht nur das erweiterte und sanierte Gebäude des Kulturinstituts, sondern vor allem die neue Dauerausstellung „Düsseldorfer Kinder und Jugendliche im Nationalsozialismus“. Die Schau ist deswegen etwas Besonderes und in ihrer Differenziertheit bundesweit vielleicht sogar einmalig, weil sie durch ihren lokalen Bezug dem Besucher konkrete Schicksale vor Augen führt, ohne dass die großen Themen dahinter verblassen.

Deportation, Gewalt, Mord, Hilfe, Widerstand werden an der Mühlenstraße nicht als historische Befunde präsentiert, sondern sind ablesbar an den oft viel zu kurzen Lebenswegen junger Menschen, denen Düsseldorf einst Heimat war. „Wenn ich Schülern sage, dieser Mann oder diese Frau lebte in Bilk, dann wird es plötzlich ganz still“, sagt Fleermann. „Sie verstehen, dass die Geschichte auch in unserer Stadt spielt. Dass ganze Familien betroffen sind, die einst im Nachbarhaus lebten. Wir erklären Stadtgeschichte so konkret wie möglich. Wer den Nationalsozialismus in seiner Ganzheit erklärt haben möchte, der ist hier falsch.“

Stattdessen blickt man in die strahlenden Augen der kleinen Ally. Ein Familienfoto zeigt, wie sehr sie geliebt wird, wie unbeschwert sie an der Camphausenstraße in Pempelfort aufwächst. 1943 wird Ally ermordet, Nazi-Ärzte verabreichen dem damals fünfjährigen Mädchen ein schweres Narkotikum. Menschen mit Down-Syndrom sollten nicht leben.

Jedoch hat Allys traurige Geschichte ein hoffnungsvolles Pendant: Tom Katz. Seine Biografie wird gleich gegenüber erzählt. Der jüdische Junge wird zur selben Zeit in Düsseldorf groß. Er wohnt in der Grunerstraße, gar nicht mal so weit weg von Allys Zuhause.

Als der Naziterror um sich greift, flieht seine Familie in die Niederlande — und überlebt, weil andere Menschen ihr zur Seite standen. „Man fragt sich, wo ist der Punkt, an dem sich die einen entscheiden, KZ-Arzt zu werden und die anderen, Leben zu retten?“ fragt Fleermann. „Zu solchen Überlegungen wollen wir anregen.“

Seit Oktober 2014 bis heute zählte die Mahn- und Gedenkstätte 21 000 Besucher. „Wir waren ja auch vor der Eröffnung der neuen Dauerausstellung im Mai aktiv“, sagt Fleermann. Am Vormittag kommen die Schulklassen, am Nachmittag die Erwachsenen und Familien mit Kindern. Für Auszubildende von Stadt und Polizei soll der Besuch der Mahn- und Gedenkstätte bald fester Programmpunkt sein.

Und es kommen die Touristen, die nach englischen Audioguides verlangen. „Wir liegen einfach ideal“, sagt Fleermann. „Erstens in der Altstadt, zweitens nahe an großen Museen wie Kunstsammlung und Kunsthalle. Einen Besuch dort und bei uns kann man gut miteinander verbinden.“

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