Fast eine Stunde lang vibriert im Tanzhaus die Luft

Choreografin Alexandra Waierstall präsentiert die Uraufführung ihrer Produktion „In fluid times“.

Düsseldorf. Noch tanzt der dunkelhäutige Streetdancer geschmeidig sein Solo. Vier Personen kommen auf ihn zu, formen einen Halbkreis. Der Junge blickt zu Boden. Dann hebt er seinen Kopf, durchbricht das Halbrund und geht einfach.

In Alexandra Waierstalls neuer Produktion "In fluid times" vibriert fast eine Stunde lang die Luft. Wie "Flüssige Zeiträume", wie im Traum, verschwimmen die Bilder. Dabei sind Szenarien und Gesichter niemals eindeutig. Alles ist möglich: Gewalt, Zuwendung, Gleichgültigkeit.

Es gibt mehr als genug Tanzstücke über Identität und Kollektiv. Die Arbeit der jungen, bereits international ausgezeichneten Düsseldorfer Choreografin aber, uraufgeführt im Tanzhaus NRW, hebt sich deutlich ab von den zahllosen Versuchen, das Verhältnis von Individuum und Gruppe auf der Bühne zu verhandeln. Alexandra Waierstall choreografiert nicht, sie komponiert:

Die Folie am Boden, die im Licht wie Wasser schimmert, das Unter-Wasser-Video im Hintergrund, der vage Elektro-Sound und die mit geometrischer Präzision geführten Nachtgestalten - alles zusammen erzeugt einen rauschhaften Sog. Ein Gaze-Vorhang trennt eine Gruppe vom einsam tanzenden Individuum. Zwischen Freund- und Feindschaft gleiten die zwei Frauen und drei Männer durchs Halbdunkel. Wenig konkrete Situationen entstehen, vieles ist Andeutung, Ahnung.

Stimmungen und Situationen wirken so glaubwürdig, weil sie tief empfunden sind. Alexandra Waierstall ist Tochter einer zypriotischen Choreografin und eines Wuppertalers. Erst seit acht Jahren lebt sie zwischen Düsseldorf und Nicosia/Zypern. Mit der Teilung des Landes, mit Grenzen und dem Gefühl von Fremdheit ist sie aufgewachsen.

Deshalb spürt man das Erlebte in ihren Figuren und Bildern, denen etwas mehr Dynamik aber gut täte. Das Erwachen aus dem Traum geschieht im buchstäblich fließenden Übergang: Das Video-Wasser prasselt als realer Regen vom Bühnenhimmel. Die Tänzer blicken frontal ins Publikum in stummer, humanistischer Erkenntnis: Wir sind doch alle nur Menschen.

Tanzhaus NRW, Dienstag, Karten: 0211/1727 0-0.

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