Serie – Kunst im öffentlichen Raum Eine Körperskulptur wie ein Berg zum Klettern

Düsseldorf · Serie – Kunst im öffentlichen Raum Seit 1970 liegt die Bronzeskulptur von Henry Moore, ein Beispiel von Weltkunst, im Hofgarten.

 Die Plastik „Two-Piece Reclining Figure: Points“, auch „Liegende“ genannt, von Henry Moore im Hofgarten wird gerne auch mal zum Klettern benutzt.

Die Plastik „Two-Piece Reclining Figure: Points“, auch „Liegende“ genannt, von Henry Moore im Hofgarten wird gerne auch mal zum Klettern benutzt.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Henry Moore (1898 – 1986) gilt als wichtigster Bildhauer der Nachkriegszeit. Der British Council schickte seine Werke seit 1949 auf Reisen. 63 tonnenschwere Plastiken landeten in Lastwagen über Brüssel, Paris und Amsterdam in Hamburg und Duisburg. Bei der zweiten Welle war 1968 auch Düsseldorf dabei. Die hiesige Kunsthalle feierte Moores 70. Geburtstag, und Kunsthallenchef Karl Ruhrberg verglich „die Vaterfigur“ der Bildhauerei mit Picasso in der Malerei. Im Zuge dieser Euphorie kam auch „Two Piece Reclining Figure: Points“ („Die Liegende“/1969/70) als Bronzeskulptur in den Hofgarten.

Henry Moore hat den Standort sehr bewusst ausgesucht

Die 1960er Jahre werden in Düsseldorf von Gilbert Just (SPD) als Oberstadtdirektor bestimmt. Just kämpfte als Heine-Freund dafür, die 1965 gegründete Universität Düsseldorf nach Heine zu benennen, wogegen sich die Hardliner wehrten. Justs Ruhm für die Nachwelt liegt darin, dass er die Stadtsparkasse Düsseldorf dazu brachte, die Bronze-Skulptur der „Liegenden“ anzukaufen. Sie gilt als wichtigstes Werk im öffentlichen Raum der Stadt, die so wenig Hochkarätiges aufzuweisen hat.

Die Düsseldorfer lieben dieses Kunstwerk. Sie nehmen es selbstverständlich und daher oftmals auch respektlos an. Menschen hocken auf dem Podest und trinken Bier. Kinder toben auf ihr herum, als sei es ein Turngerät, das man überspringen muss. Erklärt man den Erwachsenen, sie sollten doch besser auf ihren Nachwuchs im Angesicht dieser Kostbarkeit achten, erhält man böse Blicke. Spricht man Ordnungshüter bei ihrem Spaziergang durch den Hofgarten auf dieses Dilemman an, wird man beschieden, das Bürgerbüro zu kontaktieren. Diese Inbetriebnahme der Skulptur führte dazu, dass sie für viel Geld generalüberholt werden musste, weil Teile zerbrochen waren.

Immer wieder meinen Politiker, die Skulptur sollte an einem geschützteren Ort installiert werden. Das darf jedoch nicht sein, denn Henry Moore hat den Standort sehr bewusst ausgesucht. Das liegt an seinem Kunstkonzept. Die Komposition ist zweigeteilt, damit der Spaziergänger über Knie und Brüste hinweg in den Park schaut. „Ich begriff, welchen Vorteil eine zweiteilige Komposition haben würde, um Figuren mit Landschaft in Beziehung zu setzen“, soll er gesagt haben. Das Werk ist in einer 7er-Edition bei Noack in Berlin gegossen und gehört der Stadtsparkasse.

Henry Moore erhielt sein Leben lang öffentliche Aufträge. Allein in Deutschland stehen 22 Objekte auf Plätzen und in Parkanlagen. Schon 1958 hatte er die erste seiner Liegenden für die Unesco aus Stein schlagen lassen. 1961 wurde eine „Liegenden“ von 1956 im Hansaviertel Berlin vor der Akademie der Künste gefeiert. Der Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt sorgte dafür, dass „Large Two Forms“ nach Deutschland kam. Seit 1979 steht sie in Bonn vor dem ehemaligen Bundeskanzleramt und tauchte regelmäßig im Fernsehen auf, bevor die Regierung nach Berlin abwanderte. Sie galt seinerzeit als Symbol der deutschen Spaltung.

Der Brite zog mit seinem Werk wie ein Triumphator durch Europa. Er erhielt schon 1948 den großen Bildhauerpreis auf der Biennale von Venedig und nahm seit 1955 gleich viermal an der Documenta in Kassel teil. Kein Künstler der Moderne ist so oft berufen und geehrt worden wie er. So ernannte ihn die Akademie in Carrara zum Professor, aus „Liebe zum Marmor“. Und der belgische Tierschutzverein Grolimont machte ihn zum Ehrenmitglied, weil der „Hohlraum-Plastiker“ für Nistplätze zum Wohle der heimischen Vogelwelt sorgte. In Düsseldorf empfing er das „Große Verdienstkreuz mit Stern“ der Bundesrepublik. Nur die Erhebung in den Adelsstand lehnte er ab, weil er von seinen Mitarbeitern nicht als „Sir Henry“ angesprochen werden wollte.

Nun macht es der Brite mit seinen Freiluft-Darbietungen den Deutschen im Nachkriegs-Deutschland auch leicht, die moderne Kunst zu akzeptieren. Traditionstreue Mäzene wie kunstfremde Politiker können ihn akzeptieren, weil die naturnah stilisierten Werke vergleichsweise vertraut wirken. Sein Bestreben, die Natur und den menschlichen Körper ästhetisch miteinander zu vereinen, wird von Befürwortern wie von Gegnern, die es in den 1960er Jahren noch zu Hauf gab, akzeptiert.

Seine Neuerung bestand darin, die Grenzen des Körpers durch Löcher, Durchbrüche und Aushöhlungen aufzubrechen. Denn nur so ließ sich der Außenraum in seine Objekte holen. Die „Liegenden“ sind das beste Beispiel dafür, Raum und Material, Figur und Abstraktion, biomorphe Gestalt und Landschaft zu vereinigen.

Ein Kuriosum zum Schluss: 1977 war sein Einkommen so beträchtlich, dass er 97 Prozent davon, etwa eine Million Pfund, an Steuern hätte zahlen müssen. So gründete er eine gemeinnützige Stiftung, um seine Skulpturen zu erhalten und öffentlich zu zeigen. Nach seinem Tode am 31. August 1986 ließ seine Familie nicht etwa ein dreidimensionales Werk in die Krypta der St. Paul‘s Kathedrale befördern, sondern es wurde seine Asche in dieser Ruhmeshalle beerdigt. Dort liegt sie neben den Gruften von Wellington und Admiral Nelson, den Malern Reynolds, Turner und Constable sowie dem Erbauer der Kathedrale, Christopher Wren.

Die Plastik befindet sich im Hofgarten auf einer Wiese unweit, östlich, der Rückseite des Opernhauses (Opern-Passage).

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