„Ein Volkskanzler“ beim Asphalt-Festival: Gebrauchsanleitung für die legale Machtergreifung

Düsseldorf · Beklemmendes Stück in idyllischer Atmosphäre: Regisseur Helge Schmidt hat fürs Asphalt-Festival „Ein Volkskanzler“ von Maximilian Steinbeis am Schwanenspiegel auf die Bühne gebracht.

 Ruth Marie Kröger auf der Bühne am Schwanenspiegel.

Ruth Marie Kröger auf der Bühne am Schwanenspiegel.

Foto: Franck/Nana Franck

„Jetzt mal angenommen, es käme einer. Mal angenommen, da wäre plötzlich einer, der die Menschen begeistert und mit Hoffnung erfüllt. Einer, der sie mobilisiert, der sie organisiert und ihnen Schwung verleiht...“

Als Ruth Marie Kröger, Schauspielerin aus Hamburg, diese ersten Sätze eines bedrückenden Gedankenexperiments zitiert, da könnte  ein unvorbereiteter Zuschauer vielleicht noch gedacht haben: Hört sich doch gut an  – dieses Versprechen eines beherzten Anpackens politischer Missstände. Kröger spricht im freundlichen Plauderton, der den Zuhörern über ihre Kopfhörer in dem Open-Air-Theater eindringlich ins Ohr geht. Wortgetreu angelehnt an die Vorlage von Maximilian Steinbeis’, „Ein Volkskanzler“ entwickelt sich eine beklemmende Dystopie. Die so gar nicht passen mag zu der idyllischen Atmosphäre, die die rund 100 Zuschauer auf ihren Liegestühlen vor der ins Wasser des Schwanenspiegels gebauten Bühne genießen.

Die düstere Geschichte einer ganz  legalen Machtergreifung

Die Geschichte: Ein populärer Mann schafft es ins Kanzleramt. Ohne auf einen Koalitionspartner Rücksicht nehmen zu müssen, kann seine Partei den Bundestag dominieren. Und dann, mit ganz legalen Mitteln, festigt und vergrößert er Stück für Stück seine Macht. Mit einer zunächst scheinbar harmlosen Gesetzesreform, einer Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht. Die aber am Ende dazu führt, dass die höchsten Richter als Korrektiv des Gesetzgebers in ihrer Kompetenz beschnitten werden. Folge: Der Volkskanzler kann durchregieren.

 Ruth Marie Kröger mit Maximiian Steinbeis, dem Autor des Stückes.

Ruth Marie Kröger mit Maximiian Steinbeis, dem Autor des Stückes.

Foto: franck/Nana Franck

Um seine Macht weiter zu stärken, wird, wiederum ganz legal, das Wahlrecht geändert. Lästige Blockaden durch „Provinzfürsten“ im Bundesrat sollen der Vergangenheit angehören, verspricht der Populist. Auch werde es endlich eine neue Verfassung geben, das Volk werde darüber abstimmen. Geschrieben wird diese neue Verfassung freilich im Bundestag – mit der bekannten Mehrheit. Fertig ist die ganz legale Ergreifung der Macht, die die Herrschenden fürderhin auch nicht mehr hergeben werden. Feinde der neuen Verfassung, so heißt es, könnten nicht mit Schonung rechnen.

Nein, es ist kein leichter Stoff, den die Zuhörer da serviert bekommen. Ruth Marie Kröger setzt immer wieder Pausen, trinkt einen Schluck Wasser und gibt ihren Zuhörern Gelegenheit, die Kettenreaktion, das Fortschreiten des Unheils, nachzuvollziehen. Wer etwas von Verfassungsrecht versteht, noch besser, wer den warnenden Text von Maximilian Steinbeis vorher gelesen hat, ist klar im Vorteil, wenn es darum geht, den von der 44-jährigen Schauspielerin so eindrucksvoll rezitierten Gedanken zu folgen. Zumal die Wasserbühne und das Drumherum – hier ein Schwan, da ein Radfahrer am anderen Ufer des Teiches – leicht die Gedanken abschweifen lassen.

Doch in mehreren Aufführungen am Wochenende hat die Produzentin des Kammerstücks, Marion Troja, eben das erreicht, was sie wollte. Die Kölnerin hatte das Steinbeis-Stück, das in der „Süddeutschen Zeitung“, aber auch im „Verfassungsblog“ (siehe Internethinweis) erschien, bei einer Zugfahrt gelesen. Ihr erster Gedanke: „Oh nein, das darf keiner lesen, das ist ja eine Gebrauchsanweisung für die Machtübernahme durch Populisten“. Doch schnell änderte Troja ihre Meinung: „Sehr wohl sollen das die Leute erfahren  – als Warnung.“ Und so initiierte sie die Idee, die Regisseur Helge Schmidt schließlich auf der Bühne umsetzte.

Autor Maximilian Steinbeis:
„Wir sind nicht safe“

Gedanken, die übrigens auch bereits in der Justizministerkonferenz besprochen wurden. Steinbeis mahnt, das Grundgesetz wetterfest zu machen. Der Jurist und Gründer des renommierten „Verfassungsblog“, in dem verfassungsrechtliche und politische Themen behandelt werden, zeigt auf, wie die ganz normalen gesetzlichen Regeln es erlauben, unsere Gesellschaft grundlegend zu ändern. Steinbeis mahnt, es sei verhängnisvoll, wenn man sich darauf verlasse: „Wir haben doch das Bundesverfassungsgericht, das passt auf uns auf. Nein, wir sind nicht safe“. Man müsse nur nach Ungarn oder Russland schauen, wo es zwar formal so etwas wie Demokratie gebe, wo aber ein wichtiger Grundkonsens der Demokratie längst aufgehoben sei. Der Grundkonsens, dass es in einer Demokratie nicht existenzbedrohend für die Wahlverlierer ist, wenn auch mal die andere Seite an die Macht kommt. Doch wenn diese Macht dazu eingesetzt werde, sich gegen jedes Risiko des Machtverlusts zu immunisieren, sei es mit der Demokratie zu Ende.

Steinbeis fordert eine Art „Stresstest für das Grundgesetz“. Darüber müsse nachgedacht werden, bevor die Einfallstore, die auch unsere Verfassung durch die Möglichkeit einfach-gesetzlicher Regelungen ermöglicht, in der Realität genutzt und missbraucht würden.

Während Ruth Marie Kröger lässig plaudernd auf der Bühne über eine neue Verfassung nachdenkt, wirft sie achtlos und doch so vielsagend das Grundgesetz auf den Boden. Eindrucksvolle Symbolik. So schnell kann das gehen, dass es als Altpapier entsorgt wird.

Der lesenswerte Text von Max Steinbeis, der dem Stück zugrundeliegt, das demnächst noch in Hamburg zu sehen ist:

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