Tonhalle Ein Konzert der Extreme

Düsseldorf · Igor Levit mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra unter Manfred Honeck.

 Igor Levit zeigte sich von einer sehr zarten Seite.

Igor Levit zeigte sich von einer sehr zarten Seite.

Foto: Felix Broede

Wie sollte man Mozart spielen? Nun, so wie Mozart es geschrieben hat, würde man vielleicht mit einer von verschmitztem Lächeln begleiteter Bauernschläue sagen. So absurd vielleicht manche Musiker und Musikkenner diese Antwort auch finden mögen, steckt darin doch mehr Wahrheit als man glauben mag. Manchmal ist weniger eigene Interpretation und Handschrift des musizierenden Künstlers mehr. Bei dem Gastspiel des deutsch-russischen Pianisten Igor Levit – er ist laut Opus Klassik „Instrumentalist des Jahres – gemeinsam mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra unter ihrem österreichischen Chef Manfred Honeck konnte man sich nicht wirklich entscheiden, ob hier nun zu viel oder zu wenig von dem oder jenem vorzufinden war. Denn bei der Art und Weise wie sich der Pianist dem Klavierkonzert Es-Dur KV 482 von Mozart näherte, kann man von sowohl zu viel als auch viel zu wenig sprechen.

Wir klären gerne auf: Levit hat sich gewiss viele Gedanken um seine Interpretation gemacht und ein für sich schlüssiges Konzept erarbeitet, davon zeugt die Konsistenz seines Spiels. Das war geprägt von einem gefühlt mit den Fingerspitzen getupften verhuscht intimen Klang. So intim und leise, dass man bisweilen die Ohren spitzen musste, um die Klavierstimme hinter dem eher etwas rundlichen Orchesterklang herauszuhören. Perlig und mit einem Timbre, das fast ein bisschen an Hammerklaviere erinnert, wirkten die zügig und etwas zu linear gespielten Läufe, als wäre die Klaviatur so heiß, dass Levit vor Angst seine Finger zu verbrennen, sich keine Zeit lassen wollte auf den Tasten zu verweilen. Zugleich phrasierte er so reduziert und homöopathisch, dass es vielleicht in einem Wohnzimmerkonzert funktioniert hätte oder mit einem auf historischen Instrumenten spielendem Kammerorchester, aber nicht in der ausverkauften Tonhalle bei diesem Heinersdorff-Konzert.

Ganz bei sich wirkt Levit und blendet dabei sowohl Honeck und Orchester als auch Publikum aus. Schloss man die Augen, so wirkte der Klangeindruck fast so, als würden zwei interpretatorisch gänzlich konträre Aufnahmen aus sich diametral entgegengesetzten Musiktraditionen simultan abgespielt. Öffnete man die Augen, so gab es indes aber auch Überraschendes zu sehen. Einen erstaunlich harsch mit seinem Taktstock umgehenden Honeck, einen Levit, der just bei einer Kadenz – dem wohl freiesten Part eines Klavierkonzertes – zum Tablet greift und an den dort notierten Noten hängt, ein sehr enthusiastisch spielendes amerikanisches Orchester, das einem im Laufe des Abends immer sympathischer werden würde.

In den Gesamteindruck von Levits Auftritt passt – es sei betont, dass er rein pianistisch über jeden Zweifel erhaben war –, dass er als Zugabe das noch zerbrechlichere Moments musicaux Nr. 3 in f-Moll von Schubert, das mit seiner innerlich melancholischen sublimen Zartheit perfekt als Mottostück für Levits sonderbar introvertierten Auftritt gelten konnte – und doch wie himmlisch hat er dieses kleine Stück gespielt.

Nach der Pause gehörte die Tonhalle ganz dem Orchesterklang der Nordamerikaner. Sie hatten Schostakowitsch unter dem stalinistischen Damoklesschwert entstandene fünfte Sinfonie in d-Moll – man beachte alleine schon die vielsagende Tonart im Gepäck. Ein gewaltiges Werk, das zwischen, unter und über der auf kommunistischen Realismus gemünzter Oberfläche wohl eine der erschütterndsten Seelenbilder des sowjetischen Komponisten ist. Brutalste Kraft trifft hier auf nahezu depressiven Stillstand, auf musikalischen Rückzug in das Einfachste und Schwerste zugleich. Bei allem Bombast, der zwischendurch den Vogel zeigend aufkeimt, hat diese Musik in keiner Sekunde wirklich etwas unbeschwert Losgelassenes. Fast mag man Schostakowitsch vor sich sehen, wie er mit nervösem Blick hinter sich guckt, um zu sehen, ob jemand auf der Lauer liegt, wenn er musikalisch sein Hemd öffnet und sein Herzblut hinaustropfen lässt. Honeck und den Pittsburghern gelangen durchaus kraftvolle und die Musiksprache treffende Momente, gab es indes auch die eine oder andere Unschärfe zwischen den Streichern. Was aber die wahrhaftige Qualität dieses Abends ausmachte, war das schaurig ersterbende Pianissimo, die leisen und fast unhörbar homogenen Stellen, die man erst mal so gläsern und pur spielen muss.

Über die poli-epigonale Orchestermusik „Resurrexit“ des Amerikaners Mason Bates, die eingangs zu hören war, möchten wir eigentlich lieber schweigen. Natürlich spielten die Pittsburgher dieses süffige neo-neo-spätromantische Werk in hoher orchestraler Qualität.

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