Kunsthalle Ein halbes Jahrhundert Metropole zeitgenössischer Kunst

Vor 50 Jahren wurden die Kunsthalle und die Galerie Schmela eröffnet. Rückblick auf eine wilde Zeit in Düsseldorf.

Kunsthalle: Ein halbes Jahrhundert Metropole zeitgenössischer Kunst
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Düsseldorf. Düsseldorfs Sixties, das war eine ungeheuer vitale Zeit. Am 30. April 1967 wurde die neue Kunsthalle am Grabbeplatz eröffnet, indem den staunenden Besuchern vorgeführt wurde, was Privatleute an Kostbarkeiten gesammelt hatten. Mit Konrad Fischer kam die Avantgarde aus Amerika an den Rhein.

Kunsthalle: Ein halbes Jahrhundert Metropole zeitgenössischer Kunst
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Der Galerist Alfred Schmela hatte zuvor den Blick ins französische Ausland gerichtet, der Galerist Hans-Jürgen Niepel die Pop Art und die Galerie 22 Künstler wie K.O.Götz und Peter Brüning hoffähig gemacht. Nicht nur der Kunsthandel rührte sich vehement, sondern auch die Künstler wurden aktiv. Das US-amerikanische Magazin „Time“ nannte Düsseldorf eine „Metropole zeitgenössischer Kunst“. Ein großes Lob für die Menschen, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten.

Am 22. Juni 1967 zog Joseph Beuys nicht etwa auf die Straße, sondern auf die Wiese vor der Akademie und gründete vor rund 200 Studenten und Journalisten die „Deutsche Studentenpartei“. Es war der Auftakt zum „erweiterten Kunstbegriff“ und der Anfang seines Endes als Landesbesoldeter.

Beuys wagte es, allen Menschen schöpferische Fähigkeiten zuzubilligen. Er glaubte, mit Kunst den Lernwilligen zur geistigen Mündigkeit zu verhelfen. 1980 schenkte er der Stadt ein „Schwarzes Loch“. Er hatte die Betonwand der Kunsthalle durchbohrt und ein verrußtes Ofenrohr eingeschoben, das außen in einem nach oben geknickten Kamin endete. Die frische Luft im Innern tat gut.

Das Stückchen Holz mit den leicht abgeschabten Nationalfarben, dem Wort „Lidl“ und der primitiven Kunststoffkordel wirkt heute wie ein Fossil aus längst vergangenen Protestjahren.

Doch als Jörg Immendorff mit diesem „Klotz am Bein“ vor dem Bundestagsgebäude in Bonn aufmarschierte, weil im Inneren die Notstandsgesetze verabschiedet wurden, rückte die Polizei an.

Daniel Spoerri, der Tänzer, Mime, Regisseur deutschsprachiger Erstaufführungen von Ionesco und Tardieu, der in Bern, Darmstadt und Paris agiert hatte, begeisterte in Düsseldorf. Am 17. Juni 1968 eröffnete er das Restaurant Spoerri. Die Wände zierten Liebesbriefe, Scheidungsurkunden, Pässe, Künstlerpost. Ein riesiges Fallenbild des Lebens anstelle von Blümchenmustern oder Rauten-Dekoren.

Im Frühjahr 1968 landeten Dorothy Iannone und Dieter Roth an der Drakestraße 7 in Oberkassel. In einer „siebenjährigen Umarmung“ lebten sie ihr Liebesleben aus, bauten Hasen aus Kötteln oder aus Schokolade, dann trennten sie sich. Dorothee lebt heute in Berlin. Ihre wunderbaren Liebesbilder warten in Düsseldorf noch immer darauf, für das Rheinland entdeckt zu werden, wo sie entstanden sind.

1970 kam der Belgier Marcel Broodthaers mit seinem „Museum für moderne Kunst, Abteilung der Adler“ an den Burgplatz 12, einen Katzensprung von Spoerris „Restaurant“ entfernt und betrieb im Hinterhof sein fiktives Kulturinstitut.

Jürgen Harten von der Kunsthalle gilt heute als Entdecker dieses Konzeptkünstlers auf deutschem Boden. Als er ihm im jahr 1972 die erste Einzelausstellung besorgte, fragte sich Broodthaers: „Was ist Kunst, welche Rolle spielt der Künstler in der Gesellschaft? Welches ist überhaupt die Rolle dessen, was das künstlerische Leben in einer Gesellschaft repräsentiert — nämlich eines Museums?“ Diese Frage ist aktueller denn je.

Ferdinand Kriwet befreite in den 1960er Jahren die Schrift aus ihrer ruhenden Lage im Buch und stellte die Buchstaben auf. Dieses Genie von der Bolkerstraße hatte mit 19 Jahren seine erste Publikation und mit 20 seine erste Uraufführung am damals berühmten Ulmer Theater.

Als 1969 die Mondraumkapsel „Apollo 11“ von Houston abhob, saß Kriwet in einem New Yorker Hotel vor acht Fernsehgeräten und schuf die Voraussetzungen für seinen Medienverschnitt „Apollo Amerika“. Das Multimediatalent lebt heute in Dresden.

Vis à vis vom Landgericht lag von 1967 bis 1977 Düsseldorfs wildeste Künstlerkneipe, das „Creamcheese“ von Hans-Joachim und Bim Reinert. Hier schäumte nicht nur Bier, sondern schwirrten Projektionen über die Leinwände, stand Günther Ueckers Riesennagel und rotierte seine lärmende Windmaschine, lagerte Gerhard Richters graues Leinwand-Girl, hing Spoerris „Fallenbild“ flatterte Kriwets Fahne, spiegelte Heinz Macks Thekenwand den Trubel. Konrad Lueg und Lutz Mommartz sorgten für zusätzliche visuelle Verwirrungen.

Ja, und dann agierten in Düsseldorf auch Günter Weseler mit seinen „Atemobjekten“ und Günther Uecker mit „Fakirbrettern“. Sein „Terrororchester“, das seit 1968 entstand, fasziniert mit seinen Krachmaschinen, schlagenden Brettern und rhythmischen Hämmern noch heute.

Derweil las Katharina Sieverding den Kunstgängern aus der Hand. Fritz Schwegler tauchte mit seiner Koffer-Kunst bei Alfred Schmela auf, während Klaus Rinke und Monika Baumgartl die ersten Performances machten. Parallel dazu machten IMI & IMI den Greifweg 6 in Oberkassel zum Künstlerzentrum. Er liegt unweit der heutigen Sammlung Stoschek.

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