Theater Der Judas der Community

Düsseldorf · Premiere im Central. Der Regisseur Armin Petras zieht die Vorlage Arthur Millers mit Gewalt aus den USA der 1950er Jahre in die Gegenwart Deutschlands.

 Wolfgang Michalek und der Chor in einer Szene des Stückes.

Wolfgang Michalek und der Chor in einer Szene des Stückes.

Foto: ja/Thomas Aurin

Wie ein Irrer wirbelt Eddie um seine eigene Achse, wirft Arme und Beine von sich, reißt sich den feinen Anzug vom Oberkörper, schüttet Staub auf sein Haupt, bevor er zum Hörer greift. Die Musik steigert sich zu einem Crescendo. Er liegt am Boden, wählt – Stille – und spricht. Er ist am Boden. Nach dem Verrat wendet sich Eddie wie ein Wurm von links nach rechts, als wären es die letzten Zuckungen eines mit einem tödlichen Gift kämpfenden Körpers. Das Gift heißt in dem Fall Eifersucht und Statusstreben. Das Gift hat ihn dazu gebracht, seine eigenen Werte zu verraten. Wolfgang Michalek spielt die Metamorphose Eddies vom hilfsbereiten Hafenarbeiter zum einsamen Denunzianten meisterlich.

Die Geschichte spielt Anfang der 1950er in einem italienischen Einwandererviertel im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Eddie begehrt seine Nichte, die 17-jährige Catherine, die er als Baby bei sich und seiner Frau aufnahm. Als zwei Cousins aus Sizilien illegal in die USA einreisen, gewährt Eddie ihnen Unterschlupf. Ehrensache, ist doch Familie! Er selbst kam vor vielen Jahren ins gelobte Land. Doch einer der beiden, Rudolpho, verliebt sich in Catherine. Eddie versucht die Beziehung zu verhindern und verrät schließlich seine Cousins an die verhasste US-Einwanderungsbehörde.

Eddie lässt sich nichts sagen – auch nicht von seiner Frau

Warum Eddie sich aus der Wertegemeinschaft seiner italienischen Landsleute so schnell herauslöst, liegt auch daran, dass er sich von niemanden etwas sagen lässt. Schon gar nicht von seiner Frau Beatrice (Cathleen Baumann), die ihn liebt, die er aber sexuell verdursten lässt, da er nur noch seine Nichte im Sinn hat. Vergebens sind daher auch Beatrices Bemühungen, ihn ins Bett zu locken.

Selbst ihr erotischer Tanz mit einem elektrischen Bohner lässt den am Tisch sitzenden Mann kalt. Er, der Tanz, bringt Baumann wiederholt Szenenapplaus. Großartig sind auch Lieke Hoppe als naive, lebenslustige Catherine und Serkan Kaya als schillernder Glücksucher Rudolpho.

Das Bühnenbild wechselt wirkungsvoll von der einfachen Arbeiterwohnung mit Wäscheleine, an der Schlüpfer hängen, hinüber zur Straße mit riesigen Stellwänden, an der Pepsi Cola- und Erotik-Werbeplakate kleben. Was erst nur die Kleinfamilie betrifft, geht im Verlauf der Ereignisse das ganze Viertel, die Community, an.

„Ein Blick von der Brücke“ ist die zweite Inszenierung von Armin Petras am Düsseldorfer Schauspielhaus nach „1984“ von George Orwell.  Mit dem Stück greift Petras das Thema Migration auf. Er selbst hat einmal gesagt, er fühle sich wie ein Außenseiter und kenne das Gefühl von Fremdheit. Genau dieses Wort „Fremdheit“ wird im Verlauf der 2 Stunden und 15 Minuten dauernden Aufführung immer wieder auftauchen.

Dazu bedient sich Petras der Figur des Anwaltes aus dem Original, die er aber neu definiert. Die Anwältin Alfieri (Lea Ruckpaul) ist vom Erzähler zum Einpeitscher geworden. „Wir brauchen mehr Fremdheit!“ brüllt sie ins Publikum oder „Die Zukunft ist der Chor der Fremde“.

Damit ist der Chor der 17 Immigranten gemeint. Er soll die Vielfalt der Migration nach Deutschland versinnbildlichen und ist eine echte Bereicherung in der Inszenierung. Der Chor kommentiert die Handlungen der Protagonisten durch Mimik, Geschrei oder Tanz zu hämmerndem Rock.

Es war ein abwechslungsreicher Abend mit wunderbaren Schauspielern, leuchtenden Kostümen und prägnanten Dialogen. Aber für einen Themenabend über Migration hätte man nicht Millers „Ein Blick von der Brücke“ gebraucht. Von dem Stück blieb nur die Tragik eines Mannes übrig, der Gutes will und Böses tut. Warum Eddie am Ende doch nicht stirbt durch die Hand des Rächers (Thiemo Schwarz), sondern in die Arme der gemischten Migrantengemeinde, des Chors, eintaucht, ist nicht klar geworden.

Vielleicht ein vorweg genommenes Happyend im Multikultiland der Zukunft.

Info: „Ein Blick von der Brücke“ im Central, Große Bühne, Worringerstraße 140. Die nächsten Aufführungen am 21. März, 2. und 8. April, jeweils um 19:30 Uhr. Weitere Informationen gibt es im Internet:

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