Anatol Herzfeld ist tot Anatol Herzfeld: Der Schutzmann der Künste ist tot

Düsseldorf · Der Künstler, Fährmann von Joseph Beuys und Mitbegründer der Museumsinsel Hombroich starb mit 88 Jahren.

 Seit 1982 waren Anatol Herzfeld und seine Kunst auf der Museumsinsel Hombroich zu finden.

Seit 1982 waren Anatol Herzfeld und seine Kunst auf der Museumsinsel Hombroich zu finden.

Foto: dpa/Horst Ossinger

Anatol Herzfeld, der Bildhauer, Maler, Geschichtenerzähler und Professor in South Dakota, ist tot. Er starb im gesegneten Alter von 88 Jahren. Er predigte ein Leben lang die Kunst des Lebens. Er sah seine Botschaft in der Weiterführung der Beuys’schen Ideen als „Arbeitszeit“. Er lebte den „erweiterten Kunstbegriff“ im Sinne seines geliebten Lehrers, den er nicht visionär, sondern ganz praktisch umgesetzte, zum „Wohl der Menschheit“.

1953 hatte er als junger Polizeibeamter angefangen, nachdem er zuvor eine Schmiedelehre abgeschlossen hatte. Bis zur Pensionsgrenze arbeitete er 36 Jahre lang im Staatsdienst als Verkehrskasper, der den Kita-Kindern und Grundschülern beibrachte, wie sie im Verkehr bestehen können. Nebenbei studierte er von 1964 bis 1972 an der Kunstakademie bei Joseph Beuys und anschließend noch fünf Semester in der Architekturklasse von Carl Wimmenauer. 1967/68 fuhr er mit einer Dienstmaschine der Polizei, einer BMW 500, in die Akademie, um sich von Beuys in eine geschmiedete Stahlkugel einschrauben zu lassen. Während er sich im Innern wie ein Kind im Mutterleib fühlte, musste Beuys die Kugel schieben und ihn anschließend wieder herausholen. Danach war Anatol wieder ganz der Schutzmann, stieg auf seine BMW und fuhr Streife.

Mit Beuys im „Blauen Wunder“ überquerte er den Rhein

Berühmt war er als Fährmann, der seinen geliebten Lehrer 1973 von der Oberkasseler Brücke aus in die Kunstakademie zurückfahren wollte, wo man ihn 1972 vor die Tür gesetzt hatte. Den dafür notwendigen Einbaum hatte er am Grabbeplatz vor der Kunsthalle in wochenlanger Arbeit nach den Einbäumen von Papua-Neuguinea gebaut. „Ich wollte diesen Einbaum haben, um in einem Urgefährt der Menschen meinen so wichtigen und geliebten und verehrten Lehrer über den Rhein zu fahren. Ohne Beuys wäre ich ja gar nicht dieser Anatol geworden“, sagte er im Gespräch.

Eigentlich wollte er im „Blauen Wunder“, wie er den blau angestrichenen Einbaum nannte, am Schlossturm landen, wurde aber mitsamt der Crew abgetrieben, weil der Rhein Hochwasser hatte und der Nordwind stürmte. Erst kurz hinter den Bootshäusern an der Nordbrücke ging es an Land. Als er jedoch Jahre später einen tonnenschweren Beuys-Kopf am Rheinufer genau auf der anderen Seite des Landeplatzes aufstellen wollte, lehnten dies der Kulturausschuss und der Kunstbeirat ab. Der ostpreußische Sturkopf ließ nicht locker, hatte den Meerbuscher Landrat Dieter Platt auf seiner Seite und bekam einen Standort in der Nähe des Löricker Yachthafens, aber auf Meerbuscher Gebiet. Anatol murrte trotz des pfiffigen Schachzugs über die Düsseldorfer, die in seinem Kopf keine Kunst erblicken wollten. Sie hatten offenbar vergessen, dass er 1972, 1977 und 1982 an der Documenta in Kassel dabei war.

Anatol hatte immer wieder Glück. Als er in seiner weiten Arbeitshose, den breiten, schwarzen Hut auf dem Kopf, die Menschen um sich scharte, kam eines Tages auch der Gründer der Museums-Insel Hombroich, Karl-Heinrich Müller, vorbei. So landete Anatol 1982 auf der Museumsinsel. Er war ein Segen für die Insel. Dort arbeitete er am „Gesamtkunstwerk Mensch und Plastik“, an der „Sonnenkanone“, den „Wächtern“, dem großen „Parlament“. Hier war er in seinem Element, redete, brachte seine ostpreußische Heimat ins Spiel, den Umgang der Polen mit den Deutschen, die Währungsreform etc. Oft kamen die Inselbesucher nur seinetwegen zu Besuch. Und er erklärte ihnen seine Themen, die der Geburt, dem Leben und dem Tod, der Kraft der Natur als der „Mutter allen Lebendigen“ galten.

Die Bibel war für diesen Künstler das Buch der Bücher

Er war ein gläubiger Mensch. Zu seinem 70. Geburtstag widmete ihm sein Freund Oskar Gottlieb Blarr, Ostpreuße wie er, in der Neanderkirche eine „Musik für Anatol“. Wenn die Kirche etwas mache, sei es ihm lieber, als wenn ein Kulturbeamter etwas tue, pflegte er zu sagen.  Er betonte stets, die Bibel sei sein wichtigstes Buch. Und oft schuf er den Fisch als Sinnbild des auferstandenen Christus. Für ihn gab es keinen Unterschied zwischen biblischen, mythologischen und gegenwärtigen Themen. Nun ist der „Schutzmann“ der bildenden Kunst seinem Schöpfer gefolgt.

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