Medienkunst Zum Tod des Künstlers Ferdinand Kriwet

Düsseldorf · Der Düsseldorfer Schöpfer von Hör- und Sehtexten, ein Pionier der Medienkunst, starb mit 76 Jahren in Bremen. Ein Nachruf.

 Ferdinand Kriwet, Pionier der Medienkunst, starb mit 76 Jahren.

Ferdinand Kriwet, Pionier der Medienkunst, starb mit 76 Jahren.

Foto: Helga Meister

Ferdinand Kriwet ist tot, der Wegbereiter der Medienkunst wurde 76 Jahre alt. Der Sohn eines Würstchenbudenbesitzers („Kriwets Schnellimbiss“) kam 1942 in der Düsseldorfer Altstadt zur Welt und wurde ein Selfmademan, der die mediale Kultur noch vor dem Computer erfand. Er machte alles selbst, entwarf sogar die eigene Trauerkarte mitsamt Original-Unterschrift. Nur das Todesdatum am 17. Dezember musste von dritter Hand beigefügt werden.

Seine Karriere begann er mit 15 Jahren, ohne irgendeinen Schulabschluss, mit „Rotor“, einem Rundbuch ohne Punkt und Komma. Man konnte es irgendwo anfangen und irgendwo wieder aussteigen. Es rotierte quasi. Ein Text voller Assoziationen auf seine Kindheit, sein Leben in Düsseldorf, den Alltag nach dem Krieg. Als 19-Jähriger brachte er es bei DuMont in Köln heraus. Und startete durch. Hinfort machte er mit Büchern, Hörspielen, Sehtexten und Radioarbeiten Furore. Er befreite die Literatur aus ihrer ruhenden Lage im Buch und druckte seine „Sehtexte“ auf Außen- und Innenwände, Teppiche und Schwimmkissen, Fahnen und Fassaden. Seine Buttons und Rundscheiben ließ er sich von einem Schildermacher in Leichtaluminium herstellen. Ihre Botschaften waren wie so vieles von ihm doppeldeutig, zeitkritisch und humorig zugleich.

Ein Mann der konkreten Poesie, der modernen Kunst und Musik

Über den Düsseldorfer Galeristen Jean Pierre Wilhelm machte er im Schneeballsystem die Bekanntschaft mit Franz Mon und Max Bense, Helmut Heißenbüttel und Claus Bremer, mit der Literatur- und Musikszene in Köln, Frankfurt, Heidelberg und Darmstadt. Er war schließlich in der konkreten Poesie genauso zu Hause wie in der modernen Musik und Bildkunst.

Mit 20 Jahren hatte er seine erste Uraufführung am damals berühmten Ulmer Theater, mit 21 seine erste Galerie-Ausstellung bei Niepel in Düsseldorf, bei der er das Fernsehen als Medium einsetzte. Das war 1963 noch ungewöhnlich. Er lieh sich bei Neckermann ein Fernsehgerät und eine Überwachungskamera, verband die Kamera mit dem Fernseher, saß unten im Lager und war oben in der Ausstellung nur auf dem Fernsehschirm zu sehen. Er war also anwesend und abwesend zugleich. Es war sein Einstieg in die Kunst der Hörtexte.

1967 führte er zur Eröffnung der Künstlerkneipe „Creamcheese“ „Lokaltermin“ auf, einen Text für sechs Solisten, die weniger miteinander, als durcheinander sangen, sprachen, lachten und zischten. Ein Mischpult war damals noch unbekannt. 1968 teilte er sich auf den Internationalen Essener Songtagen die Bühne mit Frank Zappa, dessen Lieder so oft im Creamcheese zu hören waren. Für eines seiner Hörstücke, die im WDR-Studio entstanden, nahm er den Stadionlärm von Fortuna Düsseldorf auf, Pop-Art in deutscher Variante also.

„Apollo Amerika“ war der Einstieg ins Medienspektakel

Als 1969 die Mondraumkapsel „Apollo 11“ von Houston abhob und mit einer speziellen Landefähre auf dem Erdsatelliten aufsetzte, saß Kriwet nicht etwa im Kontrollzentrum von Florida, sondern im teuren New Yorker Chelsea Hotel. Er hatte acht Fernsehgeräte gemietet und hielt ganz primitiv das Mikrofon vor die Geräte, um Gespräche und Geräusche aufzunehmen. Seine „Apollo Vision“ reflektierte eines der ersten weltweiten Massenmedien. Wieder zurück in Düsseldorf, verarbeitete er alles mühsam zu Medien-Collagen. Computer gab es ja noch nicht. Das Ergebnis kam als „Apollo Amerika“ in Buchform bei Suhrkamp und in diversen Rundfunkanstalten heraus.

Seine nächste größere Produktion war „Media Campaign“ (1974 erschienen bei Droste in Düsseldorf), der Wahlkampf von 1972 zwischen Richard Nixon und George Mc Govern. Wieder arbeitete er mit Emblemen, Fernseh-Ausschnitten, dem Einmarsch der Fahnenträger etc. Dazu druckte er Hörtexte, Radiotexte und Stimmen ab.

Er war Sprachkünstler, visueller Poet und Hörstück-Autor. Seine Text-Fahnen, Comic-Strips und Text-Ballons gingen allerdings allesamt kaputt, weil das Material schnell brüchig wurde. Nur die Textteppiche überdauerten als Siebdrucke auf PVC. Kriwet kaufte Rollware und ließ sie mit großen Sieben in einer Werbedruckerei drucken.

Er schuf das Landeswappen im Plenarsaal des Landtags

Zwischen 1960 und Ende der 70er Jahre war Kriwet ein gefeiertes Multimedia-Talent, Autor, Installations-Künstler, Grafiker und Bildgestalter. Seine Neonschriften, Wandbemalungen, Mixed-Media-Installationen und Leitsysteme eroberten vielerorts den öffentlichen Raum. Er realisierte Kunst am Bau-Projekte mit Büros wie HPP, Deilmann oder Fritz Eller, schuf etwa das Landeswappen im Plenarsaal des Düsseldorfer Landtags und gewann 1978 den Wettbewerb für die Gestaltung des Heinrich-Heine-U-Bahnhofs. Dass aus seiner Punktrasterschrift in 17000 Lichtpunkten auf einer gefalteten Licht-Text-Decke nichts wurde, lag an den Kosten, die dem Stadtrat zu hoch waren.

2011 feierte er von Dresden aus sein Comeback mit einer Retrospektive in der Kunsthalle Düsseldorf. Im Juni 2012 wurde „Rotoradio“ zum Hörspiel des Monats. Seine letzte große Ausstellung hatte er 2018 in der Berliner Galerie BQ. Da lebte er allerdings schon schwer krebskrank in Bremen. Seine Urne wird auf See beigesetzt.

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