Düsseldorf — Epizentrum der Elektroszene

Rüdiger Esch hat mit „Electri-City“ ein Buch vorgelegt, das sich ungefiltert mit dem Siegeszug der Elektromusik auseinandersetzt.

Düsseldorf — Epizentrum der Elektroszene
Foto: privat/Krupps/Suhrkamp

Düsseldorf. „Ich also meine Sachen auf zehn, und dann ging’s los!“ Eberhard Kranemann, in den 70er Jahren Bestandteil der Düsseldorfer Bands Kraftwerk und Neu!, schrieb Musikgeschichte. Und er fasst Musikgeschichte in diesem Satz zusammen. Finden kann man ihn in „Electri-City“, dem neuen Buch des Autors Rüdiger Esch, das jetzt erschienen ist. „Electri-City“ zeigt, wie Düsseldorf zum Epizentrum der Elektroszene wurde. Zeigt es auf die bestmögliche Art und Weise, indem es die Protagonisten dieser Szene selbst zu Wort kommen lässt. Ungefiltert.

Kranemann ist dabei zwar nur einer von vielen. Aber sein Satz trifft die Essenz dieses Buches ziemlich genau: Der Siegeszug der Elektromusik, angeführt bis heute vom Flaggschiff Kraftwerk, konnte sich nur in Bewegung setzen, weil Anfang der 70er Jahre eine außerordentliche Atmosphäre in Düsseldorf herrschte. In der Stadt traf die international beherrschende Kunstszene auf hungrige, umtriebige Musiker.

Und beide Seiten wollten vor allem eines: Sie wollten das Land reinwaschen vom braun-schimmeligen Filz der Nachkriegszeit mit seinen deutschen Schlagern, den Parteibüchern, den aus der Nazizeit übrig gebliebenen Stammtisch-Rechten. Die Piefigkeit musste weg. Deutschland sollte eine neue Identität bekommen. Eine, die auf den Gedanken von Freigeistern beruhte. Eine, die Grenzen jeder Art sprengte. Eine, die Kreativität und die Lust am Experiment umfasste. Und sie alle waren dabei: Beuys, Polke, Hütter, Schneider-Esleben. Kunst-Akademie traf Proberaum. Performance traf Live-Konzert. Die gemeinsame Sprache war der neue Sound: Kraut—rock. Electro.

Die Entscheidung, „Electri-City“ in Form einer so genannten „Oral History“ — also einer Sammlung von Zitaten — zu schreiben, sei da logisch gewesen: „Diese Form eignet sich hervorragend, um komplexe und mitunter widersprüchliche Sachverhalte darzustellen — und zwar ohne dabei zu werten“, sagt Esch. Allein um Kraftwerk ranken sich Mythen und Gerüchte, Geheimnisse und Vielleicht-Missverständnisse, die in jeder Hinsicht unfassbar sind. Und das spiegelt sich auch in „Electri-City“ wider. Gezwungenermaßen, denn: Esch sprach mit über 50 Personen.

Der Synthesizer-Guru Giorgio Moroder war ebenso dabei wie Punk-Vater Iggy Pop. Hütter und Schneider-Esleben von Kraftwerk dagegen nicht. Was Esch aber nicht schlimm findet: „Manche Mythen entstehen doch erst durch Unnahbarkeit. Es wäre schlimm, ihnen auf den Grund gehen zu wollen.“ Jeden seine Sicht der Dinge erzählen lassen — das führt am Ende zu einer Collage von Eindrücken, die ganz gut den Zeitgeist-Überblick geben.

Esch, der mit Familie im Süden Düsseldorfs lebt, war und ist selber aktiv in Bands wie La Düsseldorf, Neu!, Male oder den Krupps. Und er hasste anfangs die Electro-Avantgarde. „Ich war damals Punk. Und als Punks waren wir dagegen. Unsere Gitarre wendete sich gegen das Keyboard. Wir hielten die Electro-Musiker für Glitzer-Hippies und Spießer.“ Doch nach und nach änderte er seine Meinung. Esch erkannte, dass letztlich beide Musikszenen von Düsseldorf aus das Land prägten — und dass sie aufeinander aufbauten, schließlich entstanden sie beide rund um Clubs wie das Creamcheese oder den Ratinger Hof.

Am Ende ist das sowieso egal. Am Ende hat Esch, wie er betont, seine Heimatstadt noch einmal neu entdeckt. Und am Ende zählt die Intention seines Buches, die besagt: Die „Electri-City“, aufgebaut und erleuchtet vor über 40 Jahren, lebt noch immer. Die heutigen Protagonisten heißen nur anders: „Wir haben Kreidler, Stabil Eite und Mouse On Mars“, sagt Esch. Das ist mehr, als andere von sich behaupten können.

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