Schauspielhaus „Bergmans Drehbuch ist wie eine Erzählung geschrieben“

Düsseldorf. · Interview Stephan Kimmig zeigt Ingmar Bergmans Film „Fanny und Alexander“ als Theaterstück.

 Stephan Kimmig inszeniert Bergmans Film „Fanny und Alexander“.

Stephan Kimmig inszeniert Bergmans Film „Fanny und Alexander“.

Foto: picture alliance / dpa/Frank Rumpenhorst

„Fanny und Alexander“ – zwei Kinder aus Schwedens großbürgerlicher Familie Ekdahl werden weggesperrt und gezüchtigt. Ihre Kinderwelt wird zerstört, und sie versuchen ihre Schmerzen wegzuspielen. Eine Leidensgenossin ist ihre Mutter Emilie: Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes, des Theaterdirektors Oskar, heiratet sie den Bischof Vergérus und zieht samt Kindern in das Haus des sittenstrengen Glaubensmanns, der fortan die Familie tyrannisiert, manchmal sogar foltert - körperlich und seelisch. Darum geht es in groben Zügen in Ingmar Bergmans gleichnamigem Kinofilm von 1983 – dem letzten großen Leinwand-Großwerk des schwedischen Kult-Regisseurs und Drehbuchautors (1918-2007), in dem manche auch Bergmans Testament sehen.

Am Samstag, 25. Mai, bringt Stephan Kimmig den dreistündigen Film (die TV-Fassung dauerte fünfeinhalb Stunden!) in einer sicherlich ebenso langen (wenn nicht noch längeren) Theaterfassung im Schauspielhaus am Gründens-Platz heraus. Mit 13 Darstellern, die zum Teil mehrere Rollen spielen. Nach einer Probe sprach die WZ mit dem mehrfach preisgekrönten Theatermacher Kimmig (60 und Vater von drei Kindern), der in allen bedeutenden, deutschsprachigen Häusern inszeniert.

Herr Kimmig, Sie sind das erste Mal in Düsseldorf?

Stephan Kimmig: Ja, wegen der langen Proben habe ich leider noch nicht viel gesehen. Aber: Die Arbeit in diesem Haus macht großen Spaß. Für mich zählt es zu den fünf schönsten Schauspielhäusern im deutschsprachigen Raum. Der Bühnen-Raum und der Saal – sie sind großartig. Man beginnt hier zu schweben. (Er lacht) Hoffentlich hebt auch diese Inszenierung ab.

Es ist ja ein Brocken, den Sie da gewählt haben.

Kimmig: Ja, aber der Film hat mich schon während des Studiums in den 1980ern in München gepackt. Und jetzt, nachdem mir Wilfried Schulz die Regie angeboten hatte, sagen mir Dramaturgen anderer Häuser: „Fanny und Alexander hättest Du schon längst mal auf die Bühne bringen sollen.“

Warum packt Sie dieser Stoff?

Kimmig: In der subtil erzählten Familien-Saga geht es um viele Themen, die mit uns heute zu tun haben. Z.B. um die Ängste der Kinder, um das Zerstören oder Begrenzen ihrer Fantasie (durch den Bischof). Es geht aber auch um Angst vor Fantasie und vor Menschen, die spielen. Denn für jede Diktatur kann derjenige, der spielt, zur Gefahr werden. Man weiß nie, wie ein Spiel endet. Außerdem: Mit Schauspielern zu arbeiten, macht großen Spaß. Zumal ich einige aus meiner Stuttgarter Zeit kenne.

Es geht Ihnen also um Spiel und nicht mal wieder um Ent-Individualisierung?

Kimmig: Ja, in unserem Spiel haben die Darsteller Zeit zu improvisieren. Nicht mit dem Text. Der ist vorgegeben. Es soll sinnlich, lebendig werden. Und kein Ideen-Theater. Es passiert viel, weil Bergman so viel über Menschen wusste. Bei diesem Stück schauen wir zudem durch eine Kinderbrille. Und sehen, dass Kinder ihre Fantasie eindämmen und wie kleine Automaten funktionieren müssen.

Wir sehen, wie Fanny und Alexander leiden?

Kimmig: Ja. Sie vermissen im Haus des Bischofs die Wärme ihres früheren Elternhauses und versuchen sich zu erinnern, wie es damals war. Das, was uns schockiert ist: Der Bischof sperrt sie weg, weil er meint, gut zu handeln, weil er meint zu wissen, was das Beste für die Kinder ist. Selbst, wenn er Alexander foltert.

Gespielt von Lea Ruckpaul. Warum von einer Frau?

Kimmig: Sie hat eine unglaubliche Spielfreude, kann ein jugendliches Galopp-Tempo auf der Bühne angehen, kann vom Hölzchen aufs Stöckchen springen, Bruch-Bruch-Bruch spielen, und sehr frech sein und hat zudem einen Schuss Androgynität.

Und Fanny?

Kimmig: Sie (Darstellerin Johanna Kolberg, die auch Puppenspielerin ist) ist in unserer Theaterfassung stärker als im Film. Ihre Psyche wird beschädigt, sie verliert ihre Mitte und flieht in Geistergeschichten und eine Horrorwelt.

War es schwierig, Bergmans Drehbuch umzuschreiben?

Kimmig: Nein. Es ist wie eine Erzählung geschrieben, mit tollen Dialogen. Bergman als Theaterliebhaber rückt ja hier eine Theaterfamilie ins Zentrum. In diesem Kosmos gibt es auch Dämonen und Geister. So taucht der gestorbene Vater Oskar bei uns auf der Bühne als Figur wieder auf.

Sie als Vater von drei Kindern inszenieren also eine Familiensaga?

Kimmig: In gewisser Weise ja. Denn in einer Familie fängt alles an: Gesellschaft, Revolution, Unterdrückung.

Sind Sie ein Ingmar-Bergman-Fan?

Kimmig: Ja, weil er so viele Themen/Stoffe überhöhen konnte. Die Fragen ‚Wie kann man leben?’ oder ‚Warum scheitern wir so oft?’ sind zeitlos.

Sein bekanntester Film ist „Szenen einer Ehe“.

Kimmig: Ja (schmunzelt er). Daran muss ich mich als Regisseur auch mal ’ranmachen.

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