Dirigent flirtet mit Londoner Orchester

Das London Philharmonic Orchestra gastierte in der Tonhalle. Das Publikum feierte Musiker, Dirigent und Rudolf Buchbinder.

Düsseldorf. Zwischen einem ordentlichen städtischen Orchester und einem Klangkörper wie dem London Philharmonic Orchestra liegen Welten. Das war nun beim Meisterkonzert in der Tonhalle einmal mehr zu erleben. Der junge Kolumbianer Andrés Orozco-Estrada gastierte vor einigen Jahren schon einmal in Düsseldorf als Chefdirigent seines Baskischen Nationalorchesters aus San Sebastián, einer munteren Musikmannschaft mit Temperament und verzeihlichen Schwächen. Doch am Dienstagabend stand der heute 35-Jährige, der vor zehn Jahren als Einspringer im Wiener Musikvereinssaal von der Presse als „Wunder von Wien“ gefeiert wurde, vor einer Orchester-Institution von Weltrang — und das wirkt wie der Umstieg von einem Stadt-Flitzer in einen Rolls Royce.

Die leisen Eingangs-Takte der Haydn-Variationen von Johannes Brahms waren wie das sanfte Gleiten einer Nobelkarosse mit zwölf Zylindern durch eine Tempo-30-Zone. Die rascheren Variationssätze erinnerten dann an das souveräne Beschleunigen nach einem sanften Druck aufs Gaspedal. Man meint, das Orchester spiele von ganz alleine, als seien die vielen Handzeichen des Dirigenten kaum mehr als Dekoration. Ja, die Londoner spielten fast etwas ungerührt von den detailreichen Gestikulierungen Orozco-Estradas. Dem Dirigat fehlte etwas die Strenge und Ruhe eines Altmeisters.

Ganz anders und sehr viel überzeugender war das Ergebnis im Hauptwerk des Abends, der leidenschaftlichen Siebten Symphonie des tschechischen Romantikers Antonín Dvorák. Orozco-Estradas Sinn für klangliche und rhythmische Feinheiten, der in einer Art Flirt mit den Orchestermusikern sichtbar wird, Handzeichen, die wie freundliche Avancen wirken — all das kommt der emotional aufgeladenen, teils tänzerisch bewegten, teils melancholisch eingetrübten Musik voll und ganz zugute. In der gut besuchten Tonhalle kommt das gut an, es gibt kräftigen Beifall und viele Bravos, wofür sich Dirigent und Orchester mit dem 1. Ungarischen Tanz g-Moll von Johannes Brahms bedanken.

Vor der Pause trumpft ein böhmisch-österreichischer Starpianist auf, der zwei seit Jahrzehnten auf Ludwig van Beethoven und andere Wiener Klassik abonniert ist, nun aber mit norwegischer Spätromantik ins Rennen geht: Rudolf Buchbinder. Der 67-Jährige spielt den Solo-Part des monumentalen Klavierkonzerts a-Moll von Edvard Grieg. An Kraft und Geläufigkeit fehlt es Buchbinder nicht. Die mächtigen Akkord-Ballungen bringt er eindruckvoll zum Klingen, rasante Oktavparallelen entfalten in den Bässen ihr markantes Donnergrollen. Und im langsamen Mittelsatz streichelt Buchbinder die Tasten wie mit Samtpfötchen. Doch auch dem versierten Konzertpianisten unterlaufen mal Fehler. Einige Läufe geraten unsauber, und im dritten Satz driften Pianist und das Orchester hörbar auseinander. Andererseits ist es ein Zeichen von Professionalität, während solcher Turbulenzen die Ruhe zu bewahren und das Miteinander wieder in geordnete Bahnen zu bringen.

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