Theater Das Junge Schauspiel zeigt: So fühlt sich Flüchten an

Hausregisseur Gregory Caers übersetzt Homers „Odyssee“ mit starker Körpersprache in eine sinnliche Gegenwartsbeschreibung.

Theater: Das Junge Schauspiel zeigt: So fühlt sich Flüchten an
Foto: FKPH

Düsseldorf. Auf dieser Luftmatratze hätte allenfalls ein Kind Platz, um damit im Pool zu plantschen. Jetzt drängen sich sechs ausgewachsene Männer auf das kleine Gummiboot. Überall Arme und Beine. Wenn einer muss, dann müssen alle ihre Position wechseln. Wer unten liegt, bekommt kaum Luft; wer am Rand steht, fürchtet, über Bord zu gehen. Odysseus und seine Männer machen sich Mut und singen mehrstimmig gegen die Angst an, ihre Heimat nie wiederzusehen. Dieses Bild ist nur eines von vielen, mit denen der belgische Regisseur Gregory Caers Homers „Odyssee“ für die Bühne übersetzt und zu einem sehr gegenwärtigen Flüchtlingsdrama macht.

Im Jungen Schauspiel gelingt ihm vor allem durch die stark auf Körpersprache setzenden sechs Schauspieler und Musiker ein sinnliches Erleben von Hoffnung und Verzweiflung, Sehnsucht und Mutlosigkeit. Etwas spröde und mit verzerrter E-Gitarrenmusik geht es los, auf der Bühne wird ein riesiges Metallungetüm zerlegt. Es ist das trojanische Pferd und auch der Ort, in dem sich ein gigantischer Grenzkontrolleur verbirgt. Ein Einäugiger, der Pässe sehen will. Niemand kommt an ihm vorbei, doch Odysseus gelingt es mit einer List. Seine Reise beginnt und auch die Inszenierung legt an Intensität zu.

Gedacht ist die antike Irrfahrt mit dem Bogen zur aktuellen Lage auf dem Mittelmeer für Zuschauer ab zwölf Jahren. Und gerade diesem Publikum fordert das direkte Vorführen körperlicher Empfindungen, dem Fallen und Auffangen, dem Angespuckt-Werden, Vorwärtsrobben und dem testosterongetriebenen Aufeinanderprallen von Familie, Feind und Freund eine unmittelbare Reaktion ab. Einige Zuschauer lachen, stöhnen oder ekeln sich. Unberührt lassen die durchchoreografierten Szenen wenige.

Es tauchen Klischees auf, Männer, die sich in Selfie-Posen gefallen und erschrocken dem Eindringling auf die Finger hauen. Auf der Bühne werden sie mit schrägem Humor unterlaufen und bekommen ihre ganz eigene Wirkung. Die Foto-Motive bewegen sich in einer Dauerschleife, immer wieder lachen die Schönlinge in Badehosen in gleicher Aufstellung in die imaginierte Kamera. Bis Odysseus kommt und ihre Abläufe stört.

Die Dialoge der Spieler sind kurz und mehrsprachig, Sätze beginnen auf Deutsch, wechseln ins Englische und springen ins Französische. Die Männer singen viel, schreien oder tauchen als seltsame Amtswesen auf: Einer hat den Kragen des Hemdes über den Kopf gezogen und hält sich ein Megafon dorthin, wo eigentlich der Mund sein müsste.

Ein anderer besteht aus zwei Männern in einem Mantel, verbunden sind sie mit einer Hose. Sinnlos rufen sie Zahlen durcheinander, stiften Verwirrung, wo doch Odysseus brav seine Nummer gezogen hat und auf Hilfe hofft.

Diese surreale Darstellung hat einen sehr eigenen Stil und eine enorme Kraft. Sie führt den Zuschauern eindrucksvoll die Stärke des Theaters vor. Stefan Fischer-Fels hat Caers eingeladen, in den kommenden drei Jahren als Hausregisseur am Jungen Schauspiel zu arbeiten. Mit der „Odyssee“ ist ihm ein eindrucksvoller Auftakt gelungen.

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