Aphorismus in Düsseldorf Düsseldorf ist nun auch Stadt des Aphorismus

Düsseldorf · Aphorismen sind kluge Gedanken in wenigen Sätzen. Jetzt ist das Deutsche Aphorismus-Archiv in die hiesige Uni- und Landesbibliothek gezogen.

 Bietet für die Bestände des Deutschen Aphorismus-Archivs mehr Platz: Die Uni- und Landesbibliothek.

Bietet für die Bestände des Deutschen Aphorismus-Archivs mehr Platz: Die Uni- und Landesbibliothek.

Foto: Thomas Frank

„Die Menschen kommen und gehen – bloß nicht zur Vernunft.“ So lautet ein Aphorismus des Düsseldorfer Schriftstellers Jürgen Wilbert, zu finden in seinem neuen Buch „SinnBilder“ (siehe die Besprechung unten). Die Reaktion als Leser: „Die Menschen kommen und gehen“ – aha, eine Redensart, der man zustimmen kann. Dann folgt die Pointe. Erst stutzt man ein bisschen, braucht ein paar Sekunden, um den Witz zu verstehen und schmunzelt dann. Wer sich Aphorismen zu Gemüte führt, der wird in den Gedankengang des Autors hineingezogen, und muss dann selbst hinausfinden. Oder wie Jürgen Wilbert es formuliert: „Ein Aphorismus kommt daher wie ein Bonbon, das man leicht lutschen kann. Aber wenn man es im Mund hat, bereitet es Schluckbeschwerden.“

 Der Düsseldorfer Schriftsteller Jürgen Wilbert leitet den Förderverein des Deutschen Aphorismus-Archivs und schreibt selbst Aphorismen.

Der Düsseldorfer Schriftsteller Jürgen Wilbert leitet den Förderverein des Deutschen Aphorismus-Archivs und schreibt selbst Aphorismen.

Foto: Judith Michaelis

Der 74-jährige Wilbert hat sich schon als Schüler der kleinsten literarischen Prosa-Gattung verschrieben. Inspiriert hat ihn der polnische Dichter und Aphoristiker Stanisław Jerzy Lec (1909-1966), von dem er seinerzeit ein Büchlein in die Hände bekam. „Da habe ich gedacht: Wie großartig, dass man mit so wenig Worten so viel sagen kann. Und warum quäle ich mich in der Schule mit dicken Dramen und am Ende kommt dann ohnehin nur eine eine Quintessenz herraus. Und der Lec benennt schon die Quintessenz. Es ist doch viel praktischer, dass man sich gleich damit beschäftigt“, sagt Wilbert.

Eigentlich müsste der Aphorismus mit seinen wenigen Sätzen die ideale Gattung unserer Zeit sein, in der Kurznachrichten dominieren und die Menschen mit acht Sekunden inzwischen sogar eine geringere Aufmerksamkeitsspanne als ein Goldfisch haben sollen. Trotzdem schreibt Jürgen Wilbert: „Aphorismen kommen eigentlich immer zu kurz.“ Damit verweist er auf das Schattendasein, das die Mini-Texte im offiziellen Literaturbetrieb führen. Warum ist das so? „Der Aphorismus ist eine unbequeme Gattung, er ist fragmentarisch, unvollendet. Im Roman oder Krimi werden Sie als Leser an die Hand genommen, durch die Geschichte geleitet. Das macht der Aphorismus nicht. Da müssen Sie den Gedanken des Autors erst einmal entflechten. Das stört viele“, erklärt Wilbert.

Aber auch der Name „Aphorismus“ selbst klinge für viele abgehoben. Leider sei noch kein „eingedeutschtes“, zugänglicheres Pendant gefunden worden. Bislang wird der Aphorismus nur umschrieben: Als  kluger Gedanke, Denkspruch oder Lebensweisheit. Doch die Aphoristiker bemühen sich um eine begriffliche Alternative. „Denkanzettelung“ schlägt Wilbert vor.

Um die kleinste literarische Prosa-Form populärer zu machen, initiierte Jürgen Wilbert 2004 das erste bundesweite Aphoristiker-Treffen in der idyllischen Fachwerk-Stadt Hattingen an der Ruhr. Er leitete dort seinerzeit die Volkshochschule und den gesamten Kulturbereich der Stadt. Die Kunststiftung NRW in Düsseldorf unterstützte das Vorhaben mit 8000 Euro. Das Aphoristiker-Treffen kam so gut an, dass man daraufhin beschloss, in Hattingen das erste Deutsche Aphorismus-Archiv samt Förderverein zu gründen. 100 Mitglieder zählt der Verein, dessen erster Vorsitzender Jürgen Wilbert ist. Er organisiert Aphoristiker-Treffen, Aphorismus-Wettbewerbe, veröffentlicht Tagungsbände, Wettbewerbs-Anthologien und Jahresgaben-Hefte zu renommierten  Aphoristikern wie Georg Christoph Lichtenberg, Johann Wolfgang von Goethe oder Kurt Tucholsky.

Nun ist das Deutsche Aphorismus-Archiv in die Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) nach Düsseldorf gezogen. Die Gründe: Die Bibliothek des Hattinger Stadtmuseums ist zu klein. Zudem wollten Friedemann Spicker, der Leiter des Archivs, und Jürgen Wilbert aus Altersgründen (beide sind über 70) die Zukunft des Archivs sichern. Es umfasst über 3500 Einheiten, darunter Prachtbände vom Meister des Aphorismus, Georg Christoph Lichtenberg, aus dem 18. Jahrhundert bis hin zu zeitgenössischen Aphoristikern. Das Archiv wird als Sondersammlung in der ULB etabliert. Momentan wird es elektronisch erschlossen. Es soll den Besuchern zukünftig zu Lehr- und Forschungszwecken zur Verfügung stehen. Die ULB wird im Frühjahr 2020 offiziell den Umzug des Archivs bekanntgeben. Der Förderverein des Deutschen Aphorismus-Archivs bleibt allerdings in Hattingen setzt  dort seine bisherigen Aktivitäten weiter fort.

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