Bühnenbildner Johannes Schütz schafft metaphysische Räume

Eine Baustelle und leere Funktionsräume zu bespielen — darin besteht der Reiz für Bühnenbildner Johannes Schütz. So wie bei Dantes „Göttlicher Komödie“.

Bühnenbildner Johannes Schütz schafft metaphysische Räume
Foto: M.ZANIN

Düsseldorf. Johannes Schütz mag es einfach, klar und radikal — so sind die meisten seiner Ausstattungen auf Theater- und Opernbühnen im deutschsprachigen Raum. Ob in Berlin, Hamburg, München, Bochum oder im Sommer mal wieder bei den Salzburger Festspielen — der 1950 in Frankfurt/Main geborene und in Berlin lebende Bühnenbildner schafft metaphysische Räume, die in andere Welten führen. Nur wenige sind imposant, die meisten stanzen sich durch strenge Architektur und originelle Raumkonzepte ins Gedächtnis ein.

Bühnenbildner Johannes Schütz schafft metaphysische Räume
Foto: DHaus/Thomas Rabsch/Melanie Zanin

Seit 2010 Professor der Düsseldorfer Kunstakademie, hat Schütz aber auch am hiesigen Schauspielhaus unter Intendant Wilfried Schulz zwei ungewöhnliche Raumbilder kreiert, eines davon für die Theaterfassung von Kleists „Michael Kohlhaas“: 17 mal 17 Tische arrangierte er auf der Bühne als geometrisches Tableau, aus dem Figuren wie Luther und Cranach herauswachsen.

Im Sommer wird er Kleists „Penthesilea“ bei den Salzburger Festspielen ausstatten. In einer Inszenierung — ab Herbst auch in Bochum zu sehen — des künftigen Intendanten von Bochum Johan Simons. Er engagiert Schütz wieder häufiger in die Ruhr-Theaterstadt. Das Theater kennt er gut, sagt er. Bereits in den 80er und 90er Jahren war er dort Haus-Bühnenbildner, lebte in Bochum mit seiner damalige Frau, der Choreographin Reinhild Hoffmann.

Samstagabend nun macht sich Schütz als Ausstatter und Regisseur seinen Reim auf Dantes „Göttliche Komödie“, und zwar im Schauspielhaus an der Riesen-Baustelle am Düsseldorfer Gustaf-Gründgens-Platz. Das Außergewöhnliche: Die Zuschauer wandern durch die Stationen, die Dante in seiner „Ansammlung des Wissens“ beschrieben hat. Mit Dante und Vergil im Schlepptau durchschreitet der Zuschauer neun Kreise der Hölle, hier im Requisiten- und Bühnen-Magazin im Keller. Dann geht’s per Lastenaufzug bergauf, durchs Fegefeuer, in dem die Menschen von ihren Sünden gereinigt werden. Danach bricht man auf ins Paradies. Dieses liegt im Kleinen Haus, das sonst (anders als das unregelmäßig bespielte Große Haus) für die Öffentlichkeit noch nicht zugänglich ist. Eine Baustelle und leere Funktionsräume zu bespielen — darin besteht der Reiz für Schütz.

„Wir benutzen den Raum als Realarchitektur“, erklärt er. Ob es ein Event wird? Da ist sich Schütz nicht sicher. Außerordentlich ist es sicherlich. Und könnte das Interesse auch von theaterfernen Zuschauern wecken. Schütz gibt zu, dass sich Sprechtheater in den letzten 20 Jahren „verformt“ habe. Die Folge: „Das kulturelle Wissen nimmt ab.“ Für viele sei es heute schwierig, sich für einen Theaterbesuch zu entscheiden.“ Nüchtern fügt er hinzu: „Das mediale Alleinstellungsmerkmal von Schauspielhäusern ist weg.“ Und: Das Publikum habe andere kulturelle Bedürfnisse und ein anderes Freizeitverständnis.

Zehn mal pro Saison ins Theater zu gehen (wie Abonnenten in 90er Jahren), das ist eine Seltenheit. Einen anderen Eindruck erweckt die 100-Prozent-Auslastung des David-Bowie-Musicals „Lazarus“. Spielt da nicht die spektakuläre Raumkapsel auf der Bühne eine Rolle? „Nein“, schmunzelt der Bühnenbild-Professor. „Das würde auch auf leerer Bühne funktionieren.“ Ein Bühnenbild könne zwar helfen. Aber wenn Bilder der wichtigste Faktor und die zentrale Energie auf der Theaterbühne darstellen, „dann stimmt etwas nicht.“ Dann bediene man nur eine „Abwechslungs-Sehnsucht.“

Und wie steht er zu Projektionen und Film auf der Bühne? „Kann man machen, man darf es nur nicht mischen mit gebauter Dekoration. Und es muss eine Notwendigkeit vorliegen, im Stück oder in der Inszenierung.“ So auch bei der „Göttlichen Komödie“. Schütz: „Wenn zwei Leute, wie Dante und Beatrice, durch den Weltraum fliegen — wie soll man das ohne dreidimensionale Projektionen in einem schwarzen Raum zeigen?“

Wie entstehen seine Bühnenräume? Ganz traditionell, mit Modellen, in Johannes Schütz’ Berliner Atelier. „Gebaute Modelle sind mein Arbeitsgerät. Daran treffe ich Entscheidungen.“ Er verändert sie täglich, auch noch während der Proben. Das gilt auch, wenn er gleichzeitig inszeniert.

Regisseur und Bühnenbildner in einem? Das habe er erstmals in den spätern 80er Jahren gewagt. An der Deutschen Oper am Rhein unter Kurt Horres. Da habe er großes Glück gehabt. Denn unter ihm war die Düsseldorfer Rheinoper noch „ein internationaler, hochkarätiger Laden, in den USA sprach man von dem Haus als ‚Sängerfarm’“, erinnert sich Schütz an die Zeit, als er bereits eine Professur an der Karlsruher Hochschule hatte. Er, der als Junge mit seinem Onkel regelmäßig ins Theater ging, habe nur anderthalb Jahre in Hamburg studiert und dann sofort als Assistent für den damaligen Star Wilfried Minks gearbeitet, u.a. am Berliner Schillertheater. Seine Professur an der Kunstakademie in Düsseldorf will er bald aufgeben. Sechs Studenten betreut er in diesem Semester noch. Auch hier spürt er die Veränderung. Viele beginnen das Bühnenbild-Studium, ohne vorher regelmäßig ins Theater zu gehen. „Das muss ich denen als erstes beibringen.“

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