Brief der "Freien Gruppe Düsseldorf"

In Düsseldorf hat sich eine „freie Gruppe“ gegründet, zu welcher etwa Rita McBride, Rektorin der Kunstakademie, Bettina Masuch (Tanzhaus), Philipp Maiburg (Open Source Festival) und andere etablierte Kunstschaffende gehören. Sie glauben, dass es in Düsseldorf zuletzt kulturpolitisch unfair zuging. Ihre Forderungen formulieren sie in einem Brief, den Alexandra Schmidt und Michael Schmidt, Sprecher der freien Tanz- und Theaterszene, ohne zu zögern unterschreiben würden. Zumal den Satz: „Es muss darum gehen, bestehende Potenziale der freien Szene gegenüber den großen Institutionen adäquat zu unterstützen.“ Die freie Szene hätte gerne mitdiskutiert, sie war zu den Treffen jedoch nicht eingeladen.

Der politische Wechsel in Düsseldorf bringt frischen Wind in den politischen Umgang mit Kunst und Kultur in der Stadt. Die vor kurzem veröffentlichte Koalitionsvereinbarung setzte — u. a. mit einer deutlichen Positionierung für die „Freie Szene“ und der (anders als in Teilen der Presse dargestellt) keineswegs unwillkommenen Entscheidung gegen die Quadriennale — erste Zeichen für einen veränderten kulturpolitischen Kurs. Dass nach eineinhalb Jahrzehnten einseitig repräsentativ ausgelegter Kulturpolitik dringende Veränderungen geboten sind, zeigt auch der Ruf nach einem „Kulturentwicklungsplan“ für Düsseldorf.

Umso notwendiger erscheint es, den direkten Dialog zwischen den kulturellen und politischen Akteuren vor Ort zu suchen oder wo er bereits besteht, fortzusetzen, zu etablieren und auf eine breitere Basis als bisher zu stellen. Nur so lassen sich bestehende Defizite und Potenziale sorgfältig analysieren und neue Perspektiven in Angriff nehmen.

Wir — aktuell Markus Ambach (MAP Markus Ambach Projekte), Hans-Jürgen Hafner (Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen), Rita McBride (Kunstakademie Düsseldorf), Philipp Maiburg (Open Source Festival), Bettina Masuch (Tanzhaus NRW), Kathrin Tiedemann (FFT Düsseldorf), Jan Wagner (Filmwerkstatt e. V.) und Alex Wissel (Künstler) — bilden eine offene Gruppe freier und institutioneller Akteure. Jenseits kulturpolitischer Leitlinien und den bestehenden Agenden der großen Häuser vor Ort suchen wir einen interdisziplinären Dialog zwischen den verschiedensten Kulturproduzenten der Stadt und sind aktuell bereits in der Diskussion mit der Stadtpolitik.

Wir möchten darüber hinaus eine offene Plattform für einen sachbezogenen und inhaltsorientierten kulturellen Austausch als paralleles Forum jenseits der großen Institutionen und der Kulturadministration schaffen. Dies soll einen neuen und direkten kulturpolitischen Dialog zwischen den Kulturschaffende gerade auch der „freien Szene“, den VertreterInnen von Politik, Förderinstitutionen und Wirtschaft und selbstverständlich der Öffentlichkeit in Gang bringen und damit eine gravierende Lücke zwischen geleisteter kultureller Arbeit und ihrer defizitären politischen Repräsentation schließen.

Unsere Initiative möchte alle kulturellen Akteure und darüber hinaus kulturinteressierte Bürgerinnen und Bürger der Stadt einladen, sich direkt in die Diskussion um eine neue Kulturpolitik in Düsseldorf einzubringen, um den von der Politik aktuell prognostizierten Wechsel in der Kulturpolitik aktiv mitzugestalten.

Wir führen unsere Diskussion aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Interessen. Dennoch sind wir in der Beurteilung zahlreicher Aspekte des kulturellen Lebens in Düsseldorf zu einer von allen geteilten Einschätzung gekommen.

Düsseldorfs Selbstverständnis als Art City und die großspurige Außendarstellung verkennen und verstellen das eigentliche Potenzial der Stadt, in der wir leben und arbeiten.

Lokalistische Großevents und populistische Repräsentationskultur verzerren den Blick auf die Diversität und Qualität der vor Ort geleisteten kulturellen Arbeit in bildender Kunst, Bühne, Musik und Film. Der Fokus auf die immer gleichen ‚big names’ wirkt im Städtevergleich ebenso unzeitgemäß wie das Schielen auf Quote provinziell. Auch deshalb fällt beim Blick auf die überregionalen Medien längst ein negatives Echo auf Düsseldorf zurück. Vor allem behindert die Einseitigkeit bisheriger kulturpolitischer Weichenstellungen den für die KünstlerInnen, Kulturschaffenden und Intellektuellen vor Ort wichtigen überregionalen, nationalen und internationalen Austausch. Erst ein solcher Austausch schafft die Grundlagen für eine adäquate Wahrnehmung einer Kunst und Kultur ‚made in Düsseldorf’.

Es muss darum gehen, bestehende Potenziale der freien Szene gegenüber den großen Institutionen des Landes und der Stadt zu erkennen, adäquat zu unterstützen und mit Blick auf Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit zu optimieren. Hierbei geht es insbesondere darum, zeitgenössische künstlerische Praxen und die Perspektiven einer jüngeren Generation zu berücksichtigen.

Statt teuer eingekaufter, aber für die Voraussetzungen und den eigentlichen Wert künstlerischer Arbeit blinden Unternehmensprüfungen streben wir einen inhaltlichen Kassensturz an: eine ebenso konstruktiv wie kritisch zu führenden Bestandsaufnahme und Analyse der Situation, die neben den kulturellen Einrichtungen und Akteuren selbstverständlich die Kulturpolitik selbst betreffen und über die notwendigen Fragen der Betriebswirtschaft hinaus zu den nicht weniger notwendigen, weil eigentlichen Kernbelangen von Kunst und Kultur reichen muss.

Wir wünschen uns eine sachorientierte, über politische und wirtschaftliche Moden sowie althergebrachte, lokale Interessengemengelagen erhabene Kulturpolitik, die sich von den professionellen Akteuren aus den jeweiligen Sachbereichen sowie kompetenten Partnern in den — nicht nur regionalen — Medien informieren, reflektieren, kritisieren und optimieren lässt.

Künstlerische Praxis im öffentlich Raum muss einen höheren Stellenwert in der kulturpolitischen Agenda erhalten. Darüber hinaus bedarf es der Entwicklung zeitgemäßer Formate, die aus den Gegebenheiten des Standortes Düsseldorf und unter Berücksichtigung der Lebensrealitäten seiner Bürgerinnen und Bürger entwickelt werden und sich nicht in der unreflektierten Nachahmung altbackener Projektformate erschöpfen. Als aktuelles Beispiel mag hier der seitens der CDU vorgebrachte Plan für einen „Skulpturen Walk“ gelten. Die zweifelhaften Effekte ähnlicher Projekte konnte man längst an anderen Standorten sehen.

Generell bedarf es einer Neubestimmung der Funktion von Kunst und Kultur als öffentliches Gut und integraler Teil städtisch-bürgerschaftlicher Kultur in Düsseldorf.

Wir möchten diese Diskussion öffentlich unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger führen und gleichzeitig für eine kompetente, sachorientierte und weitblickende Auseinandersetzung mit der Thematik plädieren, ohne Kunst und Kultur immer schon nach ihrer öffentlichen oder ökonomischen Wirksamkeit für den schnellen und populären Effekt bemessen und verkauft zu haben.

Dafür planen wir für Anfang des kommenden Jahres die Veranstaltung eines offenen Gesprächsrunde. Dabei steht die kritische Revision der kulturellen und kulturpolitischen Situation Düsseldorfs ebenso auf dem Programm, wie Perspektiven für eine künftig sinnvolle Schwerpunktsetzung. Bei dem Roundtable samt anschließenden Diskussionsgruppen sollen SprecherInnen aus verschiedenen Bereichen des Düsseldorfer Kulturlebens auf VertreterInnen der Stadtpolitik treffen.

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