Interview „Bach war für mich ein Schlüssel“

Düsseldorf · Interview Der isländische Pianist Víkingur Ólafsson wird als Bach-Interpret gefeiert. Er kommt heute in die Stadt.

Auf Einladung von Heinersdorff gastiert Víkingur Ólafsson am Mittwoch in der Tonhalle.

Auf Einladung von Heinersdorff gastiert Víkingur Ólafsson am Mittwoch in der Tonhalle.

Foto: Ari Magg

Herr Ólafsson, Sie scheinen eine ganz besondere Verbindung zu der Musik von Bach zu haben. Was macht seine Musik so speziell für Sie?

Víkingur Ólafsson: Wie die meisten Klavierschüler, kam ich schon recht früh dazu, Bach zu spielen. Aber ich habe diese Musik erst richtig im Teenageralter begonnen zu verstehen. Mit 14 Jahren verstand ich etwas, was zuvor abstrakt auf mich wirkte mehr und mehr als etwas Poetisches zu begreifen. Als ich das erste Mal eine Aufnahme des Wohltemperierten Klaviers mit Edwin Fischer aus den 1930ern hörte – das ist eine sehr romantische Aufnahme, ich spiele Bach ganz anders –, setzte das aber etwas in mir in Bewegung. Dann begriff ich, dass Bach darüber hinaus, dass er ein grandioser Architekt war, auch einer der größten Klangpoeten aller Zeiten ist. Mit Anfang zwanzig vertiefte sich mein Interesse an Bachs Musik noch mehr, insbesondere als ich mein Studium beendet hatte.

Wie kam es just zu dieser Zeit zu diesem gesteigerten Interesse?

Ólafsson: Die Zeit nach dem Studium ist eine entscheidende Phase im Leben jedes Pianisten. Wenn man als Pianist plötzlich keine regelmäßigen Klavierstunden mehr erhält, dem Klavierlehrer gehorchend, muss eine große Transformation folgen: man muss sein eigener Lehrer werden. Für mich waren Bach und seine Musik hierbei ein Schlüssel. Ich spielte mehr Bach, um mich selbst zu lehren mein eigener Lehrer werden zu können. In Bachs Musik kann man sich hinter nichts verstecken.

Was heißt das genau?

Ólafsson: Alles liegt offen. Technisch, es gibt wenig Herausfordernderes als guten Bach zu spielen, aber auch – und das ist noch wichtiger – musikalisch. Man kann sich nicht verstecken, weil man Bachs Struktur verstehen muss, man sollte in der Lage sein, drei, vier, fünf, verschiedene Stimmen polyphonisch simultan zu hören. Zugleich gibt es die Harmonien. Man muss für sich verstehen, wie viele Freiheiten man sich erlauben darf und wie viel rhythmische Disziplin man braucht. Wenn die Proportionen nicht stimmen, kollabiert die gesamte Interpretation, denke ich. Bach sagt einem nicht, was man zu tun hat, da sind nur die Noten, keine Artikulationen, keine dynamischen Angaben, kein Tempo. Man muss sozusagen seine Musik mitgestalten, fast mitkomponieren.

Welches sind Ihre ästhetischen Paradigmen?

Ólafsson: Es ist nicht einfach in Worte zu fassen. Aber für mich ist das, was das moderne Klavier bei Bach und bei jeglicher Musik bietet, die Fähigkeit Klang zu orchestrieren, eine Vielzahl an unterschiedlichen Texturen zu schaffen. Damit es nicht zwei-, sondern dreidimensional klingt. Alle Stimmen sind in der Textur sehr wichtig, auch wenn sie nicht die gleiche Dynamik haben. Man muss sehr diszipliniert spielen, rhythmisch exakt, aber wenn die Architektur sitzt, dann kann man seine Fantasie frei walten lassen. Auch einer meiner Ikonen – Rachmaninow – arbeitete sehr frei und voller Poetik, jedoch auch in einer Art sehr klassisch.

Lassen Sie uns über das Programm Ihres Düsseldorfer Konzertes sprechen?

Ólafsson: Das Programm ist halb Beethoven und halb Bach. Der erste Teil des Abends besteht aus Musik von meinem neuen Album bei Deutsche Grammophon. Es ist eine Kombination aus Transkriptionen und Originalen von Bach. So werde ich etwa von Rachmaninow eine Bach-Transkription spielen, die sich wie ein vollkommen neues Stück anhört. Die Gavotte aus der Violin-Partita in E-Dur, die sich bei ihm fast jazzig anhört. Es fühlt sich sehr nach den 20ern an. Eine der großartigsten Transkriptionen des 20. Jahrhunderts in meinen Augen.

Und welches Bach-Original liegt Ihnen besonders am Herzen?

Ólafsson: Ich spiele die Aria Variata von Bach. Jeder denkt an die Goldberg-Variationen, aber diese Variationen sind auch ein absolutes Meisterwerk, wenngleich sie auch viel kürzer sind. Dieses Werk wird unverständlicherweise vollkommen unterschätzt. Man spielt es kaum.  

Ólafsson konzertiert auf Einladung von Heinersdorff am Mittwoch, 20 Uhr, in der Tonhalle.Restkarten und weitere Informationen:

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