Auf Augenhöhe mit den Kindern

Bastian Fleermann ist neuer Leiter der Mahn- und Gedenkstätte. Er bereitet eine deutschlandweit einmalige Schau vor.

Düsseldorf. Das Stadthaus an der Mühlenstraße 29 ist ein Ort trauriger Geschichte: Während der Nazizeit diente es SS und Gestapo als Zentrale, am alten Landgericht gegenüber wurde von 1975 bis 1981 der Majdanek-Prozess um KZ-Aufseher verhandelt. Das Haus Nr. 29 war sozusagen eingekreist vom Grauen und ist gerade deswegen der richtige Platz für Gerechtigkeitskämpfer. Das jedenfalls meint Bastian Fleermann. Er leitet seit dem 1. Juli die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, eine Einrichtung für Opfer des Nationalsozialismus’. Da das Stadthaus zurzeit umgebaut wird, sind Fleermann und sein Team vorübergehend in der Mühlenstraße 6 tätig. Vermutlich im Winter 2012 geht es jedoch zurück an die alte Wirkstätte.

Herr Fleermann, für viele Jugendliche gehört der Nationalsozialismus in die Kategorie „langweiliger Geschichtsunterricht“. Da macht die Mahn- und Gedenkstätte wohl keine Ausnahme.

Bastian Fleermann: Es gibt diesen Trend, das ist richtig. Mit unserer neuen Dauerausstellung wollen wir daran etwas ändern und den Anteil der jungen Besucher und derjenigen mit Migrationshintergrund erhöhen.

Wie wollen Sie das anstellen?

Fleermann: Unser neues Konzept stellt die Biographien von Düsseldorfer Jugendlichen ins Zentrum der Ausstellung. Das ist deutschlandweit einmalig. Anhand von konkreten Beispielen aus den Stadtteilen geben wir den Holocaust-Opfern ein Gesicht.

Wie nah rücken heutige Jugendliche an die Geschichte heran?

Fleermann: Unser Ziel ist nicht eine Überidentifikation mit den Opfern. Unsere Botschaft ist: Es gibt Berührungspunkte. Mit Begriffen wie Flucht, Angst und Mut können auch heutige Jugendliche etwas anfangen. Es ist doch klar, dass ich mehr erreiche, wenn sich Besucher und Ausstellung quasi auf Augenhöhe begegnen. Wenn ein damals 13-jähriger Junge aus Derendorf etwas erzählt und nicht der 63-jährige Gewerkschaftsfunktionär, dann erreiche ich damit eher Jugendliche.

Das heißt, Sie liefern konkrete Beispiele?

Fleermann: Ja. Das ist unerlässlich. Schließlich war die Namenlosigkeit eine wichtige Strategie des NS-Vernichtungsapparats. Und dem stellen wir Einzelfälle gegenüber. Keine Schicksale wohlbemerkt. Dieser Begriff ist irreführend. Die NS-Verbrechen waren nicht schicksalhaft, sondern eine von Menschen erdachte Tötungsmaschinerie.

Was sind das für Einzelfälle?

Fleermann: Wir wollen vor allem zeigen, wie vielschichtig Kindheit in Düsseldorf war — mit Jugendlichen in der Arbeiterbewegung, Kindern im Zigeunerinternierungslager, dem Sohn eines hohen Nazi-Funktionärs oder der Tochter eines jüdischen Einzelhändlers. Kindheit in Düsseldorf war eben nicht nur Hitler-Jugend. Erlebnisse und Begebenheiten aus dem Leben dieser Kinder ähneln unseren Erfahrungen. Jeder unserer Besucher war ja auch einmal Kind.

Woher kommen all die Geschichten für die Ausstellung?

Fleermann: Meine Vorgängerin Angela Genger ist in der ganzen Welt herumgereist und hat über Jahre Interviews mit vielen Düsseldorfern geführt. Es ist ihr ganz großes Verdienst, dass diese Tonaufnahmen, Fotos und Filme existieren.

Wie wollen Sie diese präsentieren?

Fleermann: Wir haben zum Beispiel ein Foto von dem jüdischen Sportclub Maccabi-Düsseldorf aus den 1930er Jahren. Das werden wir als Touchscreen ausstellen. Der Besucher kann einen abgebildeten Sportler berühren, und es öffnet sich der jeweilige Lebenslauf.

Sparen Sie die Erwachsenen komplett aus?

Fleermann: Nein, in einem Teil der Ausstellung gehen wir auch auf sie ein. Wir werden Täter und Widerstandskämpfer gegenüber stellen. Und wir werden, das ist ebenfalls neu, auch die Zeit nach 1945 thematisieren.

Welchen Fragen gehen Sie dabei nach?

Fleermann: Wie erinnert sich eine Stadt an die Entnazifizierung? Woran erinnert sie sich und woran nicht?

Und Sie glauben, ehrliche Antworten zu bekommen?

Fleermann: Ja, heute geht man in Düsseldorf mit in der NS-Zeit sehr viel offener um als noch vor 20, 30 Jahren. Zudem ist die Bevölkerung nach wie vor sehr interessiert.

Woran machen Sie das fest?

Fleermann: Wir haben nahezu täglich Anfragen von Zeitzeugen, von Düsseldorfern, die wissen wollen: Wer hat früher auf meiner Straße, in meinem Haus gelebt. Unser Telefon klingelt ständig, und wer sagt, dass das Thema Holocaust abgefrühstückt ist, den lade ich gerne ein, eine Woche lang bei uns ein Praktikum zu machen. Die NS-Zeit hat viele Wunden hinterlassen und viele offene Fragen. Und solange das so ist, arbeiten wir weiter.

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