Düsseldorf Amateure sind die Stars im Tanzhaus

Zum Spielzeitstart stehen ganz normale Düsseldorfer auf der Bühne. Die Stücke stammen von internationalen Künstlern.

Düsseldorf. Jérôme Bel hat vor ein paar Jahren in einer Performance-Serie Künstlerpersönlichkeiten aus der zweiten Reihe vorgestellt. Aus dem hochgelobten Pariser Ballettcorps wählte er eine 41 Jahre alte Tänzerin aus, die zeit ihrer Karriere im Dickicht dieser Massen-Kompanie (154 Tänzer) nahezu unsichtbar geblieben war. Die Direktion der Pariser Oper zeigte sich irritiert und hätte lieber einen ihrer Stars ins Rampenlicht gerückt. Das ließ Jérôme Bel nicht zu. „Erdenkt eben besonders klug über Tanz nach“, sagt Bettina Masuch, die Leiterin des Tanzhaus NRW, die den französischen Choreografen seit Jahren kennt. „Er will die zum Sprechen bringen, die sonst nicht gehört werden.“

Seine neue Arbeit „Gala“ eröffnet heute die Spielzeit 2014/2015 an der Erkrather Straße. Dieses Mal gibt es gleich zwei Stücke zu sehen, in denen ausschließlich Düsseldorfer auf der Bühne stehen. Fast alle sind Amateure und treten zum ersten Mal vor einem größeren Publikum auf. Sie sind alt und jung, fit und weniger fit, Profi-Tänzer, pensionierte Lehrer, Sozialarbeiter oder haben ein Handicap. Sie sind die Protagonisten der Show. Sie tanzen. Nicht so gut sie können, sondern so gern sie mögen.

Immer wieder stellen Profis Laien auf die Bühne und lassen sie weitestgehend sie selbst sein. Dies anzuschauen, bringt Zuschauer nicht immer weiter und macht auch nicht immer Freude. „Natürlich ist es noch kein Statement, einfach nur mit Amateuren zu arbeiten“, sagt Bettina Masuch dazu. „Und manchmal muss es auch nicht sein.“ Jérôme Bel stoße da jedoch in andere Dimensionen vor. Konsequent vertrete er in seinen Werken die Überzeugung, Tanz müsse von allen handeln. Auch von den Unperfekten. „Wir haben selbst im zeitgenössischen Tanz meist nur junge Schöne auf der Bühne“, sagt Masuch, „aber das gibt unsere Gesellschaft nicht wieder.“

Bels „Gala“ war bereits in Buenos Aires und Brüssel zu sehen und hat für viel Heiterkeit gesorgt. Die Zuschauer amüsieren sich über die verunglückten Pirouetten der Amateure ebenso wie über den Ballett-Profi, der sich unbeholfen an Michael Jacksons Moonwalk versucht. „Die Kunst liegt nicht in de Virtuosität, sondern in der Hingabe an die Tanzform“, sagt Bettina Masuch.

Die Musik zu den jeweiligen Performances — vor allem Pop, aber auch Folk und Rumba — wählen die Akteure selbst aus. Dass sich diese in ihrer neuen Rolle wohlfühlen, dafür sorgen Bels Assistenten Maxime Kurvers und Sheila Attala. „Wir haben nur wenig Zeit, bloß ein paar Tage“, sagt Kurvers. „Aber wir puschen sie mit viel Energie. Das kriegen wir immer hin, und am Ende steht ein Ensemble auf der Bühne.“

Die zweite Amateur-Inszenierung des Eröffnungsfestivals hat Jan Martens kreiert. Er ist „factory artist“, gehört also zu einem kleinen Kreis ausgewählter Künstler, die am Tanzhaus ihren kreativen Prozess vorantreiben. Das Fachmagazin „tanz“ wählte Martens kürzlich in die Gruppe der „Hoffnungsträger 2015“. Zum Spielzeitauftakt präsentiert er in der deutschen Erstaufführung von „Common People“ 48 Düsseldorfer, die sich zu blind dates auf der Bühne treffen — sich vielleicht kennenlernen, mögen, vertrauen, doof finden. Für diese Serie an Begegnungen gibt Martens den Mitwirkenden bloß knappe Handlungsanweisungen. Das Wesentliche ergibt sich auf der Bühne, wo die Akteure den Ton angeben.

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