Beethoven-Jahr 2020 Als „Fidelio“ in Düsseldorf für Buhrufe sorgte

Düsseldorf · Um die einzige Oper von Beethoven machen renommierte Regisseure bis heute einen Bogen. Opern-Zar August Everding wagte es 1990 dennoch und bescherte der Landeshauptstadt ein unvergessliches Erlebnis. „Fidelio“ war auch im Opernmobil zu erleben und sogar eine Schauspielhaus-Chefin versuchte sich daran.

 Das Autograf der Oper „Fidelio“ vermittelt einen lebendigen Eindruck von Beethovens expressiver Schrift.

Das Autograf der Oper „Fidelio“ vermittelt einen lebendigen Eindruck von Beethovens expressiver Schrift.

Foto: dpa/Oliver Berg

„Eine Rettungs- Befreiungs-Oper“ wollte Beethoven zu Beginn des 19. Jahrhunderts schreiben. Im Nachklang der Französischen Revolution, die in Terror und Tausenden von willkürlichen Todesurteilen gipfelte. Das war gerade mal zehn Jahre her, als Ludwig van Beethoven 1805 seinen „Fidelio oder die eheliche Liebe“ – und damit seine einzige Oper – herausbrachte. Erst die dritte Fassung von 1814 bescherte – jetzt unter dem Titel „Fidelio“ – dem gebürtigen Bonner einen durchschlagenden Erfolg. Machte ihn europaweit bekannt.

Everding schuf ein unvergessenes Opern-Erlebnis

Befreiung und Rettung aus einer Diktatur lagen auch nach dem Mauerfall vor 30 Jahren in der Luft – als August Everding (1928-1999) diese Oper in der Rheinoper inszenierte. Auf Einladung von Kurt Horres, der 1986 bis 1996 das Zweistädte-Haus leitete. Der allmächtige Intendant der Bayerischen Staatstheater, als Regisseur und Macher weltweit gefeiert – bis an die New Yorker Met – bescherte Düsseldorf im März 1990 ein unvergessliches Opern-Erlebnis. Obwohl renommierte Opernregisseure bis heute einen Bogen um das Werk machen, das zwischen biedermeierlicher Idylle und Gefängniswelt schwankt und relativ geringe Handlung bietet. Everdings wagte es.

Doch die Lametta-Uniformen und knallenden Lackstiefel von Wachsoldaten und Offizieren, Stacheldrahtzäune und andere damals aktuell wirkenden Anspielungen auf KZ, Gefängnisse, auf das Ende der DDR und Zwangsherrschaften in Osteuropa bescherten Opernzar Everding nur wenige Bravorufe. Ein Buhorkan donnerte nach der Premiere (in Anwesenheit des einstigen Landesvaters Johannes Rau) los, an den sich ältere Premieren-Abonnenten noch heute erinnern dürften. Verblüfft war Mister Überall Everding. Mit einem solch’ wuchtigen Sturm von Buhrufen hatte der Opern-Weltbürger nicht gerechnet - und das in der „Provinz“! Er erholte sich nur langsam davon, beim Drink nach der Premiere im Breidenbacher Hof. Düsseldorfer versöhnten sich mit ihm, als er 1995 die Uraufführung von Giselher Klebes „Gervaise Macquart“ inszenierte und feierten ihn.

Das Erstaunliche aus heutiger Sicht: Zwar waren 1990 Boulevard-Schlagzeilen wie „Düsseldorfer buhten Everdings Fidelio aus – Beethoven Oper als aktuelles Polit-Spektakel“ unvermeidbar, und erneut wurde die  Diskussion der späten 1980er Jahre über politische Aktualität auf der Bühne entfacht, bei Publikum und Kritikern. So urteilte WZ-Redakteurin Sophia Willems damals: „Er hat dankenswert kühn und gegen den Zeitgeist der Rasanz und des flotten Tempo inszeniert. Darum auch gelingen ihm bitterböse wahre Bilder“. Andere sprachen von „Ärgernis“ oder warfen der Regie „brave Konvention“ und „gefährliche, platte Aktualisierung“ vor.

Everdings „Fidelio“ hielt sich trotz Ärger auf dem Spielplan

Doch hielt sich Everdings „Fidelio“ auf dem Spielplan der Deutschen Oper am Rhein. Lange Jahre. Stark nachgefragt waren die Karten für die Wiederaufnahmen in Duisburg 2004/2005. Mit Hans Wallat am Pult, der legendäre Ehren-Maestro der Symphoniker, der auch die Premiere 1990 dirigiert hatte. Extrem breit angelegt, mit tiefer Trauer und klagender Sehnsucht.  Ebenso 2006, als Intendant Tobias Richter eine leicht überarbeitete Fassung im Rheinopernmobil (ROM) herausbrachte. (Red.: die Ausweichspielstätte auf dem Platz vor dem Landtag, während der Sanierung des Hauses an der Heine-Allee).

Der anhaltende Erfolg war auch verbunden mit den Sängern der Hauptrollen, an die Beethovens Partitur gewaltige Forderungen stellt. Florestans „Gott, welch Dunkel“ verlangt einen Heldentenor, der mühelos von Null auf Hundert aufdrehen kann. So stand 2007 mit Christian Schmidt immer noch derselbe Sänger und ein gefeierter Wagner-Tenor auf den ROM-Brettern wie bei der Premiere 1990. „Prachtvoll“ und „mit strahlenden Spitzentönen“.

Zur Zeit der Duisburger Wiederaufnahme sang Wagner-Expertin Linda Watson (seit den späten 1990ern im Ensemble) die Leonore und wurde in der Bravour-Arie „Abscheulicher, wo eilst Du hin, was hast Du vor?“ bejubelt. Anders noch als die Leonore von 1990 – Janis Martins, die trotz dramatischer Stimme in den Höhen zwar nicht patzte, aber sie doch knallhart und wenig geschmeidig über die Rampe brachte.

Wie kompliziert es für Regisseure ist, mit Beethovens „Fidelio“ einen Hit zu landen, musste 2007 auch Amélie Niermeyer erfahren. Die damalige Schauspielhaus-Intendantin versuchte sich daran. Ob ihre Inszenierung ein Flop war? Vielleicht. Jedenfalls verschwand sie kurze Zeit später in der Versenkung. Und heute? Derzeit ist hier kein neuer „Fidelio“ in Sicht, selbst nicht zum Beethoven-Jubiläum.

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