Alfons Schnitzler und Christian Ehring im Interview: "Das Potenzial des Gehirns ist riesig"

Düsseldorf. Hirnforscher Alfons Schnitzler und Kabarettist Christian Ehring sprechen im WZ-Interview über lebenslanges Lernen und das Älterwerden.

Herr Ehring, Herr Schnitzler, muss man lieben, was man lernt?

Schnitzler: Es ist ein großer Vorteil, wenn man mag, was man lernt.

Ehring: Bei mir ist manchmal auch der Ehrgeiz dabei, es gut machen zu wollen. Oder gegen andere bestehen zu können. Vielleicht eine etwas männliche Art sich zu motivieren. Früher hat mich angespornt, in politischen Diskussionen meinem Vater Paroli bieten zu können.

Wie erklären Sie das aus Sicht der Hirnforschung?

Schnitzler: Wir wissen, dass Lernen und Emotionen sehr eng zusammenhängen und sich sowohl positiv wie negativ beeinflussen können. Wenn Sie Angst haben, dann wird Ihr Informationsverarbeitungssystem extrem eingeschränkt. Etwa, wenn Sie eine Schlange auf der Straße sehen. Evolutionär gesehen ist das sinnvoll, Sie müssen alles darauf konzentrieren wegzulaufen.

Was ist Lernen?

Schnitzler: Wir haben eine Vielzahl von Nervenzellen. Etwa hundert Milliarden und jede Nervenzelle hat mehrere tausend Verbindungen zu anderen Nervenzellen. Diese Verbindungen — auch Synapsen genannt — dienen der Informationsübertragung. Sie sind nicht starr, sondern funktionieren flexibel, sie können sich verändern.

Was bedeutet das?

Schnitzler: Beim Lernen wachsen diese Synapsen. Sie können größer aber auch kleiner werden oder sogar verkümmern. Wenn Sie etwas oft wiederholen, wird die Informationsübertragung über die Synapsen effizienter.

Das Gehirn ist also trainierbar wie ein Muskel?

Schnitzler: Absolut.

Es gibt Menschen wie Herrn Ehring, die sind schnell im Kopf. Ist das angeboren?

Schnitzler: Angeboren ja, aber das ist auch etwas, was man in der frühen Kindheit lernt. Lernen hinterlässt Spuren im Gehirn, und eingetretene Pfade lassen sich viel leichter wieder begehen. Andererseits verhindern sie, Neues zu lernen. Es ist sehr schwer, etwas wieder zu verlernen.

Herr Ehring, ist Ihre Schlagfertigkeit angeboren oder gelernt?

Ehring: An der Lockerheit musste ich arbeiten. Ich war als Kind eher ruhig. Ich habe aber gemerkt: Wenn ich mal was Originelles gesagt habe, bekam ich eine positive Bestätigung, die mich motiviert hat. Auf der anderen Seite gibt es auch negative Eigenschaften bei mir, die sind ganz früh gespurt worden. Ich hoffe aber, dass man auch das noch Überschreiben kann.

Als Kabarettist müssen Sie auf der Bühne vieles im Kopf haben. Dinge, die Sie morgens in der Zeitung lesen, verarbeiten Sie abends.

Ehring: Sachen, die ich vorher schnell gelernt habe, funktionieren anders von der Erinnerung her als das, was ich schon 250 Mal gespielt habe. Es gibt da offenbar ein Wechsel der Ebenen im Gehirn.

Herr Schnitzler, warum geht da nichts schief?

Schnitzler: Es gibt die Routinen, die im Langzeitgedächtnis gespeichert sind und zuverlässig funktionieren. Und dann kommen kreative Phasen dazu, wo neue Dinge passieren, die im Arbeitsspeicher ablaufen und fehleranfälliger sind. Und es kann durchaus auch zu Fehlern kommen, wenn der Arbeitsspeicher auf das Langzeitgedächtnis zurückgreift.

Kommt das vor?

Ehring: Klar. Es gibt aber auch Fehlleistungen, die die Gehirne der Zuschauer korrigieren. Ich habe schon Sachen falsch gesagt, und das hat niemand wahrgenommen.

Schnitzler: Unsere Wahrnehmung ist durch unsere Erwartung verzerrt.

Herr Ehring, wie lernen Sie Texte?

Ehring: Ich lerne, in dem ich mir klar mache, was will ich sagen. Also die Aussage und nicht den Wortlaut. Dann lerne ich durch lautes Vorsprechen, damit man das Musikalische mit in den Kopf bekommt. Wenn wir proben, ist das ja ein Prozess: Dann ist jede Situation mit Gefühlen, mit Interaktion verknüpft. Ich habe ja nicht 350 Seiten Text im Kopf gespeichert.

Und wenn der Text weg ist?

Ehring: Diese kurzen Panikattacken auf der Bühne kennt wohl jeder. Wenn man sich aber beruhigt, weiß das Gehirn, wie es weiter geht.

Schnitzler: Wenn die Angst alles einengt, gibt es eine Blockade. Entscheidend ist aber auch der Kontext. Sie erinnern sich auf der Bühne im Kom(m)ödchen mit ihren Kollegen, woanders wäre es schwieriger.

Herr Schnitzler, wenn ich meine Synapsen bewusst stärken will, was muss ich tun?

Schnitzler: Das Gehirn benutzen, das ist ganz klar. „Wer rastet, der rostet“ — das gilt für den ganzen Körper, aber erst recht für das Gehirn. Es kommt darauf an, was Sie erreichen wollen. Wenn es um Kreativität geht, dann ist stupides Auswendiglernen nicht förderlich. So bilden Sie tiefe Pfade.

Herr Ehring, wie halten Sie Ihr Gehirn fit?

Ehring: Nicht bewusst. Aber Lernen findet nicht nur am Schreibtisch statt, sondern eben auch durch Filme oder Bücher, die meine Art die Welt zu sehen beeinflussen. Oder Erlebnisse mit anderen Menschen. Ich versuche generell, so neugierig wie möglich zu bleiben.

Herr Schnitzler, wir haben unglaublich viele Zellen, die wir gar nicht nutzen.

Schnitzler: Das Potenzial ist riesig. Da kommen Sie nur durch Aktivität ran.

Gibt es körperliche Grenzen für lebenslanges Lernen?

Schnitzler: Die gute Nachricht ist: Lernen ist bis ins höchste Alter möglich. Es geht später etwas anders, weil ein altes Gehirn auf anderes Wissen zurückgreifen kann. Das kann von Vorteil und Nachteil sein. Aus Zeit-, aber auch Kapazitätsgründen werden Sie es nicht mehr zu einer solchen Qualität bringen können, wie in einem jungen Alter.

Herr Ehring, wie hat sich Ihr Lernen verändert?

Ehring: Ich habe das Gefühl, dass es tendenziell besser geht. Zwischen 20 und 30 war ich sehr unorganisiert. Heute bin ich wesentlich effektiver. Je mehr man weiß, desto mehr Anknüpfungspunkte gibt es.

Schnitzler: Die Anknüpfungspunkte sind entscheidend. In der Regel, braucht man beim Lernen nicht vor vorne anfangen.

Die Aussicht für Herrn Ehring ist also, dass er bis ins hohe Alter auf der Bühne und vor der Kamera stehen kann.

Schnitzler: Absolut, und das hoffe ich auch.

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