Theater „Der zerbrochne Krug“ in Düsseldorf: Ein Stück auf #MeToo

Düsseldorf · Regisseurin Laura Linnenbaum rechnet in ihrer Kleist-Inszenierung mit dem Patriarchat ab.

Adam (Andreas Grothgar) versucht Eve (Cennet Rüya Voß) mit Drohungen einzuschüchtern.

Adam (Andreas Grothgar) versucht Eve (Cennet Rüya Voß) mit Drohungen einzuschüchtern.

Foto: Sandra Then

Ein türloser Raum aus grauem Marmor. Mit Fernseher, Kühlschrank und Leiter. Darunter ein Kellerareal, durch das die Akteure auf allen vieren krabbeln. So sieht die Bühne aus, auf der Regisseurin Laura Linnenbaum den „Zerbrochnen Krug“ spielen lässt. Das Kleist-Stück feierte am Donnerstag im Central Premiere.

Der nächtliche Besuch des Richters bei Eve ist die Schlüsselszene des Stücks

Die Aufführung startet im Dunkeln. Dorfrichter Adam lässt sich in Robe und Perücke von der spärlich bekleideten Eve scheinbar verführen. Bis die Szene kippt: Sie stopft Adam einen Apfel ins Maul, reißt sich los und entschwindet. Halbnackt kriecht Adam über den Boden, röchelt, droht zu ersticken. Es ist die Schlüsselszene des Lustspiels. Was genau in Eves Zimmer passiert ist, lässt Kleist aus. Hat der Dorfrichter sie sexuell belästigt oder gar vergewaltigt? Für Adam hat diese Nacht jedenfalls nicht nur körperliche Folgen. Licht (Rainer Philippi), sein dienstbeflissener Schreiber und späterer Nachfolger, findet ihn am nächsten Morgen mit verwundetem Kopf, zerschundenem Gesicht und lädiertem Fuß. Zu Adams Unglück kommt auch noch Gerichtsrat Walter vorbei, um die Justiz im Lande zu überprüfen. Ausgerechnet an jenem Tag startet auch noch der Gerichtsprozess um jenen Krug, den der Richter höchstselbst nach seinem Überfall auf Eve zertrümmert hat. Walter wohnt dem Gerichtsverfahren als Supervisor bei.

Die Komödie besticht durch karnevaleske Figuren, gewitzten und geistreichen Dialogen

Nun startet die Komödie mit ihren von karnevalesken Figuren, gewitzten und geistreichen Dialogen. Adam erscheint nur noch als Karikatur eines Justizvertreters. Da er seine Perücke nach dem Besuch bei Eve verloren hat, muss er die Gerichtsverhandlung kahlköpfig führen. Andreas Grothgar mimt Adam mit kraftvoller Komik und führt auch seinen Vorgesetzten lustvoll an der Nase herum. Denn auch Walter, der zunächst wie der rettende Aufklärer wirkt, ist angeschlagen: Nicht nur seine Hand ist verletzt, auch lässt er sich von Adam mit Käse und Wurst korrumpieren. Florian Lange führt Walters scheiternden Kampf um Aufklärung überzeugend vor. Michaela Steiger mimt die Klägerin Marthe Rull, Eves Mutter, ernst und nüchtern, aber glaubwürdig. Sie beschuldigt Ruprecht, dem angehenden Bräutigam Eves, ihren Krug zerstört zu haben. Stefan Gorski gibt den Bauernsohn als jugendlich aufbrausend. Er wiederum bezichtigt Eve, einen Liebhaber empfangen zu haben und beschimpft sie als als Dirne.

Eve erhält ihren Monolog wieder, den Kleist ihr einst weggekürzt hatte

Doch so komisch die menschlichen Unzulänglichkeiten auch erscheinen mögen, gibt es letztlich ein Opfer: Eve. Cennet Rüya Voß verkörpert sie still, zerbrechlich und unschuldig. Doch am Schluss kriegt sie den Monolog wieder, den Kleist einst weggekürzt hatte. Hierin schildert Eve den Tathergang. Bewegend und unerlässlich! Denn obwohl die Beweise für Adams Täterschaft offen liegen, schweigen alle Beteiligten. Doch Eve schlägt auch das Versöhnungsangebot von Ruprecht aus. Als zu respektlos empfand sie sein Verhalten. Umso erschütternder das Finale, bei dem Eve von Walter vergewaltigt wird und Adam einen anderen Posten im Justizapparat erhält. So mutiert Linnenbaums Kleist-Inszenierung zu einem emanzipatorischen Kommentar auf die #MeToo-Debatte.

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