Alltagshelden Wie man zum Vorbild der „Flöckchen“ wird

Düsseldorf · Jennifer Hälsig (30) unterrichtet im Tanzsportclub Düsseldorf Rot-Weiss wöchentlich rund 250 Kinder. Möglich ist das nur mit viel ehrenamtlichem Einsatz.

 TD-Jugendwartin Jennifer Hälsig, die alle nur als Jenny kennen, unterrichtet Kinder und Jugendliche im Alter von drei bis 16 Jahren.

TD-Jugendwartin Jennifer Hälsig, die alle nur als Jenny kennen, unterrichtet Kinder und Jugendliche im Alter von drei bis 16 Jahren.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Für sie ist die Arbeit im Verein viel mehr als nur ein Job. Jenny, deren Nachname weder die Kinder noch die meisten Eltern kennen, mit den markanten roten Lippen, dem dunklen Pony, der hohen Stimme und dem ausgeprägten Selbstbewusstsein, ist für ihre Schüler Vorbild, Vertraute, Spielkameradin und konsequente Lehrerin in einem. Bis zu 250 Kinder und Jugendliche unterrichtet sie pro Woche im Tanzsportclub Rot-Weiss in Flingern-Nord – ein Fulltime-Job, wie sie sagt.

Heute Vormittag noch saß sie im Hörsaal, wie so oft mit der Melodie eines Volker-Rosin-Songs im Ohr. Stunden später steht die 30-Jährige mit schwarzer Leggins und geradem Rücken an der Glastür zum großen Tanzsaal und beantwortet mit einem breiten Lächeln die Fragen der Eltern. Ihre „Tanz-Flöckchen“ sitzen bereits auf den bunten Kissen im Halbkreis und rutschen ungeduldig hin und her. „Wir können anfangen“, säuselt Jennifer Hälsig schließlich gut gelaunt und setzt sich zu den Drei- und Vierjährigen auf das Parkett.

Für den Job als Trainerin gab sie ihre eigene Tanzkarriere auf

Zehn Gruppen sind es, die sie in der Woche unterrichtet. Zehn Stunden werden ihr als Trainerin bezahlt. Darüber hinaus ist viel ehrenamtliches Engagement notwendig, um den Betrieb zu ermöglichen. Allein mit der Pflege der Gruppen- und Wartelisten, mit der Koordination von An- und Abmeldungen und dem E-Mail-Verkehr hat die Studentin alle Hände voll zu tun. „Ich bekomme allein täglich bis zu 35 E-Mails von Eltern“, sagt sie. Hinzu kommen Vor- und Nachbereitungen der Stunden. Lieder müssen ausgesucht, Tänze choreographiert werden.

Bei den Kleinen greift sie gerne auf Kinderlieder von Volker Rosin zurück, zu denen es bereits Schrittfolgen gibt. „Bei den etwas Größeren muss ich aber gar nicht erst mit so etwas um die Ecke kommen“, sagt sie und lacht. Angesagt sind dann eher Hits aus dem Radio, für die sie sich dann die entsprechenden Tänze ausdenkt. Für die Kinder und Jugendlichen ist die 30-Jährige ein Vorbild – nicht nur tänzerisch. Ihre Trainerin schaffte es, als Legasthenikerin mit viel Fleiß und Ehrgeiz und ohne Ehrenrunde zum Abitur. Heute studiert sie und erfüllt sich den Traum, von dem sie schon als Kind in alle Poesie-Alben schrieb: Lehrerin zu werden.

Seit September 2013 ist Jennifer Hälsig Kinder- und Jugendtrainerin. Sie selbst tanzt seit ihrem dritten Lebensjahr. Erst Ballett, Jazz-Dance und Hip Hop, später Formationstanzen Latein. Mit Anfang 20 brachte sie Tanztrainer Oliver Seefeld, bekannt aus der RTL-Show „Let‘s dance“, im Tansportclub Rot-Weiss ins Team der 1. Bundesliga. „Eines Tages saß ich mit Freunden im Club zusammen und bekam mit, dass die damalige Kindertrainerin aufhörte“, erinnert sie sich. Erst zögerte sie, trainierte sie selbst damals bis zu 40 Stunden in der Woche. Doch dann erkannte sie die Chance, zwei Dinge zu vereinen, die ihr Spaß machen: Tanzen und der Umgang mit Kindern. Dafür hängte sie ihre eigene Tanzkarriere bereitwillig an den Nagel.

Angefangen hat sie mit zwei Gruppen, dann wurden es sukzessive mehr Kinder und Jugendliche. In einigen Gruppen muss sie heute bis zu 36 kleine Kinder zusammenhalten. „Das klappt nur mit Konsequenz“, sagt sie. Und tatsächlich: Die Schüler wissen, dass mit ihrer Jenny nur in einem gewissen Rahmen zu spaßen ist. Gerempelt und geschubst wird in ihren Kursen nie. „Zuckerbrot und Peitsche“ flüstern Eltern deshalb auch gerne mal augenzwinkernd, wenn die Kinder nach der Stunde strahlend ihr Belohnungs-Gummibärchen aus dem Tanzsaal mitbringen.

Von den Eltern fühlt sich Hälsig oft nicht genügend wertgeschätzt

Wie sehr die Trainerin jede einzelne kleine Tänzerin und jeden einzelnen Tänzer (Jungs sind deutlich in der Unterzahl) ins Herz schließt, wird auch deutlich, wenn sie über das Schwierigste an ihrem Job spricht: „Jede Kündigung bricht mir das Herz“, sagt sie. „Es fällt mir sehr schwer, die Kinder wieder ziehen zu lassen. Auch wenn ich natürlich weiß, dass Kinder sich verändern und anderes ausprobieren wollen. Einen Stich versetzt es mir trotzdem immer wieder.“

Probleme, die Gruppen zu füllen, hat der Verein aber nicht. Mit jeder Kündigung rücken Kinder von der Warteliste nach. Dass mit jeder Anmeldung auch der Aufwand vor und nach dem Training wächst, nimmt die 30-Jährige gerne in Kauf. „Entweder man liebt seinen Job oder man ärgert sich über Überstunden“, sagt sie entschlossen. Dass die Kinder sich jede Woche auf das Tanzen freuen, ihre Augen leuchten, sobald sie zur Tür hereinkommen, das ist für die Trainerin die größte Wertschätzung und die beste Entlohnung.

Von den Eltern fühlt sie sich hingegen oft missverstanden. „Ich glaube nicht, dass die Eltern wissen, was hier ehrenamtlich geleistet wird“, sagt sie. „Manchmal fühle ich mich wie eine Kinderabstellstation.“ Der Raum, in dem die Eltern mit den Geschwisterkindern warten, wird oft in einem unzumutbaren Zustand hinterlassen. „Es kam schon vor, dass ich Kaugummi vom Boden kratzen musste oder ganze Möbel zu Bruch gingen.“ Die Spielecke, die sie für wartende Geschwisterkinder eingerichtet hatte, musste entfernt werden, weil Bücher, Spielzeug und Puzzle innerhalb weniger Wochen zerstört wurden.

Auch das fehlende Engagement der Eltern, sich an Veranstaltungen zu beteiligen, bremst Hälsig in ihrem eigenen Enthusiasmus. Beim Kinder-Musical, das sie jedes Jahr ehrenamtlich organisierte und choreografierte und für deren Kostüme sie selbst unzählige Stunden an der Nähmaschine saß, beteiligten sich zuletzt von 250 Kindern nur zwölf Eltern als Helfer. Auch aus diesem Grund wird es das Musical, das jedes Jahr 500 bis 700 Menschen in das Clubhaus an der Altenbergstraße zog, künftig nicht mehr geben. Das Sommerfest und die Weihnachtsfeier, ebenfalls von der Jugendwartin organisiert, wird aber weiterhin stattfinden – wenn auch alternierend.

Ans Aufhören will die 30-Jährige noch nicht denken. „Ich habe mir keine Frist gesetzt. Aber auch ich merke, dass mein Nervenkostüm mit fortschreitendem Alter schwächer wird“, sagt sie und lacht. In den nächsten zwei Jahren will sie mit ihrem Lehramt-Studium fertig sein. Bis dahin hofft sie, einen geeigneten Nachfolger für einen Teil ihrer Kurse gefunden zu haben, um im Club kürzer treten zu können. „Komplett aufhören werde ich dann, wenn die Kinder keine Lust mehr auf mich haben“, sagt sie. Dass dieser Zeitpunkt aber jemals eintreten wird, lässt sich beim Anblick der Tanz-Flöckchen, nur schwer vorstellen.

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