Interview Sie zeigen, wo die Mode herkommt

Düsseldorf · Das Düsseldorfer Startup Retraced hat ein System entwickelt, das die Produktionsketten von Modeunternehmen sichtbar macht. Mit dieser Idee wurde es für den Nachhaltigkeitsspreis nominiert.

 Die beiden Gründer Lukas Pünder (l.) und Philipp Mayer in ihrem Büro im Areal Böhler.

Die beiden Gründer Lukas Pünder (l.) und Philipp Mayer in ihrem Büro im Areal Böhler.

Foto: Maximilian Lonn

Wenn am heutigen Donnerstag und Freitag im Maritim Hotel am Flughafen der Deutsche Nachhaltigkeitspreis verliehen wird, ist auch ein Startup aus Düsseldorf unter den Nominierten: Retraced. Das junge Unternehmen mit Sitz im Areal Böhler hilft Modeunternehmen dabei, ihre gesamte Produktion- und Wertschöpfungskette für den Endkonsumenten sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Wir sprachen mit Geschäftsführer Lukas Pünder, welcher Sinn dahinter steckt, wie diese Technologie funktioniert und was aus der eigenen Schuhmarke Cano geworden ist.

Herr Pünder, letztes Jahr haben Sie die Wertschöpfungskette Ihrer Schuhmarke Cano transparent gemacht. Jetzt folgt die gesamte Modewelt. Wie ist es dazu gekommen?

Lukas Pünder: Als wir gemerkt haben, dass unsere Technologie für unser Produkt gut funktioniert, haben wir uns die Frage gestellt, ob diese Lösung auch für andere nachhaltige Modemarken interessant sein könnte. Wir haben aus der Branche direkt gutes Feedback für unsere Idee bekommen. So wuchs immer mehr die Idee, unser System der Transparenz als Dienstleistung anzubieten – quasi als Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Die Marken erhalten ein neues Kommunikationswerkzeug, um ihre Nachhaltigkeitsstandards nach außen zu kommunizieren. Der Endverbraucher erhält dagegen tiefere Einblicke in das Produkt, das er gekauft hat. Woher kommt mein Kleidungsstück, woher stammen die Rohmaterialien für die Produktion? Diese Fragen können dank unserer Technologie beantwortet werden.

Wie hat sich diese Technologie im Vergleich zu Cano weiterentwickelt?

Pünder: Früher nutzten wir sogenannte NFC-Tags als Speichermedium für die Daten unserer Wertschöpfungskette. Jetzt speichern und sichern wir alle relevanten Daten in einer Cloud. Um diese für den Endverbraucher sichtbar zu machen, erhält jedes Produkt einen individuellen Nummerncode in Form eines NFC-Tags oder eines QR-Codes. Scannt der Endverbraucher diesen Code mithilfe unserer App, greift er automatisch auf die betreffenden Daten in der Cloud und bekommt alle Daten, die wir vorher gesammelt haben, auf sein Smartphone.

Wie genau sammeln Sie diese Daten?

Pünder: Als erstes setzen wir uns mit einer Marke zusammen und zeichnen die Wertschöpfungskette eines Produkts nach. Dazu gehören Produzenten, Lieferanten, Rohstoffe, Produktionsstätten usw. Anschließend werden diese Wertschöpfungsketten digital über unser System aufgezeichnet und dadurch die Teilnehmer einer Wertschöpfungskette – angefangen mit der Marke bis runter zu den einzelnen Rohmateriallieferanten – miteinander verknüpft. Es werden also nicht nur Daten gesammelt, sondern es entsteht zugleich ein Netzwerk, indem die einzelnen Teilnehmer der Wertschöpfungskette miteinander kommunizieren können.

Können Sie ein Beispiel geben, wie das funktioniert?

Pünder: Eine Marke will zum Beispiel 200 Paar Schuhe bei einem Produzenten bestellen. Dieser erhält die Bestellung als Push-Nachricht auf sein Smartphone oder per Mail. Nun muss er lediglich bestätigen, ob er den Auftrag annimmt. Geschieht dies, muss der Produzent natürlich erst einmal Leder und Sohlen bei einem Lieferanten bestellen. Wird diese Aktion über unser System ausgelöst, kriegen nun die Lieferanten eine Benachrichtigung mit der entsprechenden Bestellung. Und so geht es in der Produktionskette immer weiter runter. Auf diese Weise können Anfragen und Bestellungen effizient untereinander ausgetauscht werden. Gleichzeitig erhalten wir durch die Bestätigung der einzelnen Teilnehmer Informationen. Zum Beispiel wissen wir, welche Marke den Auftrag gegeben hat, wo die Ware produziert wird und wann eine Bestätigung von wem gegeben wurde. Es entsteht ein Verifizierungskreislauf.

Dieser Datenaustausch erfordert aber auch die stetige Zusammenarbeit der Produzenten in der Wertschöpfungskette.

Pünder: Definitiv. Wir brauchen immer die Unterstützung der einzelnen Teilnehmer der Wertschöpfungskette, da alle Angaben, die wir im Vorfeld mit der Marke gemacht haben, von diesen verifiziert werden müssen. Ansonsten hätten wir keine Chance, als Außenstehende nachzuvollziehen, ob die Informationen, die wir bekommen, korrekt sind. Wir können nur nachverfolgen, was wir kennen.

Wie verhindern Sie Täuschung und Manipulation?

Pünder: Indem wir zunächst alle möglichen Beweise und Dokumente sammeln. Behauptet zum Beispiel ein Unternehmen, dass es ausschließlich mit erneuerbarer Energie arbeitet, fragen wir nach einem Beweis und erhalten im Gegenzug ein Zertifikat oder eine Rechnung. Diese werden im System gespeichert und sind später auch für den Endkonsumenten einsehbar. Dadurch liegt ein gewisser Druck schon mal beim Unternehmen. Von den Herstellern verlangen wir unter anderem Beweisfotos aus der Produktion. Diese Fotos werden dann mit einem Geo-Tag und einem Time-Tag versehen, damit wir so nachvollziehen können, wo und wann diese Produkte waren. Am wichtigsten war uns aber, die Datensicherheit zu gewährleisten. Auf der Suche nach einer technischen Lösung sind wir dann auf das Blockchain-System gestoßen.

Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Pünder: Grundsätzlich ist Blockchain eine Datenbank, in der chronologisch Daten bzw. Transaktionen gespeichert werden. Das bedeutet, die Datensätze bauen aufeinander auf. Jede Veränderung der Daten kann stets nachverfolgt werden. Wenn ich Daten im Nachhinein verändere, dann sehe ich die historische Veränderung der Daten. Wenn zum Beispiel der Produzent in einer Wertschöpfungskette nachträglich geändert wird, bekomme ich das mit. Diese Daten lassen sich auch nicht mehr löschen. Das ermöglicht mir natürlich absolute Datensicherheit in der Speicherung. Deswegen ist auch die Korrektheit der ersten Daten so wichtig: Wenn sie einmal gespeichert sind, können sie nicht mehr verändert werden. Deshalb auch die stetige Verifizierung durch die einzelnen Teilnehmer in der Wertschöpfungskette. Gleichzeitig können wir über diese Technik die einzelnen Teilnehmer miteinander verknüpfen. Die Daten werden also gemeinschaftlich verwaltet. Unsere Aufgabe ist es zu gewährleisten, dass die Daten, die wir erhalten, korrekt sind. Aus diesem Grund auch Geo-Tracking sowie doppelte Verifizierung – einmal von der Bestellung und einmal vom Warenfluss. Dazu kann man sich auch nur von dem Ort aus ins System einloggen, der vorher als Firmen- bzw. Produktionsstandort angegeben wurde. Diese verschiedenen Sicherheitskontrollen erlauben mir ein Höchstmaß an Kontrolle, obwohl ich physisch nicht vor Ort bin.

Klingt ein wenig nach einem Überwachungsapparat.

Pünder: Nun ja, wenn ich transparent sein will, muss ich auch bereit sein, mich zu öffnen. Uns geht es in allererster Linie darum, den Unternehmen ein Werkzeug an die Hand zu geben, das ihnen hilft, die Nachhaltigkeit ihrer Marke nachzuweisen. Jede Marke hat zudem ein anderes Verständnis von Nachhaltigkeit. Wir wollen ihnen die Chance geben, diese offen nach außen zu kommunizieren.

Ist Ihre Schuhmarke Cano noch auf dem Markt?

Pünder: Cano gibt es weiterhin. Das ist sozusagen das Aushängeschild unseres Unternehmens, um zu zeigen, dass die Technik funktioniert. Gleichzeitig ist es für uns eine Plattform, auf der wir rumspielen und unser System verbessern und testen können. Wo sind Schwachstellen? Das Ziel ist es, dass System so effizient wie möglich zu gestalten.

Mit vielen Unternehmen arbeiten Sie gerade zusammen?

Pünder: Wir testen gerade mit zwei, drei Unternehmen, inwieweit das System schon anwendbar ist. Ab Januar 2020 wollen wir dann weitere Marken mitaufnehmen. Es ist gerade alles im Fluss. Transparenz ist ein sehr junges Thema und bei vielen Marken ist diese Transparenz noch nicht Teil ihrer Wertgewinnung. Bisher war es vor allem Nachhaltigkeit, aber nicht Transparenz, das entwickelt sich gerade erst. Das ist ein langer Erziehungsprozess.

Wie finanzieren Sie das Projekt?

Pünder: Wir haben aktuell eine Handvoll privater Investoren, die uns mit Kapital und ihrem Wissen unterstützen. Das sind zum Teil Leute aus der Modeindustrie, aber auch aus der Startup-Szene, die viel Erfahrung in den Bereichen haben, die für uns wichtig sind, um weiter zu wachsen. Dadurch öffnen sich auch immer wieder neue Türen für uns. Zudem arbeiten wir seit Anfang des Jahres mit der Firma Oracle zusammen. In enger Zusammenarbeit haben wir die erste Lösung konzeptualisiert und gemeinschaftlich über den Prototypen nachgedacht, den wir dann so umgesetzt haben. Zudem konnten wir Oracles Cloud-Infrastruktur inklusive Blockchain-Technik und Datenbank nutzen. Dadurch konnten wir gerade am Anfang die Entwicklungskosten niedrig halten.

Warum wird sich Ihre Idee durchsetzen?

Pünder: Man merkt, dass in der Modeindustrie noch sehr viel schief läuft, weil so wenig Transparenz herrscht. Ein gelungenes Beispiel sind dagegen Marken in Amerika wie Everlane, die sehr schnell wachsen und sich auch dem Thema Transparenz verschrieben haben. Der Trend ist also da und wird auch nach Europa kommen. Zudem spüren wir das Interesse an unserer Lösung und sprechen täglich mit neuen Marken. Das gibt uns ein gutes Gefühl für die Zukunft.

Jetzt sind Sie zusammen mit ihren Geschäftspartnern für den Sonderpreis Digitalisierung nominiert. Was bedeutet Ihnen das?

Pünder: Für uns ist das in erster Linie eine tolle Auszeichnung, weil wir merken, dass das Thema bei den Leuten im Kopf ankommt. Das Spannende bei uns ist, dass wir nicht nur mit den Marken als unseren Kunden zusammenarbeiten, sondern vor allem auch das Interesse vom Endkonsumenten brauchen. Das Ganze funktioniert nur dann, wenn sich der Endkonsument für die Informationen interessiert, die wir einsammeln. Grundsätzlich ist es schön, dass die Öffentlichkeit durch solche Nominierungen von unserer Arbeit erfährt und wie viel Mühe wir darein gesteckt haben. Das zeigt auch, dass wir mit Retraced auf dem richtigen Weg sind.

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