Interview: Das sind die Trendfinder

Die Werbeexperten Anja Tonn und Ralf Zilligen sprechen über Umweltschutz und Nachhaltigkeit in der Werbung.

<strong>Düsseldorf. Haben Sie den Al Gore-Film "Eine unbequeme Wahrheit" gesehen?Tonn: Ich habe Auszüge gesehen. Zilligen: Ich habe ihn gesehen, auch aus beruflichem Interesse, weil er die Ankündigung war für die Al Gore-Kampagne, die dann in dem Riesen-Event Live-Earth endete. Und einer meiner Kunden, Smart, war Hauptsponsor. Hat Smart hinterher für sich etwas mit dem Film in der Werbung angefangen?Zilligen: Nein, das wäre auch falsch. Ein Autohersteller würde komplett an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn er sich so ein Ding einfach um den Hals hängt. Das Gegenteil ist passiert: Smart hat sich relativ weit davon entfernt, aber wesentliche Inhalte des Films zu einer Art Selbstverpflichtung gemacht. Das ist ja eher ein dezenter Bezug, der zwischen Film und Produktwerbung hergestellt wird.Zilligen: Genau, der Film ist eher eine Grundierung, die Lackierung liefert die Kommunikation. Dennoch, wenn man derzeit Autowerbung schaut, wird der Umweltaspekt sehr direkt hervorgehoben. Läuft diese Werbung falsch?Zilligen: Ich finde: Ja. Jeder weiß, dass Autos dem Umweltschutz nicht zuträglich sind. Wenn ein Autoanbieter mal damit werben würde, weniger oder gezielter zu fahren, würde das Sinn machen. Tonn: Mercedes hatte mal einen Spot, da hat der Fahrer seinen Wagen einfach mal stehen lassen und das Rad genommen... Zilligen: Das war eine coole Idee. Man muss als Unternehmen nicht nur "grün" kommunizieren, sondern sein Verhalten ändern?Tonn: Werbung kann ja immer nur auf einen Trend draufsetzen. Wir können lediglich die Sensibilität ausschöpfen, die für ein Thema gerade da ist, weil jemand einen Trend gesetzt hat. Wir Werber schaffen in der Werbung keine Trends. Zilligen: Ich glaube, dass die Werbung lediglich ein Beschleuniger ist. Und wenn eine Meinung eine bestimmte Größe erreicht hat, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, ich fasse sie auf durch Werbung, dann kann ich diesen Trend mit Inhalt füllen. Oder aber ich lasse es einfach passieren. Wir sind dafür da, so sensibel zu sein, diesen richtigen Moment genau abzupassen, indem diese Größe kurz davor ist, erreicht zu werden. Wenn man es dann nutzt, kriegt es einen Drall. Gibt es Branchen, die derzeit an diesem Punkt sind?Tonn: In den letzten fünf Jahren ist eine Menge passiert, was etwa soziales Engagement angeht. Das ist ein Argument für eine Marke geworden. Das ist schon ein Trend. Zilligen: Es gibt dieses Zauberwort: Corporate Social Responsibility. Das hat vor fünf Jahren kaum einer aussprechen können. Heute schreibt das jedes Unternehmen in seine Leitlinien. Warum? Weil einige wirklich intelligente junge Menschen das vor einiger Zeit gewusst haben. Die haben bei ihrer Suche nach möglichen Arbeitgebern genau darauf geachtet, dass solche Verantwortung wahrgenommen wird. Das sind die wahren Trendmacher... Tonn: Diese Menschen haben erkannt, dass das Thema massentauglich ist. Aber solche Leute braucht es, damit die Masse hinterherrennt. Zilligen: Ich habe so ein Beispiel am eigenen Leib erfahren. Als ich mich um meine erste Stelle in einer Werbeagentur bewarb, 1986, war ich schon Mitglied bei den Grünen. Da habe ich von einem Arbeitgeber eine Absage bekommen, weil ich politisch untragbar sei. Diesen Menschen gibt es heute immer noch. Aber der führt keine Agentur mehr, sondern ist ein Einzelkämpfer, ein Dinosaurier mit seiner Einstellung. Heute sind Nachhaltigkeit und Umweltschutz Themen von Großkonzernen.Zilligen: Ja. Damals waren es die Vollbärte, die keiner in den Chefetagen haben wollte. Nur bei Ford gab es den Daniel Goeudevert, der das Thema gnadenlos durchgesetzt hat. Ein Automobilmanager mit solchen Gedanken war damals die Ausnahme. Tonn: Eigentlich traurig. Die ganze Welt wäre heute woanders, wenn nicht auf Trends gewartet werden müsste. Ist das ganze Thema nicht auch eine Art Beruhigungspille?Tonn: Ja, natürlich. Ein gutes Gewissen zu kaufen ist wichtig. Wenn ich etwa für den Kauf einer Kiste Bier auch noch den Regenwald rette. Super. Dann kann ich mich auch als Werber bei so einer Stimmung bedienen. Das ist ja eine ganz neue Art des sozialen Engagements, gutes Handeln an den Verkauf eines Produktes zu koppeln. Ich glaube, das ist grundsätzlich nicht schlecht. Aber wenn man, wie bei dem Bierbeispiel, das Thema Umwelt mit dem Thema Bierkonsum verknüpft - fühlt sich der Kunde dann nicht irgendwann verschaukelt?Tonn: Ich glaube nicht, letztendlich zählt doch wirklich, was am Ende herauskommt. Entscheidend ist, dass es dem Regenwald tatsächlich nützt. Wenn es nicht so ist, dann ist es verwerflich. Nehmen solche Werbemodelle zu?Tonn: Ja, sicher. Weil die Menschen ein Bedürfnis haben, sich ein besseres Gewissen zu kaufen. Zilligen: Es gibt aus Amerika das Beispiel American Apparell. Die haben zu einer Zeit, als alle großen Modeketten bezichtigt wurden, ihre Kleidung von pakistanischen Kindern nähen zu lassen, das Gegenteil gestartet: Die Leute verdienen dort fair, da gibt es nur Produkte, die unter gewissen Bedingungen hergestellt wurden... Tonn: ...die sind ehrlich. Geht auch der Fokus des Werbers in diese Richtung Nachhaltigkeit?Tonn: Wir wären ja schlecht, wenn wir es nicht täten. In einer Studie der Stadtsparkasse hat nur die Hälfte der Düsseldorfer geantwortet, dass sie mit dieser Thematik vertraut sind.Tonn: Es ist ein Luxusthema. Die Masse, die so gerade genug Geld zum Leben hat, wird sich zunächst mal für ihr eigenes Überleben interessieren und nicht für irgendeinen Baum im Regenwald. Es ist ein Thema, das man sich leisten können muss. Leider. Es läuft auf Verantwortung hinaus, die WZ-Serie heißt ja "Wer übernimmt Verantwortung"?Zilligen: Die Metro, die die Kampagne mit Jogi Löw macht, ruft den Leuten ins Gedächtnis: Du kannst tausend Dinge tun, dass sich ein Kind besser ernährt. Das ist ein Weg, Verantwortung zu übernehmen. Wirkt das Thema nachhaltig denn?Zilligen: Ja, das wird zum Gütesiegel. Wer’s nicht macht, wird in Schwierigkeiten geraten. Verbraucher sind so gepolt, dass sie den Faktor berücksichtigen. Das Internet verändert das, weil Informationen heute viel schneller um die Welt gehen. Ich kann mich nicht mehr entziehen durch Unwissenheit. Wie finden Sie eigentlich den Begriff "Nachhaltigkeit"?Zilligen: Das Wort ist viel zu sperrig. Ich habe das noch nie gesagt, fällt mir da ein. Tonn: Ich glaube, ich auch nicht. Dafür müsste ein anderes Wort her. Wir nennen es Verantwortung.

Ralf Zilligen

Werdegang Ralf Zilligen wurde 1962 in Köln geboren. Er wuchs im Bergischen Land auf und kam 1986 nach Düsseldorf. Er wohnt in Flingern.

Werdegang Anja Tonn, Jahrgang 1962, machte ihr Abitur in Erkrath-Hochdahl und studierte anschließend Grafikdesign in Düsseldorf. Ihr Diplom schloss sie mit Auszeichnung ab.

Karriere Nach ihrem Studium war sie Art Directorin in zahlreichen renommierten Agenturen. Seit zehn Jahren ist sie Geschäftsführerin Creation der Düsseldorfer Agentur Echtzeit. Das Unternehmen hat insgesamt 30 Mitarbeiter.

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