Indisches Kunstkollektiv erstmals in Europa
Das Raqs Media Collective ist für eine Retrospektive im K 21 im Ständehaus. 25 Arbeiten, darunter kopflose Herrschaftsfiguren, sind dort zu sehen.
Der Einstand der neuen Generaldirektorin Susanne Gaensheimer im K 21 könnte kaum bezeichnender sein. Sie holt sich das Raqs Media Collective aus Neu-Delhi ins Haus und in den Park und entspricht damit dem Ziel einer „globalen“, nicht auf Europa und Nordamerika fokussierten Kunst. Die Mitglieder Monica Narula, Jeebesh Bagchi und Shuddhabrata Sengupta sind berühmt. Sie fehlen auf keiner Biennale oder Documenta. Seit 1992 arbeiten sie zusammen, suchen nach einer neuen Empfindsamkeit, einer anderen Machtstruktur und insgesamt nach einer anderen Kunst. Dabei kann es schon mal passieren, dass sie einer Herrschaftsfigur den Kopf abschlagen oder unter einem pompösen Ornament den Körper aushöhlen wie jetzt vor dem Ständehaus oder im Park am Kaiserteich. Die neue Chefin öffnet sogar die jahrelang abgedunkelten Luken, damit die Besucher über das Wasser des Teichs auf die neue Hülle des deformierten Standbildes schauen.
Die Gruppe ist besessen von Neugierde, Forschungsgeist und dem Willen, der Avantgarde eine produktive Unruhe zu verpassen. Inzwischen schreiben sie Bücher, kuratieren, forschen, betreiben Ideengeschichte, untersuchen mythologische Tradition, politische Philosophie, spekulative Forschung und sind doch in jeder Sparte Künstler. Sie suchen nicht, sondern finden. Sie vergleichen sich mit „Pilzsuchern“. „Wir sondern aus, was gefährlich ist, und behalten, was nicht giftig ist“, sagen sie. Mit einer gehörigen Portion Ironie und Doppeldeutigkeit betreiben sie ihre Fragen nach dem Sinn des Lebens.
Raqs ist wie alles, was die Gruppe tut, tiefsinnig. Die Buchstaben bedeuten „selten gestellte Fragen“ (rarely asked questions“), aber auch die Drehtänze der Sufi. Doppeldeutig ist alles, was sie im Untergeschoss von K 21 zeigen. Sie starten mit 27 Uhren, von denen keine einzige die Stunde anzeigt, denn die Zifferblätter fehlen. Die Zahlen werden durch philosophische und psychologische Begriffe ersetzt. Diese Zeitmesser reagieren höchstens auf den eigenen Herzschlag, der in dumpfen Schlägen die Installation begleitet. Die Zeit ist die Entfliehende, die Endlose, die nicht fassbare und nie gängige Vorstellung von dem, was eigentlich einen Acht-Stunden-Tag bestimmt. Drei Uhren laufen sogar rückwärts und negieren auf krasse Weise das durchgetaktete Zeitkorsett der Arbeitswelt.
Die Künstler sind klug und sensitiv zugleich. Sie ziehen Karl Marx durch den Kakao, mit LED-Lampen, die sich als Hammer und Sichel oder als großes Fragezeichen lesen lassen. Sie zitieren das Schulbuch indischer Kinder, die Englisch lernen, und reflektieren wie nebenbei, was Sprache ist. Sie lassen 18 farbige, transparente Acrylfiguren von der Decke baumeln, als seien es neue Logos für die Verkehrsampeln oder Signets für Sportler, die vor der Doping-Kontrolle davonlaufen.
„Mehr Salz in deinen Tränen“, heißt es plötzlich. Und der Betrachter, der lässig durch die Ausstellung läuft, fragt sich plötzlich, wann er das letzte Mal geweint hat.