In Düsseldorf gibt es Kultur, aber keine kreative Subkultur

In Düsseldorf fehlt eine progressive Szene, den Agenturen läuft inzwischen der Nachwuchs weg. Es mangelt nicht am Finanziellen, sondern an den Ideen.

Düsseldorf. Bester Wirtschaftsstandort, beste Lebensqualität, meiste Kaufkraft, längste Theke der Welt, teuerste Einkaufsmeile - Experten singen seit Jahren das Hohelied auf Düsseldorf. Aber die Platte hat einen Sprung. Die Stadt muss sich wirtschaftlich neu erfinden, wenn sie nachhaltig erfolgreich sein will. Und dafür braucht sie eine neue kreative Klasse.

Denn die aus vielen Masterplänen und großökonomischen Strukturen zusammengesetzte Hochglanzoberfläche der Stadt wird in den nächsten Monaten Kratzer bekommen. Die Finanzkrise und die Bankenfusionen - etwa zwischen Commerzbank und Dresdner Bank - kosten die Stadt in den nächsten Monaten eine deutlich vierstellige Zahl an Arbeitsplätzen. Nur Optimisten glauben noch, dass Düsseldorf als Bankenstandort eine große Zukunft hat.

Ähnlich in anderen großstrukturellen Branchen: Thyssen geht, wann Daimler wieder ausgelastet ist, wissen allenfalls Hellseher, ob die Metro in der jetzigen Form bestehen bleibt, darf bezweifelt werden. Und bei Henkel pustet Neu-Chef Kaspar Rorsted gerade die Henkel-Folklore aus den Laboren.

Um diesen möglichen Verlust tausender Arbeitsplätze auszugleichen, müssen neue Ideen her. Die aber entstehen nur in einem kreativen Umfeld. Und das fehlt in Düsseldorf.

Es geht dabei gar nicht so sehr um von Stadtpolitikern angestimmte Diskussionen um Volksfeste im Hafen oder Cafés auf Tonhallendächern. Es geht ums Grundsätzliche. Es geht um Düsseldorfs Zukunft als Standort. Das zeigen auch Rankings, denn es gibt nicht nur die positiven, die breit in Pressemitteilungen des Rathauses gefeiert werden.

Als etwa die Unternehmensberatung Roland Berger vor einem Jahr deutsche Großstädte untersuchte, landete Düsseldorf auf Platz sieben. Die Wirtschaftsdaten waren top, die weichen Faktoren flop.

In einer anschließenden Umfrage warfen die Deutschen die Landeshauptstadt auf den letzten Platz der Tabelle. Selbst Mannheim hat demnach einen besseren Ruf. Begründung: Düsseldorf gilt als piefig - und damit nicht als erste Adresse für die Kreativen dieses Landes. Das schadet dem Standort.

Zum Beispiel den Werbeagenturen: Sie stellen mehr als 7000 Jobs in der Stadt, versteuern hier Einnahmen von vier Milliarden Euro pro Jahr. Dennoch droht ihnen ein Nachwuchsmangel. "Wir können bei jungen Werbern mit Hamburg, Berlin oder München nicht mithalten", beobachtet Ingeborg Trampe, lange Jahre für die Kommunikation von BBDO zuständig. "In der Krise wird sich das noch verschärfen."

Diese Städte hätten bei jungen Leuten einen wesentlich besseren Ruf. "Wenn Sie vor zehn Jahren einen guten Eindruck von der Zukunft der deutschen Werbebranche haben wollten, hätte eine Tour durch Düsseldorf gereicht", sagt Stefan Kolle, einer der besten Werber des Landes. "Heute müssen Sie nach Hamburg, München oder auch Berlin schauen."

Das hat Auswirkungen. "In Düsseldorf sitzt viellevrfgmicht das große Geld", sagt Ralf Zilligen, Ex-Chef der Düsseldorfer Werbeagentur BBDO und inzwischen Geschäftsführer bei der Mediaagentur Mediaedge.cia. "Aber die kreative Avantgarde sicher nicht."

Ähnlich sieht es in anderen Kreativbranchen aus: Ob Doro Pesch, die Toten Hosen oder Westernhagen: in den 70er und 80er Jahren lieferte Düsseldorf den Sound zur Republik, war Avantgarde. Heute reicht’s grade noch für La Fee oder Ricardo Marinello. Von Tote-Hosen-Manager Jochen Hülder ist zu hören, wäre er nicht in Düsseldorf persönlich so verwurzelt, wäre er lange weg.

In der deutschen Internetwirtschaft spielt die Stadt keine Rolle. Die Blogszene schläft, bundesweit beachtete Startups gibt es nicht. Selbst bei der Mode droht Düsseldorf der Verlust der Vorreiterrolle. Die Modemesse schrumpft, der Chef wurde gerade ausgewechselt. Die Avantgarde der Szene lässt sich in Berlin feiern, allerdings mit branchenfremden Geld von Mercedes.

Und junge Medienschaffende, die es berufsbedingt an den Rhein zieht, wohnen entweder in Köln oder flüchten nach Büroschluss am Freitagnachmittag.

Immerhin: Flughafen und gute Verkehrsinfrastruktur machen’s möglich. Der wohl wichtigste Grund: Düsseldorf hat Kultur, aber keine kreative Subkultur. Das ist bitter.

Denn gerade junge, unangepasste Kreative braucht eine Metropole, die oben mitspielen möchte. "Das Humankapital entscheidet über Erfolg oder Misserfolg einer Stadt", sagt Edward Glaeser, Ökonom an der amerikanischen Elite-Uni Harvard.

Die amerikanische Urbanistin Jane Jacobs hat schon vor dreißig Jahren in ihrem Bestseller "The Economy of Cities" prophezeit: "Neue Ideen kommen nicht aus dem Nichts." Vielmehr ergebe sich Neues aus einer überraschenden Kombination des Alten, durcheinandergewirbelt vom Reichtum neuer gedanklicher Inspiration. Planbar aber ist das nicht.

"Eine kreative Gesellschaft aufzubauen ist kein Solitär-Spiel", sagt der amerikanische Urbanistiker Richard Florida. Es scheint nicht so, als ob Düsseldorf das beherzigt. Das Gelände des ehemaligen Derendorfer Güterbahnhofs hätte Potenzial gehabt, neue Heimat einer progressiven Szene zu werden. Chance vertan. Anstatt Strukturen sich entwickeln zu lassen, wird dem Viertel eine Mischung aus Luxuswohnungen und Freizeitvergnügen für Besserverdienende aufgepfropft.

In der Stadtentwicklungspolitik galt in den letzten Jahren der Düsseldorfer Dreiklang: verbieten, verordnen, vereinheitlichen. Das aber hat schon den Hafen und Unterbilk sterilisiert. Ob Flingern - wenn überhaupt das einzige Szeneviertel der Stadt - den urbanen Uniformwahn der Stadtspitze überlebt, ist offen.

Anders als in anderen Großstädten fällt auch die Universität als wichtiger Impulsgeber aus. Wissenschaftlich ist sie mittelmäßig, was Topkräfte nicht gerade anlockt. Und für einen Austausch mit dem Leben in der Stadt liegt sie zu weit draußen. Dabei gäbe es die Chance, das zu ändern.

Das Potenzial ist da: Die Stadt wächst, Geld ist (noch) vorhanden. Man müsste nur wollen. Genau daran haperte es bisher. Quer durch die kreativen Branchen der Stadt ist zu hören, vom verstorbenen Oberbürgermeister Joachim Erwin sei man nicht ernst genommen worden. Vielleicht schafft sein Nachfolger das ja. Nötig wäre es.

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