Theater Politiker zwischen Macht und Kollaps

Düsseldorf · Am Freitagabend wurde im Central das Stück „Momentum“ uraufgeführt. Es erzählt eindrucksvoll vom Preis der Macht, den Spitzenpolitiker zahlen müssen. Das Ensemble erzeugt dabei einen Sog, der die Zuschauer in die Abgründe des Politikgeschäftes zieht.

„First Lady" Ebba (Jana Schulz) muss viel Bürden tragen: Sie spielt die starke Frau an der Seite ihres Mannes und wird immer wieder von ihrem totgeborenen Kind (André Kaczmarczyk) heimgesucht.

„First Lady" Ebba (Jana Schulz) muss viel Bürden tragen: Sie spielt die starke Frau an der Seite ihres Mannes und wird immer wieder von ihrem totgeborenen Kind (André Kaczmarczyk) heimgesucht.

Foto: Sandra Then

Auf der Bühne erstrahlt ein Laufsteg in weißem LED-Licht. Er führt von einer Tür auf die Zuschauer. Links und rechts Stuhlreihen. Erinnert an einen Catwalk für eine Modenschau. Aber auch an den Gang eines Flugzeugs. Das Bühnenbild von Klaus Grünberg zieht schon optisch in den Bann. Es erscheint reduziert, zugleich lässt es viel Raum für Deutungen. Plastisch bebildert Grünberg das Stück „Momentum“, das Hausregisseur Roger Vontobel am Freitagabend im Central uraufgeführt hat.

Hehre Ideale, die sich nicht verwirklichen lassen

Im Text der niederländischen Star-Dramatikerin Lot Vekemans geht es um ein Politiker-Ehepaar. Meinrad Hofmann ist Partei- und Regierungschef in einem nicht genannten demokratischen Land. Doch der Spitzenpolitiker taumelt in eine Krise, wird depressiv und droht ein halbes Jahr vor den Wahlen zusammenzubrechen.

Ebba, die „First Lady“, unterstützt ihren Gatten seit 20 Jahren, treibt ihn an und versorgt ihn mit Ideen. Hinzu kommt Dieter, der Spin Doctor von Meinrad. Er ist ein zwielichtiger Strippenzieher, für den es nur Gewinner oder Verlierer gibt. Dann ist da noch ein junger Dichter, der nur noch an die Welt im Kopf glaubt. Und das totgeborene Kind von Ebba, das seine Mutter immer wieder heimsucht und mit ihr spricht, aber von niemandem sonst gesehen und gehört wird.

„Momentum“ erzählt die zeitlose Geschichte von einem Regierungschef, der hehre Ideale verkündet, aber angesichts der politischen Realität erkennen muss, dass sie sich nur bedingt oder überhaupt nicht verwirklichen lassen. Der frühere US-Präsident Barack Obama ist das prominenteste Beispiel: Von der „Yes, we can!“-Euphorie ist nach acht Jahren Amtszeit wenig übriggeblieben. Es geht aber auch um den Preis, den die Macht fordert: Der politische Führer eines Landes steht permanent in der Öffentlichkeit, darf nicht er selbst sein, sondern muss eine Rolle spielen.

Politiker müssen immer schneller werden

Er muss politische Gegner ausschalten, bevor sie ihn zur Strecke bringen. Nicht zuletzt müssen auch Politiker im Zeitalter der Hochgeschwindigkeit immer schneller, produktiver und effizienter werden, man denke nur an Wahlkämpfe, die nun auch in sozialen Medien geführt werden müssen.

Dieses politische Spiel der Wettbewerbe, Kämpfe, Kontroversen und Maskeraden hinterlässt seelische und körperliche Spuren. Dafür steht Meinrad, der unter der Last seines Amtes zusammenzubrechen droht, aber nach außen hin keine Schwäche zeigen darf. Diesen inneren Zwiespalt bringt Christian Erdmann glaubwürdig auf die Bühne: Er präsentiert sich mal kämpferisch, mal cholerisch, mal lust- und kraftlos.

Doch die meisten Bürden trägt Ebba, die Vontobels Lieblingsschauspielerin Jana Schulz bravourös in Szene setzt. Sie verkörpert eigentlich die starke Frau im Hintergrund, soll nun aber auf der 50-Jahr-Feier der Partei eine Rede zu Gunsten ihres angeschlagenen Mannes halten. Der Vorschlag stammt von Berater Dieter, mit dem Ebba einst im Bett landete, schwanger wurde und eine Totgeburt erlitt. Das ungeborene Kind sucht Ebba immer wieder auf. Obwohl das „Sternenkind“ vergleichsweise textarm angelegt ist, verleiht André Kaczmarczyk ihm eine ungeheure Präsenz: ganz in schwarz, mit dämonischem Blick und kraftvoller Performance verkörpert er die verdrängten Geister der Vergangenheit.

Wolfgang Michalek mimt den unsympathischen, emotionslosen Politberater in seiner subtilen Bedrohlichkeit überzeugend. Und selbst die Randfigur des Dichters spielt Kilian Land unaufgeregt, aber wirkungsvoll. Mit ihrem spannungsreichen Zusammenspiel erzeugen alle Akteure einen Sog, der die Zuschauer in die Abgründe des Politikgeschäfts hineinzieht.



Info
: „Momentum“ von Lot Vekemans, Regie: Roger Vontobel, im Central Große Bühne, Worringer Straße 140.
Die nächsten Aufführungen finden statt am 19. Oktober und am 30. Oktober jeweils  um 19.30 Uhr.

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