Kolumne : Hommage an die Bhagwan-Disco
Düsseldorf In den 1980er und 1990er Jahren prägte die Bhaggy-Disco an der Graf-Adolf-Straße Düsseldorfs Nachtleben. Unser Autor erinnert an Partynächte zwischen „Purple Rain“, „The Power“ und „Show me Love“.
Sommer 1988. Bei deiner Bhaggy-Premiere ist die CD gerade dabei, der Schallplatte den Rang abzulaufen. Deutschland ist noch geteilt, und keiner rechnet damit, dass sich das allzu schnell ändern wird. Es gibt weder Handys noch E-Mail-Adressen, und du bist gerade 17 geworden und ganz schön aufgeregt. Doch das soll keiner merken. Daher: An der Kasse Eintritt bezahlt, die kurze Treppe hoch, um die Ecke, rein in den rechteckigen Saal – als sei es das Selbstverständlichste der Welt, als kämst du seit Jahren hierher. Die Tanzfläche ist tiefergelegt, und wer auffallen will, erklimmt eine der riesigen Boxen. Es ist viel heller, als du es in einer Diskothek erwartest hättest. Es gibt eine Bar, wo man Bier und Softdrinks bestellen kann und am anderen Ende des Raums eine weitere, wo Longdrinks wie Bacardi Orange, Gin Fizz, Wodka Lemon oder Whiskey Cola zu haben sind.
Wow, du bist drin – im „Partytempel“, von dem alle reden! Tatsächlich ist die Bhaggy sogar bei den Elternabenden am Gymnasium ein Thema: Werden hier Jugendliche von der Bhagwan-Sekte rekrutiert? Diese Sorge hast du deinen Eltern ausgeredet, stattdessen möchtegern-abgeklärt verkündet: „Die Bhaggy ist eine stinknormale Disco, die wollen da nur Geld verdienen, und orange Gewänder trägt auch keiner mehr!“ Eigentlich stammt dieser Satz gar nicht von dir, du hast du ihn von bhaggy-routinierten Mitschülern ausgeliehen, und die müssen es ja wissen. Dass diese Disco von „Erleuchteten“ betrieben wird, zeigt sich nur an dem riesigen Porträt des bärtigen Sekten-Gründers an der Wand und an den Bhagwan-Büchern, die im angeschlossenen Kiosk (nie) verkauft werden. Aber wen interessiert das schon? Dich jedenfalls nicht.
Durchaus glamourös, zumindest wenn man 17 oder 18 oder 19 ist
Du bestellst also ein Bier, lässt die Atmosphäre wirken: Durch das Frisurenmeer segeln Gläserkellner, die sich Plastikkisten über dem Kopf balancierend ihren Weg bahnen. Beats und Bässe, strahlende Gesichter, Schlangen an den Bars. Es riecht nach Tabak und Parfüm, und je später der Abend, desto mehr tobt und schwitzt die Menge. Die Tanzfläche als Bühne. Es gibt die Am-Rand-Steher, es gibt die Mit-Tänzer, und es gibt die Rampensäue. Es werden Blicke getauscht, Zigaretten geschnorrt, Getränke ausgegeben und Telefonnummern auf Bierdeckel geschrieben. Noch nie hast du so viele Menschen auf einmal gesehen, die fest entschlossen scheinen, die beste Nacht ihres Lebens zu haben. Ständige Bewegung, ameisenmäßig. Schwer in Worte zu fassen, das alles. Intensiv? Ausgelassen? Aufgekratzt? Auf jeden Fall: faszinierend – und durchaus glamourös, zumindest wenn man 17 oder 18 oder 19 ist.
Die Bhaggy ist für alle da. An der Graf-Adolf-Straße, gegenüber dem Europa-Kino und um die Ecke vom Hauptbahnhof, trifft man sowohl Leute aus Büderich oder Oberkassel, als auch welche aus Oberbilk oder Eller. Gar nicht so wenige waren vorher Stammgäste der sonntäglichen Tanztee-Nachmittage in der Tanzschule Fern und der Tanzschule Dresen, und die Bhaggy ist quasi die „logische“ Folge-Etappe ihrer Disco-Laufbahn. Du siehst Jungs mit Diesel-Jeans sowie Pullovern von Benetton oder bunten Hemden von Vert Vallée, die man ein paar Jahre zuvor noch als „Popper“ bezeichnet hätte. Du siehst manchmal schöne und manchmal arrogante Mädchen mit Chipie-Jacken, die sie vermutlich bei Factory, Coast oder Cosmopolitan an der Flinger Straße gekauft haben. Du siehst Cowboy-Boots aus der Mata-Hari-Passage oder von Ombudsman. Du siehst die Levis 501 in allen möglichen Farben. Du siehst langhaarige Surfer- oder Skater-Typen mit Sweatshirts von Windsurfing Chiemsee, Maui and Sons oder Vision Street Wear und ihre unfassbar gutaussehenden Freundinnen, die bevorzugt College-Jacken von US-Football- oder Baseball-Teams tragen. Du siehst Sneakers von Nike und Adidas (aber keine von Puma). Du siehst die jüngere Schwester eines weltberühmten Top-Models. Und je öfter du in die Bhaggy gehst, desto mehr etablieren sich die unübersehbaren Marken-Logos: Chevignon, Replay, Blue System, Best Company.
Klar, die Bhaggy sprengt zwar musikalische Genregrenzen, aber sie polarisiert: Wer sich gerne schwarz kleidet und Bands wie The Mission, Sisters of Mercy oder New Model Army hört, geht Ende der 80er lieber ins Line Light an der Flinger Straße. Später wird der Unique Club (1994 freitags im Rheingoldsaal, ab 1995 an der Bolker Straße 30), zur Heimat der Indie-Fraktion, und der eine oder die andere betont noch 2019 nicht ohne Stolz, nie einen Fuß in die Bhaggy gesetzt zu haben.