Gastbeitrag: Goethe und Schiller in Weimar! Bambi in Düsseldorf?

Düsseldorf. Viele sind ja wohl jetzt in Urlaub. Schönes Wetter sei ihnen gegönnt. In Weimar haben sie zwischenzeitlich das Goethe-Schiller Archiv saniert. 9,2 Millionen Euro investierten Bund, Land und EU, um die Schatzkammer der Klassik Stiftung Weimar zu sichern, zu modernisie-ren und zu erweitern.

Weitere 1,3 Millionen Euro flossen in die Ausstattung. Für die armen daheimgebliebenen Düsseldorfer hat unsere Stadt dafür ein ganz besonderes Bonbon parat: Sie, verehrte LeserInnen, können sich jetzt jedenfalls als stolze BewohnerInnen der ´Bambi Stadt Düsseldorf´ fühlen. Als das bezeichnet sich, wie ich zu meinem Erstaunen zufällig fest-stellen musste, diese Stadt nämlich auf ihrer offiziellen Internetseite www.duesseldorf.de! In Abwandlung eines anderen Spruches: ´Jede Stadt hat eben die Verwaltung, die sie verdient!´

An sich wollte ich ja wieder etwas zu Heine sagen. Auf meine immer wieder gestellte Frage, warum normale Jugendliche (angeblich) so wenig Interesse an den Werken des größten Soh-nes dieser Stadt zeigen, erhalte ich in meinem Bekannten- und Freundskreis immer die stereo- type Antwort: „Weil sie eben diese Sprache nicht mehr verstehen. Man spricht eben heute anders.“

Dieses Argument verstehe ich nun wiederum nicht. Nehmen Sie zum Bespiel Heinrich Heines Gedicht „Nachtgedanken“. Er schrieb es im Jahre 1843 nach zwei Jahren im Pariser Exil. Die erste Strophe lautet wie folgt: Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht, Ich kann nicht mehr die Augen schließen, Und meine heißen Tränen fließen.

Was ist da nicht zu verstehen (gerade auch von Menschen mit Migrationshintergrund!)? Da lebt ein Mensch, der aus seiner Heimat in die französische Emigration vertrieben wurde. Er beschreibt in diesem Gedicht seine Sehnsucht nach dem Land der Heimatsprache. Diese Sehnsucht verzehrt ihn dermaßen, dass er keinen Schlaf in der Fremde findet — ja, sogar, dass er vor Sehnsucht weint! Und er lässt sich in den folgenden Strophen nicht auf irgendwelche Kritik an den politischen Umständen in Deutschland ein (wie man bei ihm vielleicht be-fürchten könnte), sondern kleidet diese in den folgenden Strophen (genauso gut lesbar) in die Angst um seine alte Mutter. Dieses Gedicht lässt er optimistisch mit den Worten enden: Gottlob! Durch meine Fenster bricht Französisch heitres Tageslicht; Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen Und lächelt für die deutschen Sorgen.

Es ist ein französisches Tageslicht (das Licht der Aufklärung!), das seine nächtliche Gram, und eine französische Frau, die seine Sehnsucht (zumindest tagsüber) vertreibt. Was bitte ist daran so unverständlich, dass man es nicht lesen oder sich gar mit den Umständen dieser Zeit beschäftigen könnte? Wie gesagt: Die kleine Stadt Weimar weiht mit großem Pomp und großem Widerhall in den Medien für die beiden Dichtergrößen ein voluminöses Archiv ein. Dem Weltpoeten Heine hat die Stadt Düsseldorf, der er Zeit seines Lebens immer in Liebe verbunden war, immerhin eine U-Bahnstation gewidmet … (Ironie!) und nennt sich lieber of-fiziell „Bambi Stadt“!

Nein, die Frage der angeblichen Unlesbarkeit wird m. E. nach nur als Ausrede hervorgeholt. Dahinter stecken drei grundsätzlich andere Fragen:

1.Wollen wir unsere Kinder von der Mühsal der Beschäftigung mit der deutschen Spra-che fernhalten, damit ihre Notendurchschnitte unserem Schulsystem gute PISA-Noten bescheren?

2.Hält unser föderales Schulsystem die Beschäftigung mit der reichhaltigen Kultur der deutschen Sprache (vor dem Hintergrund der Globalisierung) grundsätzlich nicht mehr für wünschenswert?

3.Was hindert das föderale Bildungs- und Kultursystem in diesem Land daran, sich, wie z.B. Frankreich und Spanien, eine zentrale und mächtige Institution zu schaffen, die den Schutz und die Bewahrung der deutschen Sprachkultur zu ihrer Hauptaufgabe macht?

Unsere Jugendlichen und auch die Stadt Düsseldorf kann man in diesen Fällen kaum für ihr angebliches Desinteresse an Heinrich Heine verantwortlich machen. Eine Ursache dieses Des-interesses scheint mir wohl eher bei unserer Schulpolitik zu liegen, die Effizienz und Kosten- einsparungen offensichtlich höher wertet, als die Pflege der Kultur unserer Sprache. Und um Angriffen aus dem ewig politisch-korrekten Lager zuvorzukommen: Es gibt keinen Passus in unseren Schulgesetzen, der SchülerInnen mit Migrationshintergrund von der Auseinanderset- zung mit der deutschen Sprachgeschichte befreit (genauso wenig wie vom Sportunterricht!). Sich mit Kleist, Goethe, Lessing, Schiller, Hölderlin, Heine, Kafka, Brecht, Tucholsky, Mann, Andersch oder Böll auseinanderzusetzen, müssen wir allen Kindern zumuten dürfen, die in diesem Land ihren (Bildungs)-hintergrund haben. Und ganz sicher auch deren Eltern!

Übrigens erstaunt mich immer wieder aufs Neue, dass einem in Düsseldorf, erwähnt man öf-fentlich den Namen Heine, das Schweigen von den Stadtmauern wie das Dröhnen einer Bom-benexplosion widerhallt. Es regt sich kein Protest, keine Reaktion, keine Diskussion findet statt. Diese idyllische Stille übertönt sogar den Lärm der U-Bahnbauer … fühlt sich niemand in dieser Stadt be- oder getroffen? Gibt es niemanden in dieser Stadt, der sich gegen mögli-cherweise ungerechte Angriffe mit fundierten Zurückweisungen wehren möchte?

Die Sprache, über die ich hier geschrieben habe, heißt übrigens Deutsch. Eine Sprache, die in diesem Land immer noch von zig Millionen Menschen gesprochen wird. Es wäre die Mühe wert, sie zu benutzen und auf ihre Vielfalt stolz zu sein. Ihr Bestand und ihre Entwicklung umfassen weitaus größere und humanistische Inhalte und Zeiträume als je-ne barbarischen 12 Jahre Nationalsozialismus, die unsere Kultur leider weitgehend aus-gerottet haben!

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