Forschung kommt den Opfern der Novemberpogromen näher

Ein landesweites Forschungsprojekt der Mahn- und Gedenkstätte in Düsseldorf ermittelt Zahl und Namen der Pogrom-Toten in NRW. Dies wurde bislang versäumt.

Forschung kommt den Opfern der Novemberpogromen näher
Foto: Landeshauptstadt Düsseldorf/Uwe Schaffmeister

Düsseldorf. Die Novemberpogrome des Jahres 1938 — die sich dieses Jahr zum 80. Mal jähren — wurden nicht nur durch die Konnotation des Begriffes Reichs-kristallnacht lange Zeit bagatellisiert. Auch wenn sich durch zahlreiche Studien und Dokumentationen die Sicht auf die Ereignisse der Nacht vom 9. auf den 10. November präzisieren ließ, so gibt es über die Zahl und Namen der Toten nur zumeist — wenn überhaupt — lokalgeschichtliche Aufarbeitungen. Das 2008 im Klartext-Verlag erschienene Buch „Novemberpogrom 1938 in Düsseldorf“ ist ein bis dato herausragendes Beispiel für eine umfangreiche, indes örtlich begrenzte Auseinandersetzung mit der ganzen Dimension der Gewaltakte und ihrer auch langfristigen Folgen für die Opfer.

Allein in Düsseldorf gab es 17. Tote. Doch gibt es über die Gesamtzahl der Menschen, die durch die Novemberpogrome ums Leben gekommen sind, deutschlandweit oder auch landesweit noch keine Daten.

Ein Projekt der Mahn- und Gedenkstätte der Stadt Düsseldorf, unterstützt durch die Landeszentrale für politische Bildung, möchte dies nun nachholen und vor allem die Namen der Menschen auf dem Gebiet des heutigen Landes Nordrhein-Westfalen zusammentragen, die im Kontext der Pogrome starben.

Seit dem Frühjahr 2018 arbeiten die Projektmitarbeiter Immo Schatzschneider und Gerd Genger an dem in seiner Art erstmaligen Versuch. Hierbei liegt der Fokus indes nicht nur auf den an dem Tag selbst durch Gewalt verstorbenen Menschen, sondern einbezogen werden auch diejenigen, die erst im Nachgang durch körperliche oder psychische Verletzungen ums Leben kamen. Zudem werden Suizide einbezogen, die direkt auf die Geschehnisse des 9. November zurückzuführen sind. Darüber hinaus blickt das Forschungsprojekt auch auf die Männer, die im Umfeld des Pogroms verschleppt wurden und in Folge in Konzentrationslagern verstarben.

Neben einer intensiven Literatur- und Internetrecherche wurden 400 Archive und 30 Gedenkstätten und Experten angeschrieben um Daten zu den Toten zu sammeln. Werden die Ergebnisse des Forschungsprojektes zwar erst kurz vor dem Jahrestag offiziell bekannt gegeben, so präsentierte man unter Federführung des Leiters der Mahn- und Gedenkstätte, Bastian Fleermann, schon aussagekräftige Zwischenergebnisse.

Bis heute sind um die 50 Prozent Rückmeldungen von den Archiven eingegangen. Von diesen 202 Antworten sind etwa dreiviertel negativ ausgefallen, das heißt, dass keine Toten in den jeweiligen Städten und Gemeinden gemeldet werden konnten. 37 Städte und Gemeinden haben insgesamt 93 Tote in der Folge der Pogromnacht gemeldet. Zusammengenommen mit weitergehenden Recherchen ist die aktuelle Zahl der Toten auf 120 zu beziffern, erklärte Gerd Genger. Davon jeweils dreißig Prozent Suizide und später in Konzentrationslagern Verstorbene. Doch neben den nackten Zahlen, die an sich schon die Schrecken der Ereignisse überdeutlich darstellen und die bisher angenommenen Opferzahlen fragwürdig erscheinen lassen, möchte man explizit auch die individuellen Schicksale der einzelnen Menschen beleuchten. Und aufzeigen, mit welcher Gewalt die jüdische Bevölkerung konfrontiert worden ist.

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