Esther Kinsky erhält Düsseldorfer Literaturpreis

Die Berliner Autorin will politisch gelesen werden. In Düsseldorf wurde sie für ihren Roman "Hain" ausgezeichnet.

Esther Kinsky erhält Düsseldorfer Literaturpreis
Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Die Schriftstellerin und Übersetzerin Esther Kinsky hat Montagabend im Forum der Stadtsparkasse für ihren Roman „Hain“ den Düsseldorfer Literaturpreis erhalten. Er zählt mit 20 000 Euro zu den höchst dotierten literarischen Auszeichnungen in Deutschland. Die Kunst- und Kulturstiftung der Stadtsparkasse verlieh den Literaturpreis zum 17. Mal. Er zeichnet Autoren aus, die sich mit ihrem deutschsprachigen Werk inhaltlich oder formal auf andere Künste beziehen.

Eine siebenköpfige Jury entschied sich einhellig sich für „Hain“. Kinskys viel gerühmtes Buch (es hat bereits den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse erhalten) sei eine „Totenbeschwörung, ein literarisches Requiem, eine Winterreise zu den Toten. Tief traurig und dunkel schön. Der Roman ist meisterlich und herzerhebend und ohne jede Absicht spendet er Trost“, begründete Juror und Laudator Hubert Winkels die Wahl.

In „Hain“ reist die namenlose Ich-Erzählerin in drei relativ unbekannte italienische Gegenden: Olevano (östlich von Rom), Chiavenna (Lombardei) und Comacchio in der Po-Ebene. Sie erkundet Hügel, Flüsse, Tiere, Pflanzen, aber auch Friedhöfe mit ihren Grabsteinen und Kolumbarien. Die Erzählerin unternimmt eine etwas andere italienische Reise: Sie trägt Trauer über ihren verstorbenen Partner namens M., und diese Trauer mischt sich in ihre Wahrnehmungen der italienischen Landschaft. Sie pendelt zwischen den Welten der Toten und Lebenden. Dank der Natur und der Sprache schreibt sich die Trauernde wieder zurück ins Leben, ganz konkret durch die Erinnerung an das Wort „Seidenreiher“.

Doch auch Erinnerungen an einen anderen Toten tauchen auf: an den Vater, der einst mit den Kindern nach Italien gereist war, um die Gräber der Etrusker zu erkunden. Schon in der Familie herrschte also ein Hang zum Jenseitigen. Über einen klassischen Plot verfügt „Hain“ nicht. Im Mittelpunkt stehen Beobachtungen, Erinnerungen und Assoziationen. Handlung erscheint, wenn überhaupt, nur als Fragment. Faszinierend: Mit einem Sprachfest aus schmückenden Adjektiven und Beiwörtern beschwört die 61-jährige Autorin die grauen Farben des winterlichen Italiens und die Schwere der Trauer. Kinsky ist auch Dichterin, das schwingt in den Sätzen immer mit.

Die Erzählerin blendet aber auch immer hinüber zu anderen Künsten, zu den Bildern des Renaissance-Malers Fra Angelico oder zu den Filmen von Pasolini, der sich auch weniger mit Handlungen als mit Orten auseinandersetzt. Kinsky untertitelt ihr Buch mit „Geländeroman“, ein neues Genre also. Dahinter steckt der Begriff „gestörtes Gelände“, der sich auf ihren Lyrikband „Naturschutzgebiet“ bezieht. Er stammt aus der Botanik und bezeichnet ein Terrain, in dem sich Natur nach einem menschlichen Eingriff wieder etabliert.

Das Gelände, zumal das italienische, sei auch immer politisch konnotiert, erklärt Kinsky: „In dem Buch geht es auch um Migration. Das gestörte Gelände ist auch Gelände, über das unzählige Heimatlose, Ziellose, Unwillkommene wandern. Diese herumwandernden Afrikaner, die so viel Schreckliches hinter sich haben, haben mich unglaublich berührt. Das war auch ein Grund, warum ich wieder nach Italien zurückgefahren bin, um mich mehr mit dem Land zu befassen“. „Hain“ ist also auch ein Appell an Europa, Italien mit der Flüchtlingskrise nicht alleine zu lassen. Im Rahmen der Literaturtage liest Kinsky heute um 19.30 Uhr im Heine-Haus aus „Hain“.

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