Eine Passionsfigur nach dem Ela-Sturm im Hofgarten

In sich gekehrt und gen Himmel gewandt ist die Skulptur der jungen Holzbildhauerin Sulamith Loomans. Ein Porträt.

Beim letzten Rundgang machte Sulamith Loomans in der Bildhauerklasse von Didier Vermeiren ihren Abschluss. In einem Raum, der ausschließlich von abstrakten Skulpturen bestimmt war, stand ihre Holzfigur. Ein Mensch, so groß wie sie selbst. Der Körper fast körperlos, entsprechend dem Stamm, aus dem er herausgeschält war. Mit einem Arm hinter dem schmalen Rückgrat, als strebe er gen Himmel. Im Nationalmuseum in Warschau haben die mittelalterlichen Passionsdarstellungen derart expressive Gesten. Aber Loomans Gestalt ist kein Leidender. Eher ein in sich gekehrter Mensch. Mit Glupschaugen und einer platten Nase, als sei das Gesicht eine Referenz an afrikanische Masken. Wer ist diese Künstlerin, die dieses Werk geschaffen hat?

Eine Passionsfigur nach dem Ela-Sturm im Hofgarten
Foto: Judith Michaelis

Sulamith Loomans, Bildhauerin

Sulamith Loomans wurde in Bad Säckingen im Schwarzwald geboren. Sie hat vier Geschwister, zwei adoptierte Geschwister und einen Halbbruder. Sie erklärt: „Wir sind eine große Familie. Jeder kann einem etwas geben.“ Sie überträgt dieses Gemeinschaftsgefühl auf ihre Kunst: „Mich beeindruckt der Mensch. Das ist das Wichtigste, was einen umgibt. Es macht nichts, ob man im Schwarzwald, in Düsseldorf oder in New York ist, man hat es überall mit Menschen zu tun. Der Mensch ist der Ausgangspunkt meiner Kunst und meiner Inspiration.“

Sie schert sich nicht darum, was die Kommilitonen sagen, die eher in der Welt des Ungegenständlichen zu Hause sind. „Ich bin eben so“, erklärt sie ihren Standpunkt. Sie ist eine der ganz wenigen Bildhauerinnen aus der Akademie, die figürlich und in Holz arbeiten.

Im Gegensatz zur inzwischen berühmten Paloma Varga Weisz, die eine Holzbildhauerlehre machte, fing Sulamith Loomans sofort an. „Direkt von der Schule aus ging ich ein Jahr auf die Kunstschule Offenburg, um zu sehen, ob die Kunst wirklich mein Leben ist.“ Inzwischen weiß sie: „Seit Anfang meines Studiums arbeite ich an meiner Kunst. Es ist selten, dass ich mir freinehme. Außer am Wochenende. Da jobbe ich in der „Destille“, wasche Teller ab und richte Salate an. Man muss ja auch überleben.“

Über den Genie-Paragrafen (ohne Abitur) kam sie mit 20 Jahren an die Kunstakademie. Noch während des Orientierungsjahrs fragte ihr Professor sie, ob sie in ihre Klasse wolle. Didier Vermeiren pocht auf die Formfindung in der Skulptur, aber er schätzt auch Auguste Rodin, den Menschengestalter. So bestärkte er sie, ihren eigenen Weg zu gehen.

Der Ausgangspunkt ihrer Holzskulptur war der Sturm Ela. Im Hofgarten fand sie den vom Wind zerstörten Baumstamm und schleppte ihn auf einer Sackkarre in die Akademie. „Ich habe mir den abgeschälten Stamm angeschaut und mich gefragt, welche Eigenschaft in dem Holz steckt. Ich sah sofort den Menschen, mit dem Riss im Brustkasten, aber auch mit dem Arm im Rücken.“

Sie weiß bis heute nicht, was für ein Holz sie vor sich hatte. „Es ist kein Schnitzholz, aber das macht nichts. Ich habe zunächst eine Säge genommen und anschließend mit dem Beitel Stück für Stück herausgeschlagen. Zuletzt habe ich die Feinheiten im Gesicht und am Ohr ausgearbeitet“, sagt sie.

Einige Besonderheiten machen die Skulptur zu einem Werk großer Kunst. Da ist der Ast für den Arm, den sie ausgeschält und mit Goldfarbe versehen hat. Dadurch entsteht der Eindruck, der Arm wende sich gen Himmel. Das Gold habe sie genommen, um zu zeigen, dass das Innere verletzlich ist, aber trotzdem strahlt.

Ob sie in die Kirche gehe, allein oder mit den Eltern, wollten wir wissen. Völlig frank und frei kommt die Antwort: „Ja. Früher sind wir oft in die Kirche gegangen. Überall, wo wir Urlaub gemacht haben, haben wir die Gotteshäuser besucht. Es gibt dort viele, wunderbare Skulpturen.“

Aber ihre Figur ist kein Abbild aus der Kunstgeschichte. Sie hat sich die abgeschnittenen Haare ihrer älteren Schwester geben lassen. „Ich fand, es fehlte noch etwas Freches und Bockiges“, meint sie. Zottelig sieht der Haarschopf aus. Über ihm wölbt sich eine große Hand, die den Kopf gleichsam beim Schopfe erfasst. Sie sagt aber auch: „Man sieht, dass sich ein Künstler auf seine Hände verlassen kann und sich von den Händen leiten lassen muss. Das Gespür der Hände ist für ihn viel wichtiger als der Gedanke.“

Besonders stolz ist sie auf die Beine, die so ängstlich beieinanderstehen. Das sei gar nicht einfach gewesen, diese Zwischenräume zwischen den Ober- und Unterschenkeln, aber auch zwischen Hals und Hand frei zu lassen.

Ein Meisterwerk wird die Skulptur aber erst durch die Grundierung und den anschließenden Farbauftrag. „Die Figur war nackt. Aber nun ist sie viel fleischlicher und menschlicher. Ich habe sie einfach mit Ölfarbe aus der Tube bemalt und anschließend ein bisschen Weiß in Acrylfarbe drüber gelegt.“

Jetzt steht sie auf einem winzigen tellerartigen Keramikgefäß sowie auf einem Fundament aus Laminat. Sulamith Loomans spricht von verschiedenen Winkeln und Dächern wie in einer Stadt. Die Figur stehe gleichsam auf einem öffentlichen Platz.

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