Serie Eine jüdische Grundschule für alle Kinder

Düsseldorf · In unserer neuen Serie stellen wir die Schulen der Stadt vor. Unsere Autoren besuchen die Einrichtungen an einem normalen Schultag und berichten davon. Am Ende des Jahres wählt eine Jury die Träger des Schulpreises, den WZ und die Stadtwerke vergeben. Folge 4: die Yitzhak-Rabin-Schule.

 Im Religionsunterricht lernen die Erstklässler Geschichten und Personen aus der Tora kennen. Den Zwillingsbrüdern Esaw und Jaakov ordnen sie verschiedene Charaktereigenschaften zu.

Im Religionsunterricht lernen die Erstklässler Geschichten und Personen aus der Tora kennen. Den Zwillingsbrüdern Esaw und Jaakov ordnen sie verschiedene Charaktereigenschaften zu.

Foto: Michaelis, Judith (JM)

„Haben die Polizisten eigentlich auch eine Pistole dabei?“ Der kleine Junge schaut seine Mutter unter seiner blauen Wollmütze fragend an. „Ja, das gehört dazu“, sagt die Mutter lächelnd mit einem Blick,  der Bände spricht: So alltäglich der Anblick der Polizisten vor dem Eingang der jüdischen Grundschule auch ist,  die Fragen gehen einem sechsjährigen Jungen beim Thema Polizei wohl nie aus. In der Sicherheitsschleuse hat der Erstklässler seine Frage aber auch schon wieder vergessen. Er wartet geduldig, bis sich die massive Tür mit einem lauten Surren öffnet und er zu seinen Mitschülern in den Innenhof rennen kann. Er ist spät dran. Um acht Uhr beginnt der Unterricht in der Yitzhak-Rabin-Schule.

In der Klasse 1a sitzen die Schüler bereits gespannt an ihren Tischen. Der Religionsunterricht hat begonnen. Lehrerin Avigail Yasinouska oder „Hamora Avigail“ (auf Deutsch: Lehrerin Avigail) wie die Kinder die Pädagogin ansprechen, möchte von den Schülern wissen, mit welchem Gebet sie in den Tag starten. Die Arme der Kinder schießen in die Höhe. „Wir sprechen das Morgengebet“, darf Shirel (7) verkünden. „Darin danken wir Gott, dass wir Kraft für den Tag haben.“ Und dann sprechen die Kinder gemeinsam mit der Lehrerin das Morgengebet auf Hebräisch, gefolgt vom Schma Jisrael, dem jüdischen Glaubensbekenntnis.

 Eine Kamera im Klassenzimmer? Da lässt man sich doch gerne mal etwas ablenken.

Eine Kamera im Klassenzimmer? Da lässt man sich doch gerne mal etwas ablenken.

Foto: Michaelis, Judith (JM)

Heute sitzen 19 Kinder in den Reihen der Klasse 1a - keine Klasse an der Yitzhak-Rabin-Schule zählt mehr als 23 Schüler. Die Jungen tragen Kippa, die runde, verzierte Kopfbedeckung, die der jüdischen Religion nach die Ehrfurcht vor Gott zum Ausdruck bringt. Alle Jungen tragen sie - auch ein Junge in der Klasse, der nicht jüdisch ist. „Das gehört für alle Schüler dieser Schule verbindlich dazu: Die Jungen tragen Kippa, im Religionsunterricht wird gebetet, jüdische Feste werden gefeiert“, sagt Klassenlehrerin Kerstin Szabo, die die Religionslehrerin während  des Unterrichts unterstützt und für die nötige Konzentration vor allem in den letzten Reihen der Klasse sorgt.

Sie ist seit der Gründung der Schule vor 25 Jahren dabei. Als Lehrerin in der ehemaligen DDR begann sie an der jüdischen Grundschule ihre Karriere noch einmal neu. „Für mich war die jüdische Religion damals ganz neu, und alles, was neu ist, finde ich erst einmal spannend“, sagt sie. Hineingearbeitet habe sie sich in die Religion, in Werte und Bräuche. „Und noch immer weiß ich bestimmt nicht alles“, sagt sie.

 Frühstück im Klassenzimmer: In der Pause verteilt Lehrerin Kerstin Szabo Joghurt, Gemüse und Brot.

Frühstück im Klassenzimmer: In der Pause verteilt Lehrerin Kerstin Szabo Joghurt, Gemüse und Brot.

Foto: Michaelis, Judith (JM)

Die meisten der 180 Schüler an der Yitzhak-Rabin-Schule gehören dem jüdischen Glauben an. „Unsere Schule ist aber offen für Schüler aller Glaubensrichtungen“, sagt Direktorin Daphna Schächter.  Wie viele Kinder anderer Glaubensrichtungen die Schule besuchen, will sie nicht präzisieren. „Wir sind darüber hinaus, zu sagen: Dieses Kind ist jüdisch, dieses nicht. Wir behandeln alle gleich“, sagt sie.

Kleine Klassen, zwei Pädagogen pro Klasse, kein Unterrichtsausfall – die Grundschule der jüdischen Gemeinde hat sich einen guten Ruf erarbeitet. Nicht nur unter den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde. „Wir bauen im Sommer unsere Schule aus, um der großen Nachfrage gerecht zu werden“, sagt Schächter. 20 Schüler mehr werden im neuen Schuljahr aufgenommen. „Würden wir nicht ausbauen, könnten wir nur den Kindern aus der Gemeinde einen Platz an unserer Schule geben. Wir möchten aber gerne mehr Kinder aufnehmen.“ Für den Ausbau wird der Musikunterrichtsraum im Erdgeschoss zum Klassenraum umgebaut, der Musikunterricht findet dann ab Sommer im Gebäude der jüdischen Religionsschule auf der anderen Seite des Innenhofs statt. Ebenfalls auf dem Gelände liegt der Kindergarten der Gemeinde. „Mit ihm arbeiten wir eng zusammen, damit der Wechsel von Kindergarten zur Schule optimal verläuft“, sagt Schächter.

 Das Logo der Schultag-Serie.

Das Logo der Schultag-Serie.

Foto: WZ

Als staatlich anerkannte Ersatzschule wird die Yitzhak-Rabin-Schule durch das Land NRW finanziell unterstützt, den größten Teil trägt die jüdische Gemeinde selbst. Ein Förderverein unterstützt das Schulleben zusätzlich, mit dem Geld werden unter anderem Feste, Klassenfahrten und besondere Lehrmaterialien angeschafft.  Eltern zahlen kein Schulgeld, sondern lediglich das Essensgeld. Die Kinder werden täglich mit Minibussen in die Schule gefahren und wieder nach Hause gebracht. Auch dafür entstehen den Eltern keine Kosten. „Die Busse fahren teilweise bis nach Essen“, sagt Schächter.

Es ist Frühstückszeit. Auf einem Servierwagen werden Joghurts, frisches Gemüse und Brote in die Klasse gefahren. Während sich die Schüler daran bedienen, erzählen sie, was sie an ihrer Schule besonders mögen: „Die Bibliothek ist super! Da kann man sich hinsetzen und Bücher lesen“, sagt Michelle. Ilinca betont: „Und sie sogar mit nach Hause nehmen.“

Auf dem Weg zur Bibliothek mit ihren rund 2000 Medien erläutert Schulleiterin Daphna Schächter das Profil der Schule: „Der Unterricht richtet sich nach dem Lehrplan NRW, die Schule hat aber ein jüdisches Profil.“ Und das zeigt sich im Stundenplan: Vier Wochenstunden für jüdische Religion sowie vier Wochenstunden für Hebräisch, die erste Fremdsprache, sieht der Lehrplan vor. Für russischsprachige Kinder, die den größten Teil der Schülerschaft ausmachen, bietet die Schule außerdem  muttersprachlichen Ergänzungsunterricht an.

Feiertage und Symbole, Gebete, jüdische Werte, Sitten und Bräuche und biblische Geschichte sind Teil des Schulalltags. Und das verdeutlichen nicht zuletzt auch die vielen bunt bestückten Vitrinen und Bilderrahmen, bemalte Leinwände und Plakate, auf denen sich die Schüler mit ihrer Religion auseinandergesetzt haben. Eine Vitrine fällt besonders ins Auge: Schüler haben aus Filz und großen Stricknadeln eine besonders bunte Version der Tora genäht. Die Tora ist der erste Teil des Tanach, der hebräischen Bibel.

In der Bibliothek hat sich eine kleine Lesegruppe versammelt. „Die Bibliothek wird von den Klassen, aber auch in den Spielzeiten nach dem Mittagessen besucht“, erläutert Schulleiterin  Schächter. Die Yitzhak-Rabin-Schule ist eine verlässliche Ganztagesschule mit vier Schultagen von 8 bis 15.30 Uhr. Freitags endet der Schultag bereits um 13 Uhr, damit die Kinder sich auf den Sabbat vorbereiten können. Dieser jüdische Ruhetag wird jede Woche als Feiertag begangen und beginnt bereits am Freitag mit dem Sonnenuntergang.

Für die ersten beiden Klassen gibt es am Vormittag einen festen Unterrichtsblock von fünf Unterrichtsstunden, für die älteren Schüler umfasst der Vormittagsunterricht sechs Unterrichtsstunden. Unterbrochen wird der Vormittagsunterricht durch eine gemeinsame Frühstückspause und zwei Hofpausen. Das koschere Mittagessen nehmen die Kinder jahrgangsweise in zwei Gruppen in unterschiedlichen Speiseräumen innerhalb des Schulzentrums ein. Anschließend beginnt für die Kinder die Spielzeit. „Wenn die Kinder nach Hause kommen, müssen sie nichts mehr für die Schule erledigen. Die Hausaufgaben werden an zwei Tagen am Nachmittag in der Schule erledigt. An den anderen Tagen gibt es keine Hausaufgaben“, so Schächter.

Dass die Schüler von Polizisten und Wachpersonal beschützt werden, der Weg nach drinnen und nach draußen durch die Sicherheitsschleuse führt, das zählt Daphna Schächter nicht als Besonderheit ihrer Schule auf. „Das ist für die Schüler zum Alltag geworden, damit wachsen sie auf“, sagt sie. Fragen müsse sie deshalb längst nicht mehr beantworten. Und sollte es doch mal eine geben? „Dann erkläre ich, dass Menschen auf uns aufpassen und dies ein ganz sicherer Ort ist, an dem man gut lernen kann.“

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