Stadtteilchen Düsseldorfs vermasseltes Woodstock

Düsseldorf · Das Festival „Joint Meeting“ im Eisstadion an der Brehmstraße hätte 1970 mit Bands wie Status Quo eigentlich das Zeug gehabt, in die Geschichte einzugehen. Eigentlich.

 In den Düsseldorfer Nachrichten lässt sich nachlesen, dass die Eintrittskarten-Rolle für das Festival gestohlen wurde.

In den Düsseldorfer Nachrichten lässt sich nachlesen, dass die Eintrittskarten-Rolle für das Festival gestohlen wurde.

Foto: Archiv

Ich weiß nicht mehr ganz genau, was ich heute vor 50 Jahren gemacht habe. Ich weiß aber, dass ich am Samstag 16. Mai 1970 süße 14 Jahre alt war und gerade erste Kontakte mit verbotenen Substanzen gemacht hatte. Ich weiß auch noch, dass all das mit den Substanzen in der letzten Stunde vor den Osterferien seinen Anfang nahm. Da hockte ich in meiner Klasse im Geschwister-Scholl-Gymnasium und war nur wenig interessiert an dem, was der Herr Studienrat uns mit in die anstehende Freizeitphase gab. Auf einmal reichte mir mein Kumpel Ulli eine Cola-Flasche rüber. Die hatte er von Frank bekommen, dem verruchtesten Typen in der Klasse. „Ist ein Trip drin“, sagte Ulli, und ich nahm sofort einen beherzten Schluck.

Trip stand damals für LSD, also Lysergsäurediethylamid, also Droge, also gefährlich. Ich hatte viel davon gehört, und das meiste, was ich davon gehört hatte, waren Geschichten aus einem Abenteuerland. Da wollte ich auch hin. LSD war als bewusstseinserweiternder Hit ein Riesenthema gewesen auf den großen Festivals des Vorjahres, in Woodstock, auf der Isle Of Wight oder beim Essener Pop- und Blues-Festival, wo Deep Purple und Pink Floyd als Stars auf der Bühne standen.

Erinnerungen an 1970:
Wichtig war nur der Rausch

Ich hatte damals keine Freundin, war Kommunist und schlecht in der Schule. Was also hatte ich zu verlieren? Ich nahm diesen Trip, und ab ging die Reise. Ich trieb mich fortan fast nur noch auf der Neubrückstraße herum, wo man damals vor den Kneipen „Clou“ und „Creamcheese“ alle paar Meter all das angeboten bekam, von dem die Eltern dringend abrieten, was man aber gerade deswegen dringend probieren musste. Für mich war 1970 mein LSD-Jahr. Ich ahnte nicht, wie gefährlich ich lebte. Wichtig für mich war allein der Rausch. In dem stellten wir, also Ulli, Frank und ich, regelmäßig allerlei Unsinn an. Wir angelten Karpfen aus dem Kö-Graben, verwandelten sorgsam gepflegte Vorgärten in wüstenähnliche Gegenden und beschmierten Wände. Kurz gesagt: Wir waren auf Droge die größten Vollpfosten der Stadt. Jeder konnte das sehen, nur wir nicht.

Lustigerweise hat sich dann 1971 alles gedreht, weil ich da meine erste Freundin fand und die Drogen von heute auf morgen weitgehend aus meinem Leben verschwanden. Aber das wusste ich zu Pfingsten 1970 noch nicht, weshalb ich eigentlich an der Brehmstraße hätte sein müssen. Dort fand nämlich im Eisstadion vom 16. bis 18. Mai das Joint Meeting statt, ein Festival, bei dem so viele hoch prominente Namen auf dem Plakat standen, dass jeder Rock-Historiker beim heutigen Lesen in verschärfte Schnappatmung verfällt. Spooky Tooth, Yes, Fleetwood Mac, Colosseum, Taste mit Rory Gallagher, King Crimson, The Move mit Jeff Lynne, Humble Pie, Blind Faith mit Eric Clapton und Ginger Baker, Vanilla Fudge und Status Quo wurden angekündigt. Für 15 Mark wurde die Tageskarte, für 38 Mark die Dauerkarte angeboten, ein aus heutiger Sicht echter Spottpreis.

Etwas kleiner als die Bands war auf dem Plakat unten rechts eine Einschränkung zu entdecken. „Änderungen im Programm vorbehalten“, stand dort. Dazu muss man wissen, dass in jenen Zeiten Veranstalter gerne mal alle Namen aufs Poster schrieben, die ihnen gerade einfielen und danach erst anfragten, ob die Bands überhaupt Zeit hatten. Dementsprechend kamen Spooky Tooth, Yes, King Crimson und Fleetwood Mac auch nie auf eine der zwei Bühnen im Eisstadion. Ebenso wenig wurde Eric Clapton gesichtet.

Dafür war dessen Kumpel Ginger Baker vor Ort und sorgte dem Vernehmen nach für ordentlich Rabatz. Weil nämlich wegen der Anwohner um 22 Uhr Schluss sein musste und Baker gerne mit seiner Band Airforce ein volles Zweistundenset spielen wollte, stürmte er am ersten Tag kurzerhand auf seine Bühne, hämmerte wild auf sein Schlagzeug ein, während gegenüber gerade Steve Marriott und Peter Frampton mit ihrer Band Humble Pie in die Überlänge gingen.

Auch sonst lief so einiges nicht so, wie es sollte. „In meiner Erinnerung war es völlig chaotisch“, teilte mir kürzlich Manfred Hebenstreit mit, ein Leser, der damals live dabei war. Er wisse gar nicht, wen er da gesehen und gehört habe, merkte er an. „Ich weiß es nicht, nicht weil ich betrunken war oder geraucht hätte, es war einfach nur ein lautes Durcheinander“, schrieb er und lieferte gleich auch einen Titel-Vorschlag mit: „Das vermasselte Woodstock an der Brehmstraße.“

Der eigentliche Skandal sei allerdings nicht das Chaos der Veranstalter gewesen, auch nicht die Lautstärke der Musik. Vielmehr missfiel dem Düsseldorfer Rockfan, dass manche Besucher auf der Wiese im Zoopark übernachteten und das Veranstaltungsmotto „Joint Meeting“ sehr wörtlich nahmen und große Zigaretten kreisen ließen. Das habe den ach so vornehmen Anwohnern im ach so vornehmen Zooviertel überhaupt nicht gefallen. „Nicht meine Schuld“, schrieb Hebenstreit. „Ich lag nicht auf der Wiese, ich hatte nur eine Tageskarte und bin nachts brav zu Muttern nach Hause zurück.“

Sucht man ein bisschen im Internet, dann findet man etliche Berichte über das Joint Meeting. In fast allen ist vom Chaos vor, auf und hinter den Bühnen die Rede, von Bands, die gar nicht erst kamen, und von Bands, die zwar kamen, aber sofort wieder abreisten, als sie sahen, wie es dort drunter und drüber ging. Das Joint Meeting „hätte das umfangreichste und – gemessen an der Qualität der annoncierten Gruppen – auch das bedeutendste aller bisher in der Bundesrepublik abgehaltenen Festivals dieser Art werden können“, hieß es damals in der „Zeit“. Hätte, hätte...

Von Status Quo, die an diesem Samstag vor Humble Pie auf der Bühne an der Brehmstraße gingen, gibt es bei YouTube sogar einen Tonmitschnitt, der belegt, dass es damals oft reichte, wenn man gerade mal ein 25-Minuten-Set ablieferte. Die doppelte Spielzeit lässt sich beim Clip-Kanal von Rory Gallaghers Taste abhören. Allerdings ist die Authentizität dieser Aufnahme mit Vorsicht zu genießen. Sie wird zwar als Mitschnitt aus dem Eisstadion ausgewiesen, datiert aber auf den 15. Mai, als Taste in Manchester spielten. In Düsseldorf schlugen sie erst am Pfingstmontag, also am 18. Mai auf.

Rund 30 000 Besucher vermeldete der „Express“ als Mitveranstalter damals für das Joint Meeting, nur neun davon habe die Polizei wegen „Rauschgiftvergehens“ festnehmen müssen. „Trotz der heißen Beattage – die Gartenanlagen blieben geschont“, hieß es. Kein Wunder, ich war ja woanders.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort