Interview mit Crew-Mitglied Düsseldorferin Verena Würz war beim Drama um die „Sea Watch 3“ live dabei

Düsseldorf · Verena Würz rettete als Teil der „Sea Watch 3“-Crew Menschen aus dem Mittelmeer. Im Interview spricht die Hockey-Bundesligaspielerin über ihre Erlebnisse und die zwischenzeitlich verhaftete Kapitänin Carola Rackete.

 Verena Würz studiert Medizin und war an Bord der „Sea Watch 3“.

Verena Würz studiert Medizin und war an Bord der „Sea Watch 3“.

Foto: Till M. Egen

Verena Würz stieg am Montagabend aus dem Flieger. Die Düsseldorfer Medizinstudentin hat die vergangenen zwei Wochen auf der „Sea Watch 3“ verbracht. Das Rettungsschiff war mit ihrer Kapitänin Carola Rackete und mehr als 40 Migranten an Bord am Wochenende unerlaubt in den Hafen der italienischen Insel Lampedusa eingefahren. Rackete wurde verhaftet, ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Würz erlebte alles hautnah. Wir sprachen mit der Hockey-Bundesligaspielerin des Crefelder HTC über ihre bewegenden Erlebnisse im Mittelmeer.

Frau Würz, wie geht es Ihnen?

Verena Würz: Zunächst einmal ist das alles völlig verrückt. Mir war überhaupt nicht klar, wie groß das Thema hier ist. Ich wäre gerne dort geblieben, musste aber aus privaten Gründen relativ schnell abreisen. Das ist echt furchtbar, denn am besten verarbeitet man das mit den Menschen, mit denen man es erlebt hat. Auch dieser mediale Aufschrei ist irgendwie schwierig. Aber es war so wichtig für Caro, dass diese Solidaritätswelle jetzt anhält und wir Crew-Mitglieder konnten hierzu natürlich am besten beitragen, indem wir viel erzählen. Umso erleichternder ist es jetzt für mich, dass Caro auf freiem Fuß ist und die Geflüchteten an Land sind.

Inwiefern gibt es die Möglichkeit, die Schicksale der Flüchtlinge weiterzuverfolgen?

Würz: Grundsätzlich hatten wir uns als Crew vorgenommen, eine gewisse Distanz zu halten, aber es ist alles anders gelaufen, als es bei einer „normalen“ Seenotrettung der Fall ist. Insofern werden wir schon versuchen, die Schicksale der Geretteten weiterzuverfolgen. Im Moment der Disembarkation ging irgendwie alles sehr schnell, der Druck war immens. Keiner von uns hat gewollt, dass es soweit kommt – wir diese Eskalationsstufe erleben müssen. Die Situation war aber alternativlos, wir konnten dort nicht bleiben. Auch Caro war völlig unter Schock, als wir realisiert haben, dass wir am Anlegen gehindert werden sollten und es zur Kollision kam.

War Ihnen, als Sie sich für den Einsatz auf der „Sea Watch 3“ beworben haben, bewusst, dass es zu einer solchen Situation kommen kann?

Würz: Im Vorfeld des Einsatzes haben wir natürlich alles besprochen, auch alle Szenarien quasi durchgespielt. Trotzdem hat niemand wirklich geglaubt, dass sie es so weit kommen lassen. Wir wussten alle, dass an uns ein Exempel statuiert werden könnte, denn es war die erste Aktion nach dem erlassenen Dekret. Wir wussten auch, dass wir alle strafrechtlich verfolgt werden können und dachten, als wir an Land gegangen sind, dass wir möglicherweise sogar alle gemeinsam angeklagt werden. Als wir auf dem Schiff waren, hat es trotz Kontakt mit der Politik, keinerlei politische Lösungsansätze gegeben, obwohl viele Städte im Zuge der Seebrücke ihren Aufnahmewillen bekundet haben. Jetzt im Nachhinein mit dem Moralfinger von Deutschland aus auf Italien zu zeigen, fällt hingegen ganz leicht. Wie es letztlich im Verfahren weitergeht, werden wir sehen – ich hoffe natürlich, dass die Untersuchungen ein positives Ende nehmen und die „Sea Watch“ freikommt. Wenn nicht, glaube ich, hat die Organisation „Sea Watch“ noch Handlungsmöglichkeiten in der Hinterhand.

Ist die Enttäuschung und Wut in Richtung Politik erst auf der „Sea Watch“ gewachsen?

Würz: Ich bin eigentlich eher unpolitisch, mich hat es nur in letzter Zeit sehr gestört, dass zunehmend menschenverachtende Sätze in der Politik fallen. Das war bis vor einigen Jahren sicherlich undenkbar. Natürlich sind das Äußerungen, die vor allem von der AfD kommen, aber eben nicht nur in Deutschland. In der ganzen Welt herrscht eine solche Stimmung. Das Traurige ist, dass die politische Mitte als Reaktion darauf erstaunlich leise bleibt. Ich bin absolut nicht linkspolitisch denkend, aber meiner Meinung nach darf es keine Gesetze geben, die es verbieten, Menschen in Not zu retten.

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich für einen humanitären Einsatz beworben haben und was haben Familie und Freunde dazu gesagt?

Würz: Schon in den vergangenen eineinhalb Jahren habe ich mich immer wieder für humanitäre Einsätze beworben, insofern war es für mein Umfeld keine Überraschung. Für mich war es die Möglichkeit, mich unter Extrembedingungen kennenzulernen. Ich habe seit einigen Jahren das Vorhaben, Auslandseinsätze als Mediziner zu begleiten – auch in Kriegsgebiete. Selbst wenn die Situation nichts mit einem Kriegsgebiet zu tun hatte, weiß ich nun, dass ich auch in Extremsituationen „funktioniere“. Mein Vorhaben hat sich insofern gefestigt.

Um welche Verletzungen ging es auf dem Schiff und wie haben Sie die Kraft gefunden, die Extremsituation zu überstehen?

Würz: Wir hatten vor allem mit Verbrennungen und Verätzungen durch Salzwasser und Benzin gerechnet. Im Endeffekt hatten die Menschen an Bord aber vielfach Folterverletzungen, daraus resultierende wiederkehrende Schmerzen und posttraumatische Belastungsstörungen. Zudem mussten wir gegen die Dehydratation arbeiten, aber bei zwölf Stunden Sonne an Deck auf schwarzen Gummimatten kannst du so viel Flüssigkeit in dich hineinschütten wie du willst. Auch ich selbst hatte jeden Abend Kopfschmerzen und war total übermüdet. Trotzdem haben wir uns alle immer wieder gegenseitig Kraft gegeben.

Wie geht es jetzt für Sie persönlich weiter?

Würz: Ich glaube nicht, dass ich psychologische Hilfe hinzuziehen werde, ich habe das Gefühl, dass ich es selbst gut verarbeiten kann. Auf dem Schiff habe ich viel mit den Personen gesprochen, die mir nahestehen. Ich muss jetzt aber erst einmal zur Ruhe kommen. Es gibt aber auch das Gefühl der Verpflichtung, zu berichten, wie es wirklich gewesen ist. In Zukunft würde ich gerne bei „Sea Watch“ weiterarbeiten. Fakt ist, dass sich nach solchen Erfahrungen die Relationen im Leben verschieben – noch einmal mehr als nach 24-Stunden-Diensten im Rettungsdienst.

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