Obdachlosigkeit Düsseldorfer Obdachlose erzählen zwei Frauen ihre Geschichte

Düsseldorf · Stefanie Kaufmann und Janna Lichter haben gemeinsam ein Buch veröffentlicht. Die Einnahmen kommen Obdachlosen zugute.

 Journalistin Stefanie Kaufmann, die obdachlose Nicki und Fotogtrafin Janna Lichter mit einem Exemplar des Buches.

Journalistin Stefanie Kaufmann, die obdachlose Nicki und Fotogtrafin Janna Lichter mit einem Exemplar des Buches.

Foto: S. Kaufmann

Obdachlose sind ein präsenter Bestandteil des Stadtbildes, und doch bleiben ihre Geschichten meist im Verborgenen. Mit dem Buch „Draußen sein“ wollten Stefanie Kaufmann (Text) und Janna Licher (Fotos) das ändern. Ein Gespräch über ihr Projekt.

Wie ist Ihr persönliches Interesse am Lebens der Obdachlosen entstanden?

Stefanie Kaufmann: Es fing vor sieben Jahren mit einem Ehrenamt an, das ich als Ausgleich zu meiner Arbeit gesucht habe. Seitdem verteile ich nachts Kaffee, Suppen und Schlafsäcke an Obdachlose. Dabei kommen wir Ehrenamtler automatisch ins Gespräch mit den Leuten – über Alltägliches, über kleine Freuden und große Probleme. Die Geschichten fand ich irgendwann so spannend, dass ich sie aufschreiben wollte.

Janna Lichter: Ich verknüpfe seit Beginn meines Studiums Design mit sozialen Fragen. Zurzeit realisiere ich mit der Hochschule Düsseldorf mehrere Projekte, die sich mit dem Thema auseinandersetzten. Wir erforschen die Sprache des Worringer Platzes und konzipieren Workshops, die Menschen auf der Straße autorisieren, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Durch die multimediale Arbeit mit den Menschen vor Ort versuchen wir, einen inklusiven Raum für Kommunikation zu schaffen.

Frau Kaufmann, welche Erfahrungen hatten Sie schon vor Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit beim Gute-Nacht-Bus mit wohnungslosen Menschen auf der Straße?

Stefanie Kaufmann: Keine. Ich komme vom Dorf, wo es keine Wohnungslosen gibt. Sie fielen mir erst auf, als ich in Großstädte zog, nach Düsseldorf und Berlin. Die Frage, was den Menschen in ihrem Leben zugestoßen ist, habe ich mir schon damals gestellt – aber nicht den Leuten.

Ist es Ihnen leicht gefallen, sich in die Situation der Menschen hineinzuversetzen und eine Vertrauensbasis zu schaffen?

Janna Lichter: Das Hineinversetzen hat immer bedeutet, sich Zeit zu nehmen, aufmerksam zu sein und gut zuzuhören. Dabei habe ich den Menschen auch gerne etwas von mir erzählt. So ist eine Vertrauensbasis entstanden, die auf aufrichtigem Interesse beruht. Wir sind offen in jede Begegnung gegangen, hatten vorher und nachher keine festgefahrenen Vorstellungen.

Stefanie Kaufmann: Durch die Arbeit für den Gute-Nacht-Bus kannten wir viele der Menschen schon länger. Wir haben bewusst unterschiedliche Persönlichkeiten ausgewählt und zudem Menschen, die ihr Leben und unsere Gesellschaft klar reflektieren. Das Vertrauen haben sie uns schnell geschenkt, dafür sind wir sehr dankbar. Dazu hat auch der Bus als wichtige Anlaufstelle mit so vielen engagierten Leuten beigetragen.

Frau Lichter, welche Herausforderungen hatten Sie als Fotografin beim Ablichten der Menschen für die Geschichten?

Janna Lichter: Die größte Herausforderung war, immer flexibel zu sein. Egal, ob unsere Treffen sonntags im Wald oder zwischen zwei Vorlesungen am Hauptbahnhof stattfanden. Wir waren da und mussten erst einmal Verständnis für kurzfristige Absagen oder vergessene Termine entwickeln, weil das Leben auf der Straße seine eigenen Regeln hat. Vielleicht ist das aber auch ein entscheidender Punkt gewesen, das Ungewisse. Es hat die Arbeit spannend gemacht. Ziel war dabei immer, die generalisierten Bilder von Obdachlosigkeit aufzubrechen und eine Multiperspektive auf das Thema zu schaffen.

Wie ist Ihre persönliche Wahrnehmung von obdachlosen Menschen auf der Straße heute im Vergleich zu der Situation vor fünf bis zehn Jahren?

Stefanie Kaufmann: Es gibt wahrnehmbar mehr Obdachlose. Das belegen Schätzungen, das merken wir auch abends am Bus. Vor fünf Jahren blieb mehr Zeit für Gespräche, heute kommt es mir an manchen Abenden wie Akkord-Arbeit vor, alle zu versorgen.

Frau Kaufmann, welche Resonanz erhalten Sie von den Lesern in Bezug auf die Obdachlosigkeit in Düsseldorf?

Stefanie Kaufmann: Viele schreiben, dass sie obdachlose Menschen künftig mit anderen Augen sehen werden. Sie wollen helfen. Das macht mich sehr glücklich.

Und wie ist die Resonanz von Medien und Experten zu Ihrem Buch?

Stefanie Kaufmann: Experten sind für mich all die Menschen in dieser Stadt, die in den wichtigen Anlaufstellen arbeiten. Die vielen Sozialarbeiter, die sich täglich kümmern. Ohne sie würden hier Lebenswelten auseinanderbrechen. Ihre Arbeit hat einen unschätzbaren Wert und wird auch viel zu oft übersehen. Ich hoffe, dass am Ende alle Beteiligten mehr Wertschätzung erfahren. Die Medien, die unser Projekt durch zahlreiche Berichte unterstützen, tragen dazu bei.

Frau Lichter, ist eine Fortsetzung geplant?

Janna Lichter: Wir werden im September eine Ausstellung in der Fiftyfifty-Galerie machen, gemeinsam mit der Hochschule Düsseldorf. Ziel ist es, die Geschichten der Menschen auch in Ton- und Bewegtbildern erfahrbar zu machen. Wir stellen alte Fotoalben von ihnen aus, selbst gemachte Graffiti, selbst geschriebene Gedichte und vieles mehr. Außerdem wollen wir die Frage beantworten: Was hat das Buch mit den Menschen gemacht? Und umgekehrt: Was haben die Geschichten bei den Lesern bewirkt?

Haben Sie diese Geschichten persönlich bewegt?

Janna Lichter: Mich bewegen zwei Dinge immer wieder. Das eine sind die Menschen selbst mit ihren unterschiedlichen Lebenswegen. Auf der anderen Seite werde ich immer wieder von Bekannten gefragt, ob die Obdachlosen nicht selbst schuld an ihrer Situation seien. Das wühlt mich noch mehr auf. Es geht nicht um die Schuldfrage, sondern darum, hinzuschauen und zu verstehen. Entscheidend ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Obdachlosigkeit und wie die Gesellschaft damit umgeht.

Stefanie Kaufmann: Für mich sind alle neun Menschen im Buch auf ihre Art starke Persönlichkeiten. Sie sind zäh und haben gelernt, immer wieder aufzustehen. Ich habe von jedem etwas gelernt. Emotional bewegt hat mich besonders ein Besuch bei der 36-jährigen Nicki, die bis vor Kurzem mit ihrem Hund allein in einer Hütte im Wald gelebt hat. Das hätte ich vorher nicht für möglich gehalten, dass es das in Düsseldorf gibt.

Wie war die Zusammenarbeit mit der Bürgerstiftung, einzelnen Verlagshäusern und den Buchhändlern?

Stefanie Kaufmann: Wir haben keinen Verlag für unser Projekt gefunden. Davon haben wir uns aber nicht abschrecken lassen, weil wir überzeugt waren, dass es wichtig ist, diese Geschichten zu erzählen. Am Ende hatten wir das Glück, dass uns die Bürgerstiftung Düsseldorf den Druck finanziert, und wir selbst haben alles ehrenamtlich gemacht – vom Design bis zum Vertrieb. Somit ist es möglich, dass der komplette Verkaufspreis von 9,90 Euro pro Buch an Obdachlose geht.

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