Medizin Düsseldorfer Mediziner geht neue Wege in der Schmerztherapie

Düsseldorf · Dr. Ulrich Ringeler verfolgt an der Paracelsus-Klinik in Golzheim ein neues Verfahren in der Schmerztherapie. Ein altgedientes Notfallbetäubungsmittel kommt jetzt bei depressiven Schmerzpatienten zum Einsatz.

 Dr. Ulrich Ringeler ist leitender Anästhesist an der Paracelsus-Klinik in Golzheim.

Dr. Ulrich Ringeler ist leitender Anästhesist an der Paracelsus-Klinik in Golzheim.

Foto: see4c/Seewald, Jörg

Dr. Ulrich Ringeler verfolgt an der Paracelsus-Klinik in Golzheim ein neues Verfahren in der Schmerztherapie. Das altgediente Notfall-Betäubungsmittel Ketamin setzt der leitende Anästhesist der Golzheimer Klinik bei der  Behandlung chronischer Schmerzen bei zugleich bestehender Depression ein.

Wie begann eigentlich die wechselhafte Geschichte des Ketamin?

Ringeler: Die Karriere von Ketamin begann in den 50er Jahren, als man ein Narkosemittel suchte, das man im Notfall ohne künstliche Beatmung einsetzen konnte, da es keine Atemdepression verursacht. Im Vietnamkrieg haben es die US-Soldaten schätzen gelernt - auch wegen seiner halluzinogenen Wirkung -  und das hat natürlich manchem in Zeiten der Flower Power-Generation gut gefallen. Es wurde zum klassischen Notfall-Narkosemittel, das man etwa einsetzt, wenn jemand an unzugänglichen Orten behandelt werden muss, wie im Bergbau, eingeklemmt im Auto und so weiter.

Und wie ist seine weitere medizinische Karriere?

Ringeler: In den letzten 10 bis 15 Jahren ergaben zahlreiche Untersuchungen, dass Ketamin, wenn es während einer Operation in sehr niedrigen Dosierungen verabreicht wird, auch dazu führt, dass seltener chronische Schmerzen danach auftreten. Auch in der Tumorschmerztherapie hat Ketamin seinen festen Platz.

Seine neueste Karriere verdankt es aber den Psychiatern.

Ringeler: Ja, Ketamin hat sich als das stärkste Antidepressivum erwiesen, das es gegenwärtig gibt. Es wirkt auf der Stelle. Es kann Patienten sogar aus der akuten Selbstmordgefährdung herausholen. Das ist ein starkes Argument. Denn alle anderen Antidepressiva haben eine Anschlagszeit von vier bis sechs Wochen.  Angeregt durch die Studien aus der Psychiatrie wende ich es nun in antidepressiver Dosierung an und zwar bei den Patienten, die bei mir in der Anamnese eine signifikante  Depressivität aufweisen,  zusätzlich zu ihrer Schmerzerkrankung. Die erhalten dann von mir das Ketamin in der üblichen antidepressiven Dosis, die ganz deutlich unter der Narkosedosis liegt. Und da haben wir schon eine ganze Reihe interessanter Heilungsverläufe gesehen. Dieses Mittel macht was. Wir sollten es nicht den Psychiatern überlassen, sondern es – natürlich nur bei gegebener Indikation – wieder häufiger in der Schmerztherapie einsetzen.

Gibt es keine Nebenwirkungen?

Ringeler: Es kann Halluzinationen hervorrufen. Manche Patienten berichten sogar, es sei wie bei einem Nahtoderlebnis, manche Menschen fühlen sich auch vorübergehend dadurch geängstigt. Diesen unerwünschten Effekt kann man mit zusätzlichen Beruhigungsmitteln auffangen. Während Ketamin wirkt, kann es zusätzlich den Blutdruck und den Puls vorübergehend etwas erhöhen.

Was passiert bei Leuten, die das Medikament missbräuchlich verwenden?

Ringeler: In China bekommt man es leicht über Tierärzte, weil es ein ideales Mittel zur Narkose bei Hunden, Pferden und Zootieren ist. Wenn man Ketamin allerdings täglich schluckt, dann entwickeln sich mit der Zeit Veränderungen in der Blase, eine Art Blasenentzündung ohne Bakterien. Allerdings scheint das nur dann einzutreten, wenn man es in irgendeiner Form schluckt, nicht wenn es intravenös oder nasal gegeben wird.

Es schadet wirklich nicht?

Ringeler: Ketamin scheint nach bisherigen Erkenntnissen nur dann langfristig zu schaden, wenn man es täglich in Rauschabsicht in einer sehr hohen Dosis durch den Mund zu sich nimmt.

Wie teuer ist eine Behandlung mit Ketamin?

Ringeler: Ketamin ist sehr billig. Es gibt es seit den 60er Jahren und kostet nun fast gar nichts mehr. Deswegen hat die Pharmaindustrie kein Interesse daran. Sie verdient daran keinen Cent mehr. Die teuren Antidepressiva braucht ja dann kein Mensch mehr. Vor allem weil die Erfolgsrate enorm ist.

Wie hoch ist sie denn?

Ringeler: Man hat laut wissenschaftlicher Datenlage bereits beim ersten Einsatz eine Erfolgsquote von 66 Prozent. Es ist aber kein Lifestyle-Medikament. Es gibt in den USA momentan einen regelrechten Ketamin-Hype. Die bieten das in ambulanten Kliniken als Lifestyle-Medikament an. In der Art, wenn man sich mal gerade nicht gut fühlt, oder man mal wieder richtig gut drauf sein möchte, dann nimm Ketamin – aber genau dafür steht mein Name nicht.

Wofür dann?

Ringeler: Für die Medikation mit Ketamin außerhalb der klassischen Narkose ist zum einen eine nachgewiesene Schmerzerkrankung notwendig und dazu eine messbare Depressivität. Dafür gibt es standardisierte wissenschaftliche Erhebungsinstrumente. Dann biete ich das an. Dann kann ich vielen tatsächlich helfen.

Gewöhnt sich der Körper an Ketamin, so dass höhere Dosen notwendig werden?

Ringeler: Nein, auch das ist bisher nicht berichtet worden. Es hilft sogar noch bei Schmerzen, bei denen Morphium-verwandte Schmerzmittel mit der Zeit ihre Wirkung verlieren. Ketamin kann diese Opioid-Resistenz wieder aufheben.
Das Interview führte Jörg Seewald

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