Düsseldorfer Künstler Mischa Kuball: „Christi Geburt ist ein überstrahlter Moment“

Das Licht ist der Stoff, mit dem der Düsseldorfer Künstler Mischa Kuball am liebsten arbeitet. Im Interview spricht er über dessen politische Dimension, romantisches Kerzenlicht und moderne Lichtgestalten.

 Mischa Kuball arbeitet mit Licht und Dunkelheit. Als Lichtkünstler sieht er sich jedoch nicht. Foto: Archiv Mischa Kuball/Daniel Biskup

Mischa Kuball arbeitet mit Licht und Dunkelheit. Als Lichtkünstler sieht er sich jedoch nicht. Foto: Archiv Mischa Kuball/Daniel Biskup

Foto: Archiv Mischa Kuball/Daniel Biskup

Düsseldorf. Mischa Kuball hat früher Entscheidern Erde über den Kopf geschüttet, wenn er politische Gegenwehr demonstrieren wollte. Sehr bald fand er jedoch in der Kunst ein idealeres Medium für die Diskussion um existenzielle Fragen. Sein erklärtes Ziel als Künstler ist es, das komplette Sensorium der Menschen anzusprechen, weswegen er mit Licht und Dunkelheit arbeitet.

Herr Kuball, trägt Ihr Weihnachtsbaum echte oder elektrische Kerzen?

Künstler Mischa Kuball: Licht und Dunkelheit sind sein Material
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Mischa Kuball: Wir sind zu Hause alle Fans von Kerzen. In der Adventszeit steht bei uns ein Kranz auf dem Tisch und zum Frühstück brennt immer mindestens eine Kerze, das ist ein festes Ritual. Den Weihnachtsbaum elektrifizieren wir, denn unsere beiden Enkelkinder sind noch klein. Kaltlichtquellen gehen allerdings privat gar nicht. Bei meiner künstlerischen Arbeit hingegen schon.

Warum sind Sie Lichtkünstler geworden? Gab es den einen Moment, in dem es Sie gepackt hat?

Kuball: Ich habe immer versucht, Bühnensituationen nachzustellen. Das hat wohl damit zu tun, dass ich auch mal eine Weile am Theater war. Im Übrigen bezeichne ich mich nicht als Lichtkünstler, sondern als Konzeptkünstler, der mit Licht arbeitet. Ich gebe mit meinem Werk nichts vor, sondern schaffe Grundbedingungen, die bei den Menschen etwas in Bewegung setzen. Mein Ziel ist es, das komplette Sensorium der Menschen anzusprechen und ihre Bereitschaft zur Teilhabe zu aktivieren.

Sie sagten einmal, Sie hätten sich vom Lichteuphoriker zum Lichtskeptiker gewandelt. Wie kam das?

Kuball: Als ich in den 1970er/1980er Jahren begann, mit Licht zu arbeiten, konnte ich Zeichen setzen, denn die Städte waren im 20. Jahrhundert noch nicht so überstrahlt wie jetzt. Der Kirchturm war beleuchtet, vielleicht das Rathaus. Das Licht, illuminierte Schilder, boten Orientierung. Man wusste, wo sich ein Kino, ein Lichtspielhaus, befand und wo ein politischer Ort wie das Rathaus. Heute wird jedes Haus beleuchtet. Alles wird gleich angestrahlt und ist somit gleich unbedeutend. Dabei gibt es nichts, was du dir schneller wegwünschst als das, was permanent leuchtet. Ich möchte meinen inhaltlichen Ansatz nicht aufgeben, jedoch prüfe ich den Weg.

In Brandenburg gibt es einen Park der Dunkelheit, damit die Augen zur Ruhe kommen. Braucht die Dunkelheit eine Ehrenrettung?

Kuball: Ja, man muss etwas dafür tun. Der Park der Dunkelheit ist jedoch nicht nur ein Plädoyer dafür, die Dauerbeleuchtung zu hinterfragen. Er ist vor allem eine optische Analogie für Erkenntnis. Für das kritische Anschauen der Welt. Licht—smog ist in diesem Zusammenhang nur ein Aspekt.

Ihnen gilt Licht als sozialpolitisches Medium. Wie setzen Sie es als solches ein?

Kuball: Es entspricht meinem Wesen, in der Kritik an Umständen zu insistieren. Ich habe 1994 die Synagoge in Stommeln bei Köln mit Licht geflutet. „Refraction house“ hieß das Projekt, „Haus der Lichtbrechung“. Wochenlang strahlte das Gebäude intensiv von innen. Tag und Nacht. Im selben Jahr hatten Neonazis in Mölln, Rostock und Solingen Anschläge auf Flüchtlinge verübt und Menschen sahen tatenlos zu oder feuerten die Täter an. Dem wollte ich etwas entgegensetzen. Also erschuf ich eine politisch aufgeladene Kultstätte direkt vor der Haustür der Anwohner und ließ das Licht in ihre Privaträume einbrechen. Das haben sie nicht nur zugelassen, sondern sich mit ihren Namen zu dem Projekt bekannt. Das waren sehr mutige Nachbarn. Darum ging es mir. Um Couragiertheit. In all den Wochen kam es trotz Drohungen der rechten Szene zu keiner Zerstörung. Nicht einmal ein Graffito gab es.

Es existiert eine Dialektik des Lichts: Licht im Sinne von Aufklärung, wie im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Vernunft. Licht kann aber auch Mittel zur Folter sein, wenn Gefangene über Tage elektrischem Licht ausgesetzt werden, um ihren Willen zu brechen.

Kuball: Unsere Augen und unsere Haut werden unmittelbar durch das Licht beeinträchtigt. An der Universität Eindhoven wird zurzeit untersucht, mit welchem Licht die Leistungsfähigkeit der Menschen erhöht werden kann. Der Einsatz solcher Leuchtmittel in Büros wird dabei durchaus in Erwägung gezogen. Im Ergebnis bedeutet das: weniger Ruhepausen und mehr Deprivatisierung. Diese Entwicklung ist am Gebrauch der Sozialen Medien abzulesen. Man befindet sich ständig im Licht der Öffentlichkeit.

Youtube-Stars und Dauerblogger als neue Lichtgestalten?

Kuball: Ich habe einen Hebel im Kopf, wenn ich dieses Wort höre, denn meine Assoziation zu Lichtgestalt ist „so viel Licht wie möglich“ und dann sind wir sehr schnell bei den Nationalsozialisten, durch die das Licht korrumpiert wurde. Albert Speer wusste, wie er Licht einzusetzen hatte, damit es in das Unbewusste der Menschen gelangt. Wer sind die Lichtgestalten von heute, wichtige Ökonomen? Politiker in verantwortlichen Position? Vielleicht. Philosophen? Schon eher... Ich glaube, eine Ausnahmesituation hat sich in populistische Dimensionen verkehrt. Wenn bei Instagram jemand von vielen hochgeladen wird, kommt er auch nach oben. Es zählt allein die Quantität, nicht die Qualität.

Wie kontern Sie?

Kuball: Mit New Pott. Bei dem Projekt ging es darum, die kulturelle Vielfalt des Ruhrgebiets künstlerisch darzustellen. Ich habe 100 Familien unterschiedlicher Herkunftsländer besucht, und jeder Familie eine Lampe geschenkt. Im Schein des Lichts haben sie ihre Lebensgeschichte erzählt, die Wohnung wurde zur Bühne. Wir haben die Gespräche aufgezeichnet und die Begegnungen fotografiert. Jede Geschichte war besonders und stand für die Wirklichkeit einer ganzen Region. Für einen Moment werden sie, wenn man so will, zu Lichtgestalten, weil sie mit ihrer Geschichte das große Thema Menschwerdung berühren.

An Weihnachten geht es auch darum. Vielleicht zünden wir deswegen häufiger als sonst im Jahr Kerzen an.

Kuball: Mag sein. An der Kerze ist das Lebendige bestechend. Man kann sehen, dass sie modelliert wird durch den leichten Wind, der immer im Raum ist. Wir erkennen das Abbrennen als Prozess. In der Adventszeit steht sie für das Hinbewegen auf das eine Licht, den Stern von Bethlehem. Christi Geburt ist, im Sinne von „zur Welt kommen“ ein überstrahlter Moment. In eine Kerze zu schauen, kann eine innere Ausrichtung geben. Man erlebt sich als gedankenverloren, lässt sich anders führen. Kerzenscheinstimmung wird als romantisch und gemütlich beschrieben, was wiederum Momente kennzeichnet, die nicht zweckgebunden sind.

Zu welcher Tageszeit mögen Sie das Licht am liebsten?

Kuball: Am Morgen, wenn ich laufe und das Licht aufsteigt. Wenn ich es jedoch recht überlege, mag ich den Sonnenaufgang und den Sonnenuntergang gleichermaßen. Diese Tageszeiten strahlen Unschuld und Ahnungslosigkeit aus. Leider wird die Anmutung durch Verblendung zerstört.

Es gibt also gutes und schlechtes Licht?

Kuball: Ja, gutes Licht ist, was uns angenehm und nützlich ist. Schlechtes Licht dasjenige, was mich blendet, wie das omnipräsente Werbelicht, das deswegen problematisch ist, weil ich mich seiner nicht erwehren kann. Wir sind technisch auf dem Weg, Licht zunehmend modellieren zu können. Die nächsten fünf Jahre werden in dieser Hinsicht entscheidend sein.

Würden Sie die Düsseldorfer Gaslaternen dem Fortschritt unterordnen?

Kuball: Auf keinen Fall. Düsseldorf ist eine der wenigen Kommunen, die über ein solches zusammenhängendes stimmungsbildendes Lichtnetz verfügt. Licht und Architektur stammen aus einer Zeit und bilden einen harmonischen Klang von Licht und Schatten. Der Lichtpunkt der Gaslampe und die Farbe bringen die Architektur zum Leuchten. Düsseldorf hat die Chance, auf ganzen Straßenzügen dieses duale Spiel zu bewahren. Eine unserer Gaslaternen steht übrigens in Christchurch, Neuseeland. Nach den schweren Erdbeben dort 2010 und 2011 hatte ich eine künstlerische Solidaritätsaktion initiiert, das Projekt „Solidarity Grid“, und 21 Städte weltweit schickten Straßenlampen als Zeichen der Hoffnung in den zerstörten Ort. Düsseldorf übergab als erste Stadt eine Gaslaterne.

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