Düsseldorf Ein Berufsleben für junge Straftäter: „Man lebt von der Hoffnung“

Düsseldorf · Nach fast 30 Jahren als Jugendgerichtshelfer bei der Awo in Düsseldorf geht Aziz Ejjiar jetzt in den Ruhestand. Und zieht eine Bilanz seiner spannenden Arbeit.

 Aziz Ejjiar fing 1982 fest bei der Awo in Düsseldorf an. Jetzt geht er in den Ruhestand.

Aziz Ejjiar fing 1982 fest bei der Awo in Düsseldorf an. Jetzt geht er in den Ruhestand.

Foto: Awo, W. Schmalz/WOLF SCHMALZ

Vor kurzem fühlte sich Aziz Ejjiar fast wie ein Lehrer. Ein Richter hatte einen Jugendlichen auf seinen Vorschlag hin zum Scheiben eines Aufsatzes verdonnert. Das Thema: Welche Aufgaben hat die Polizei in Deutschland? Mindestens vier Seiten musste der aus Marokko stammende junge Straftäter zu Papier bringen. Warum? „Weil er bereits zum vierten Mal einen Polizisten tätlich angegriffen hat“, sagt Ejjiar. Er ist selbst Marokkaner, kam 1978 nach Düsseldorf, ein Jahr später begann er frei für die Awo zu arbeiten, seit 1982 fest, 1990 wurde er Jugendgerichtshelfer für marokkanische Jugendliche, 1991 übernahm er die Leitung der Jugendgerichtshilfe bei der Awo. Und jetzt geht der 65-Jährige nach fast 40 Jahren im Einsatz für junge Straftäter in den Ruhestand.

Anfangs hat er sich oft wie ein Doppelagent gefühlt

Dass er viel erlebt, viel zu berichten und oft geholfen hat, liegt auf der Hand. Allein die erste Episode mit dem Polizisten-Angreifer steht für grundsätzliche Erkenntnisse. Zum Beispiel der, dass in Düsseldorf die Richter sehr aufgeschlossen sind: „Die Kooperation mit ihnen klappt prima, anderswo, etwa in Neuss ist es für uns viel schwieriger“, sagt Ejjiar. Die straffällig gewordenen Jugendlichen werden der Jugendgerichtshilfe der Awo (es gibt eine solche Stelle in Düsseldorf auch bei der Diakonie oder der Stadt) von der Staatsanwaltschaft über das Jugendamt zugewiesen. Dann, so Ejjiar, stehe und falle alles mit der Beziehung, die sich mit dem Delinquenten (etwa 90 Prozent sind männlich) entwickele, „das erste Gespräch ist sehr wichtig“.

Als seine Stelle noch Jugendgerichtshilfe hieß, hat er sich oft wie ein Doppelagent gefühlt, verpflichtet sowohl dem Jugendlichen, als auch dem Gericht. Seit 2004 sorgt schon der neue Name hier für Klarheit, wessen Anwalt er ist: „Jugendhilfe im Strafverfahren“, heißt es jetzt. „Manchmal, wenn ein Täter mir alle seine Straftaten auch aus früheren Tagen beichten will, sage ich: Lass das besser, für mich gilt vor Gericht kein Zeugnisverweigerungsrecht.“

Generell geht es für Ejjiar und seine vier Kollegen darum, bei der Beratung und Begleitung der Tatverdächtigen oder Straftäter zwischen 14 und 21 Jahren die sozialen und erzieherischen Aspekte gegenüber Staatsanwaltschaft und Gericht einzubringen und anderen Behörden (z.B. Ausländeramt) zu helfen.

In drei von vier Fällen handelt es sich um Bagatelldelikte, kleinere Diebstähle etwa. Aber natürlich hatte Ejjiar auch mit schwereren Jungs zu tun, mit Intensivtätern. Leider auch immer öfter mit unter 14-Jährigen, die noch nicht strafmündig sind. Einer von ihnen habe sage und schreibe 76 Straftaten begangen, darunter haufenweise Raubüberfälle. „Der sah in der Polizei ein Taxi-Unternehmen, weil sie ihn immer nur nach Hause zu den Eltern bringen konnten und das war es erst mal wieder.“

„Manchmal hilft nur eine harte Strafe“

Allen hat er zu helfen versucht, auf die rechte Bahn zurückzufinden, „jeder Fall hat eine Vorgeschichte, jeder spielt in einem bestimmten Umfeld“, sagt er. Immer werden auch die Eltern eingebunden. „Am Anfang haben sie meistens Angst, was passiert jetzt mit meinem Kind, am Ende fordern viele auch mich zu möglichst großer Strenge auf.“ Natürlich ist Aziz Ejjiar kein naiver Träumer: „Manchmal hilft nur eine harte Strafe.“ Dann bringen Anti-Gewalt-Training, Arbeits- oder Sozialstunden nichts mehr, dann ist Jugendarrest angesagt. Und der ist sehr hart, sagt er, härter als U-Haft, denn man wird völlig isoliert, kein Handy, kein Besuch, keine Zigarette, nur eine Stunde am Tag raus. Ejjiar: „Ich gehe gerne in die Arrestanstalt in Gerresheim, weil ich in dieser Situation einen guten Zugang zu den Insassen bekomme, da öffnen sie sich.“ Neulich habe er einen Klienten nach Jahren auf der Straße getroffen: Er hat mir gedankt, weil ich ihn in den Knast und damit von der schiefen Bahn weggebracht hätte.“

Auf der anderen Seite erreiche man zusammen mit der Polizei bei geständigen Ersttätern von kleineren Delikten sehr häufig eine Einstellung des Verfahrens.

Am Ende seines langen Schaffens zieht Aziz Ejjiar eine zweischneidige Bilanz: „Ich glaube, wir sind besser geworden. Aber die Lage bei den jungen Straftätern hat sich verschlechtert.“ Obwohl rein statistisch die Jugendkriminalität in Düsseldorf sinkt. Ejjiar bedauert, dass sich gerade viele seiner jungen Landsleute nicht wirklich in Deutschland integrieren wollten. Und generell gelte: „Die Jugendlichen heute wollen viel mehr haben. Und wenn sie sich die ganzen Statussymbole vom teuren Handy bis zum Turnschuh nicht leisten können, wenn sie unter dem Druck der Clique stehen, dann ist eben auch Klauen eine Option.“ Aber der Vater von vier Söhnen ist ein viel zu positiver Mensch, als dass er dies als letzten Satz stehen lassen könnte. Da nennt er lieber das Leitmotiv seines Berufes: „Als Sozialarbeiter lebt man immer von der Hoffnung.“

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