Düsseldorf wird die Stadt des Flanierens

Die Pläne für eine verlängerte Rheinuferpromenade und die Idee, den Hofgarten zum „kulturtouristischen Zentrum“ zu machen, führen zum Comeback des Flanierens. Das hilft auch, die Stadt besser zu verstehen.

Düsseldorf wird die Stadt des Flanierens
Foto: Melanie Zanin

Im 19. Jahrhundert galt Paris als die Hauptstadt des Flanierens. Dazu trug wesentlich bei, dass Napoleon der Stadt eine architektonische Neuordnung verpasste. Er wollte die Seine-Metropole verwandeln in „die schönste Stadt, die es jemals geben kann“. Auch Düsseldorf wird momentan kräftig umgestaltet und könnte sich bald zu einer Stadt für Flaneure entwickeln. Ein Bauvorhaben lädt besonders dazu ein, die Flanerie zu zelebrieren: die neue Kunst- und Museumsmeile. Oberbürgermeister Thomas Geisel will die vielen Kulturstätten rund um die City stärker miteinander verbinden und teilweise auch aus ihren „Verstecken“ holen. Entstehen soll eine Achse mit verlängerter Rheinuferpromenade, Rheinterrasse, Victoriaplatz, Museum Kunstpalast, Ehrenhof, Kunstakademie sowie dem Grabbeplatz mit der Kunsthalle und der Kunstsammlung.

Und noch ein Paradeort für Flaneure wird aufgewertet: der Hofgarten. Er soll in ein Zentrum für kulturtouristische Kommunikation verwandelt werden. Denn dank des Parks lassen sich viele Kulturstätten um ihn herum leicht aufsuchen: Schloss Jägerhof mit dem Goethe-Museum, Schauspielhaus, Theatermuseum, Tonhalle, NRW-Forum. Auch die Oper, die bald saniert wird, soll zum Hofgarten hin geöffnet werden. Für die neue Kunst- und Museumsmeile startet die Stadt im Herbst einen Wettbewerb. Für das „kulturtouristisches Zentrum“ Hofgarten werde derzeit ein Masterplan ausgetüftelt, sagt Thorben Meier von Düsseldorf Marketing.

Doch wie könnten die neuen Düsseldorfer Flanier-Meilen aussehen? Erinnern wir uns an einen der prominentesten Stadtwandler des vergangenen Jahrhunderts: Walter Benjamin. In seinen „Passagen“, einer Sammlung von Notizen und Anekdoten, hat der Philosoph und Kulturkritiker dem Flaneur ein Denkmal gesetzt. Ein ausgedientes Konzept? Keineswegs. Benjamins Gedanken zum Flaneur eignen sich ausgezeichnet für moderne Stadtplanung. Der Spaziergänger nimmt am urbanen Leben teil, beobachtet und beschreibt es. Er streift über Plätze, durch Parks, Wohnviertel oder Industriegebiete und macht „psychogeografische“ Bestandsaufnahmen. Er hält fest, was die Orte in ihm auslösen: Freude oder Unbehagen. Im Falle eines negativen Gefühls ergäbe sich die Frage, woher es rührt. Und wie man den unwirtlichen Ort in einen attraktiven verwandeln könnte.

Die Düsseldorfer Künstlerin Anne Mommertz nutzt die Methode des Flanierens als Ausgangspunkt für ihre Arbeiten im öffentlichen Raum. „Ich nehme die Orte so, wie sie sind, und spaziere mit den Leuten dahin. Wir setzen uns mit Klappstühlen auf die Straße, und dann kommen von ganz alleine Ideen, was man mal machen könnte“, erklärt die Künstlerin. So lief es auch bei ihrem Kunst-Projekt „Holthausen auf der Spur!“, das sie seit mehreren Jahren zusammen mit dem Arbeiter-Samariter-Bund und dem Zentrum plus im Düsseldorfer Süden betreibt. Es handelt sich um einen Kultur- und Naturpfad, der an bestehende und verschwundene Orte führt und sie den Bürgern mit Geschichtstafeln näher bringt.

Mommertz initiiert aber auch Aktionen wie Platzkonzerte auf dem Kamper Acker, dem zentralen Platz in Holthausen. Dort treffe ich Mommertz, um mit ihr durch den Stadtteil zu flanieren. Unterm Schirm, es regnet. Nach anderthalb Stunden ergibt sich eine ambivalente „psychogeographische“ Karte von Holthausen. Der Stadtteil ist zerschnitten von Hauptstraßen und Fly-overs, über die Autos, Busse, Laster und Straßenbahnen rollen. Die Verkehrsanbindung ist gut, der Preis: eine enorme Lärmkulisse.

Doch nicht weit entfernt finden sich auch Oasen der Ruhe. Etwa der kaum bekannte Park Elbroich (die Holthausener nennen ihn Heye-Park) mit altem Wasserschloss, Wiesen und hohen Bäume. Der Schloss-Park wirkt wie eine aus der Zeit gefallene Idylle, genauso wie Gut Niederheid mit Wald und Bauernhof. Heute menschenleer, sonst spielen dort Kinder oder reiten auf Ponys. Tristesse dagegen in der Geeststraße: heruntergekommene Hochhäuser, leere Asphaltplätze und geschlossene Tiefgarageneinfahrten. Dahinter noch die karge Lärmschutzmauer der Münchener Straße. Unwohlsein auch beim Flanieren über die Bonner Straße: ein leeres Ladenlokal reiht sich an das andere, und der Verkehrslärm dröhnt in den Ohren. Wie lassen sich diese „Un-Orte“ schöner machen? Erste Ideen: Gärten auf Betonflächen, Lärmschutzwand von Künstlern oder Designern gestalten lassen, Mode-Ateliers, Kunsträume und Cafés in die Leerstände bringen. Und in Gespräche mit den Stadtteilbewohnern treten. „Es wäre wichtig, dass die Stadtplaner das auch täten. Oft sind sie nicht einmal da gewesen, sondern haben ihre Pläne am Reißbrett entworfen“, sagt Mommertz.

Als „Neo-Flaneur“ begebe ich mich nun wieder in den Hofgarten. Mir fällt auf: Zwischen all den Alleen, Wiesen, Teichen, Brunnen, Denkmälern, Skulpturen und Kulturbauten fehlen feste Orte der Zusammenkunft. Gastronomische Stätten wie das einst legendäre Gartenlokal auf dem Ananasberg. So heißt die Anhöhe, weil auf dem Dach des Kaffeegartens eine Ananas prangte. Das exotische Aushängeschild wurde zu Ehren von Prinz Friedrich von Preußen angebracht: Er liebte Ananasbowle. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts flanierten die Damen und Herren der „High Society“ zu dem Ausflugslokal hin und vergnügten sich mit Plaudereien bei Kuchen und Kaffee. Der Hofgarten bräuchte genau solche „Pilger-Stätten“.

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