Intensivtäter Wenn der Nachbar ein Intensivtäter ist

Stadtmitte/Friedrichstadt. · Körperverletzung, Bedrohung, Ruhestörung – seit mehr als zwei Monaten lebt ein Viertel in Angst. Immer wieder kommt die Polizei.

 Die Polizei nimmt die Angst der Anwohner ernst und bittet die Anwohner, jeden Vorfall mit strafrechtlicher Relevanz umgehend zu melden.

Die Polizei nimmt die Angst der Anwohner ernst und bittet die Anwohner, jeden Vorfall mit strafrechtlicher Relevanz umgehend zu melden.

Foto: dpa/Carsten Rehder

Die Größe eines Tennisballs hat das Loch im oberen Fenster des Treppenhauses, das sich zwischen der ersten und zweiten Etage eines Hauses gleich um die Ecke der Kö befindet. „Zum Glück ist niemand verletzt worden“, sagt ein Bewohner. Mindestens drei Steine soll ein Mann auf das Fenster geworfen haben. Dieser Mann mit den auffälligen Tätowierungen versetzt in jenem Haus und in der Nachbarschaft seit einigen Monaten die Menschen in Angst. Die Anwohner, die die Geschichte erzählen, wollen anonym bleiben. Sie fürchten sich. Weil der Mann – nennen wir ihn Herr D. – ein Intensivtäter ist. Das bestätigt auch die Polizei.

Wie es ist, wenn nebenan ein Serientäter lebt, das haben die Betroffenen in einem Tagebuch festgehalten, der erste Eintrag ist vom 4. Juli: Ein Nachbar gießt am Nachmittag die Blumen auf seiner Terrasse. Herr D., etwa 35 Jahre alt, spricht ihn an, durch sein Fenster hat er Sicht auf die Terrasse. „Guckst du mich an Alter, oder was?“ Der Nachbar verneint. Einige Tage später ruft er die Polizei, weil in der Nacht jemand auf dem Balkon war. Das Fenster des Herrn D. ist nur einen halben Meter entfernt. Ob er es war, ist nicht klar. Die Bewohner betreten ihre Terrasse nicht mehr.

Am 17. Juli geht der nächste Notruf bei der Polizei ein, es sind Schreie zu hören aus dem Haus, in dem Herr D. lebt. Ob sie aus dessen Wohnung kommen, wissen die Nachbarn nicht. Eine Anzeige wird aufgenommen. Am Mittag fliegen die Steine durch das Fenster – wieder wählen die Anwohner die 110. Anzeige wird erstattet.

Die Polizei nimmt
die Vorfälle sehr ernst

Zwei Tage später schreiben die Nachbarn in ihr Tagebuch: „Wir fühlen uns nicht mehr sicher.“ Nachts klingelt es an ihren Türen, wegen der schlechten Zugangssicherung einiger Häuser „kann sich auch Herr D. jederzeit Zutritt verschaffen“. In der Nacht zum 21. Juli werden zwei Flaschen auf einen Balkon geworfen, am Abend saßen die Bewohner mit Freunden dort. Sie informieren die Polizei. Einen Tag später kommen Beamte, um sich den Balkon anzuschauen, die zerbrochenen Flaschen werden mitgenommen – Beweissicherung.

Im Gespräch mit der Polizei erfahren die Anwohner, dass Herr D. Intensivtäter ist. „Er ist bei uns bekannt, und wir nehmen das sehr ernst“, sagt ein Polizeisprecher. Es gebe Strafanzeigen aus dem unmittelbaren Bereich – ob sie gegen Herrn D. gestellt wurden, kann der Polizeisprecher aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht bestätigen. „Wir verstehen, dass die Anwohner Angst haben“, so der Sprecher weiter. „Wer Intensivtäter ist, der hat auch eine intensive Kümmerung von uns verdient“, sagt er. Man arbeite eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen, wo es eine eigene Abteilung für Intensivtäter gibt. „Jeder Vorfall mit strafrechtlicher Relevanz sollte umgehend bei uns gemeldet werden“, so der Polizeisprecher.

Die Anwohner bekommen einen direkten Kontakt bei den Behörden, eine Sachbearbeiterin kennt Herrn D. durch Verhöre persönlich. In den nächsten Tagen wird wieder bei verschiedenen Nachbarn geklingelt, aggressiv gegen Haustüren geschlagen. Am 25. Juli werden einige Bewohner eines Hauses um vier Uhr morgens durch einen lauten Knall wach. Am nächsten Morgen stellen sie massive Beschädigungen am Rahmen einer Wohnungstür fest. Die Polizei kommt, der Vermieter wird informiert. Eine Nachbarin hatte Herrn D. kurz nach dem Knall von ihrem Fenster aus auf der Straße gesehen.

Die Menschen im Viertel
fühlen sich nach wie vor unwohl

Nicht nur in den Wohnhäusern gibt es offenbar Probleme mit Herrn D. Ein Gastronom erzählt, dass er Ende Juli gegen zwei Uhr nachts im Restaurant auftauchte und eine Mitarbeiterin belästigt habe. Kollegen verscheuchten Herrn D., der kurze Zeit später zurückkam, „mit einem großen Messer, vielleicht einer Machete“, so der Wirt. Auch andere Kollegen aus dem Viertel haben Schwierigkeiten mit Herrn D., wollen aber nicht reden. Sie haben Angst. Genau wie die Anwohner, die sich fragen, was passieren muss, damit etwas gegen Herrn D. unternommen wird. Viele solcher Vorfälle haben die Nachbarn in ihrem Tagebuch festgehalten – Ruhestörung, Bedrohung, Körperverletzung.

Staatsanwältin Laura Hollmann kann keine Auskünfte zu Personalien geben, sagt aber ganz allgemein: „Sachbeschädigungen und Bedrohungen werden aufgenommen.“ Ein Haftbefehl werde bei solchen Taten erlassen, wenn der Täter keinen festen Wohnsitz hat, Flucht- oder Verdunkelungsgefahr bestehe. Inzwischen ist auch Bezirksbürgermeister Marko Siegesmund involviert, „obwohl das kein klassisches Thema ist für einen Bezirksbürgermeister, aber es betrifft meinen Bezirk“. Siegesmund sprach mit den Anwohnern, sah sich die Profile von Herrn D. in den sozialen Medien an. Diese sind öffentlich, die Einträge wirr, „vermutlich ist noch nicht genug Eigen- oder Fremdgefährdung für eine Zwangseinweisung da“, so Siegesmund, der sich fragt, ob der Vermieter alle Register zieht. Offenbar hat er Ende Juli die Kündigung ausgesprochen, strebt nun eine Räumungsklage an. Wer die Kaution für Herrn D. übernommen hat, ist unklar.

Auch wenn es ruhiger geworden ist in den letzten zwei Wochen – die Menschen im Viertel fühlen sich nach wie vor unwohl. Sie haben Kameras installiert in ihren Eingängen, gehen ohne Pfefferspray nicht mehr vor die Tür. Sie warten auf den Tag, an dem sie keine Angst mehr haben müssen – wenn der Intensivtäter von nebenan wieder auszieht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort