Stadt-Teilchen Für mich bleibt die Philipshalle die Philipshalle

Düsseldorf · Die Philipshalle: Hier habe ich ganz wichtige Phasen meines Lebens verbracht.

 Für Helge Schneider ist es die Mitzibitzi-Halle, aber für unseren Kolumnisten bleibt es die Philipshalle.

Für Helge Schneider ist es die Mitzibitzi-Halle, aber für unseren Kolumnisten bleibt es die Philipshalle.

Foto: ja/Knopp, Dieter (DK)

Nun machen sie die Runde, die Bilder vom Corona-Testzentrum in Oberbilk, wo man als Verdachtsfall mit dem Auto reinfährt und dann von einem Mumifizierten ein Teststäbchen in den Mund gesteckt bekommt. „Gut, dass es das gibt“, dachte ich bei den Bildern, aber dann war ich auch schon abgelenkt, weil am Bildrand etwas zu sehen war, das mein Leben sehr geprägt und mich quasi früh infiziert hat: die Philipshalle.

Ich weiß, die heißt jetzt anders. Helge Schneider hat sie bei einem Gastspiel mal Mitzibitzi-Halle genannt. Das Verballhornung hat mir gefallen, weil ich es prinzipiell doof finde, wenn Orte, an denen große Ereignisse stattfinden, kontaminiert werden durch den Namen jener Firma, die am meisten zahlt für die Anbringung ihres Namens. Mag die Mitzibitzi-Eklektik-Hall heißen wie sie will, für mich wird sie immer die Philipshalle bleiben.

 WZ-Kolumnist

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Foto: NN

Natürlich steckt da auch ein Firmenname dahinter, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich das immer ausgeblendet. Ich kam überhaupt nie auf die Idee, dass die Firma Philips und meine Philipshalle irgendetwas miteinander zu tun haben könnten. Für mich war der Oberbilker Schuhkarton immer genau die Philipshalle, als die sie 1971 in Betrieb ging.

Vor allem aber war die Philipshalle ein wichtiger Ort meiner persönlichen Entwicklung, der sogar Auswirkungen auf mein heutiges Leben hat. Wenn ich nämlich mal einen Hörtest mache und der HNO-Arzt danach streng guckt, weil die Werte für mein rechtes Ohr nicht wirklich die sind, die man sich im Alter wünscht, dann sage ich stets entschuldigend: „30 Jahre Philipshalle.“

Die drei Dekaden lassen sich aufteilen in drei Phasen. In der ersten Phase war ich normaler Fan, der zu Konzerten strömte. Ich sah 1972 Pink Floyd, ich sah Tina Turner, als sie noch mit ihrem Gatten Ike auftrat, ich sah James Brown, ich erlebte quasi alles, was in der Philips halle passierte. Ich sah nicht alle Konzerte ganz, aber von den meisten doch große Teile. Das hatte damit zu tun, dass ich mir die Eintrittspreise nicht leisten konnte und deshalb Mittel und Wege finden musste, um trotzdem hinein zu kommen. Wir ließen uns durch Abriss entwertete Karten durchs Klofenster zuwerfen und klaubten dann im Eingangsbereich die abgerissenen Schnipsel zusammen, die wir mit Tesafilm wieder zu einem Ganzen fügten. Das funktionierte erstaunlich oft, aber nicht immer.

Häufig schlichen wir um die Halle herum und warteten, bis irgendwer eine Fluchttür öffnete und uns hereinließ. Meistens waren die Techniker, die kurz mal zum Pinkeln vor die Tür kamen, lange nicht so streng wie die Ordner an der Front-Tür. Irgendwann hatten wir dann einen neuen Trick heraus, der aber nur klappte, wenn an jeder Tür lediglich ein Ordner stand. Dann sind wir einfach los gerannt, an dem Ordner vorbei, und der musste sich entscheiden, ob er seine Tür weiter bewacht oder uns verfolgt.

Wenn er sich für Letzteres entschied, hatte das einen großen Vorteil, denn sie konnten durch die unbewachte Tür einfach so einmarschieren. Dabei galt es für den ersten Läufer stets, den Weg durchs Foyer rasend schnell zu erledigen und möglichst durch eine gerade geöffnete Tür ins Dunkel des Konzertsaals zu gelangen. War man da erst mal drin, wurde man zum Teil einer wogenden Masse und war sicher.

Mit den Jahren kannten uns aber die Ordner und wussten, welchen Sport wir da betreiben. Trotzdem fanden wir erstaunlich oft Wege ins Innere, weil man es damals in den 70er Jahren noch nicht so genau nahm mit den Sicherheitsvorkehrungen.

Irgendwann winkte mich dann ein Ordner zu sich heran und fragte, ob ich mir ein paar Mark verdienen wollte. Genauso gut hätte man mich fragen können, ob der Papst katholisch ist. Natürlich wollte ich. Man brauche da noch Beleuchter, sagte er und brachte mich zum zuständigen Mitarbeiter für die Lichttechnik. Auf einmal war ich nicht mehr der Streuner, der draußen vor der Halle auf sein Glück spekulierte, auf einmal war ich Mitarbeiter des Monats. Fand zumindest ich. Phase zwei meines Philipshallen-Lebens hatte begonnen.

Aus dem einmaligen Erlebnis wurde ein Immer-mal-wieder-Job. Ich lernte, eine dieser riesigen Scheinwerferkanonen zu bedienen, einen Super-Trouper. Als Abba 1980 ein Lied nach diesem Verfolgerscheinwerfer benannten, war ich in meinem Freundeskreis der einzige, der wusste, was hinter dem Begriff steckt.

Weil das Licht der Super Trouper mit Kohlelektroden erzeugt wurde, die man immer wieder nachjustieren und auch auswechseln musste, war es meine Aufgabe, stets frische Kohlestäbe parat zu haben. Die musste man sich beim jeweiligen Lichtchef holen, und den musste man in der Philipshalle oft lange suchen. Einmal, vor einem Konzert von Procol Harum, wurde ich auf meiner Suche auf die Bühne geschickt, um den dort wuselnden Lichtchef nach den Stäben zu fragen. Ich marschierte also über die Bühne und schaute kurz hinab in die schon gut gefüllte Halle. Für einen Moment dachte ich, dass das der richtige Platz für mich wäre und dass ich mir überlegen sollte, ob ich nicht doch lieber Popstar werde.

Mit der Popstar-Karriere wurde es dann nichts, aber der Gang über die Bühne brachte mir immerhin erhebliche Lokalprominenz ein, denn etliche meiner Freunde hatten mich dort gesehen und erkannt, weshalb ich in den Tagen danach mit einem gewissen Respekt behandelt wurde. Ich hörte sie förmlich tuscheln: Das ist der, der bei Procol Harum auf der Bühne war.

Einen Verfolgerscheinwerfer zu bedienen war eine spannende Sache. Ich musste die richtigen Farbscheiben einschieben, die Kohlestäbe justieren, und über Kopfhörer bekam ich die Anweisungen, wen ich als nächstes wie in den Fokus nehmen sollte. „Stand by“ hieß es dann immer.

Für den Job gab es von den Konzertveranstaltern in der Regel 25 Mark für den ganzen Abend. Nur René Heinersdorff war fairer. Der hat immer noch einen Heiermann auf den Standardlohn drauf gelegt. Nochmal danke dafür.

Weil ich einmal im Philipshallenzirkus mitspielen durfte, lockten zwischendrin auch andere Jobs. Auf einmal war ich selbst für eine Weile der grimmige Ordner an der Tür und musste mit herumlungernden Möchtegernumsonstreinkommern umgehen. Der Job an der Tür wurde noch schlechter bezahlt als der am Super Trouper, weshalb einige Kollegen auch mal statt einer Eintrittskarte einen heimlich zugesteckten Zehnmarkschein als Zugangsberechtigungsnachweis akzeptierten.

Das fand ich nicht okay, aber einmal bei einem zweitägigen Festival dann doch. Irgendwann kam uns an der Tür nämlich zu Ohren, dass der Veranstalter mit der Kasse durchgebrannt sei und wir sehr wahrscheinlich unseren wohlverdienten Lohn in den Wind schreiben könnten. Da habe dann auch ich die Zehnmarkscheine einkassiert und hatte hinterher mehr in der Tasche als nach einem ganzen Monat Beleuchterei. Der Veranstalter wurde übrigens nie mehr gesichtet.

Phase drei begann dann 1980, als ich Konzertkritiker wurde. Auf einmal gab es für jedes Konzert Freikarten und oft auch einen Backstagepass, mit dem man selbstbewusst an den rechts oder links der Bühne postierten Ordnern vorbei stolzieren und ins Allerheiligste durfte. Da gab es dann besondere Zusammenkünfte zwischen dem jeweiligem Star und der örtlichen Presse. Ich erinnere mich noch, wie ich mal sehr angeregt mit Phil Collins plaudern konnte und hinterher dachte, dass der Mann viel netter ist als seine belanglose Musik klingt.

Den Höhepunkt erreichte ich, als ich vom Hallenchef einen Ausweis zum Anhängen ans Revers bekam. Da stand Hans Hoff drauf und Philipshalle, und fortan durfte ich durch jede Tür, und nach einer Weile konnte ich mit den selbstbewusst vorgetragenen Worten „Gehört zu mir“ auch noch Freunde einschleusen. Ich sah alles und jeden, von Eric Clapton bis Frank Zappa, von Howard Carpendale bis Johnny Cash.

Mein Stammplatz war dabei stets der erste Seitengang vorne rechts. Da konnte man prima sehen und war richtig nah dran. Mein Ausweis sorgte dafür, dass ich nicht von den Ordnern verscheucht werden konnte. Leider war es dort vorne auch sehr laut, und wenn man jahrelang dreimal in der Woche zu Konzerten muss, um seine Meinung darüber kundzutun, dann erklärt sich das mit dem Hörschaden auf dem rechten Ohr fast von selber.

Zum letzten Mal war ich dann im Februar 2002 in meiner Philipshalle. Da spielten die Toten Hosen, und ich nannte die Vorstellung „Musikantenstadl auf Speed“, was mir viel Ärger aber auch sehr viel Lob einbrachte. In 135 Minuten spielten die Hosen 34 Songs, und für mich klang einer wie der andere. Um mich herum probten alle wie irre, um bei der großen Pogo-Hüpf-Olympiade aufs Siegertreppchen zu kommen. Ich dagegen stand da wie festgewurzelt und fand das nur seltsam. Ich spürte die Jahre in den Knochen, und  ich habe danach nie wieder meine Philipshalle betreten. Ich war zu alt für den Kram geworden.

Was mir bleibt, sind die Erinnerungen an großartige Zeiten in der Philipshalle. Ich war dort mittendrin in meiner Welt, infiziert von Dreiminutensongs, die mehr zählten als ein ganzes Heft voller Lateinvokabeln. Hier passierte, was zählte, was ich wichtig fand. In meiner Philipshalle, in meiner Stadt.

Jetzt komme keiner und sage, die heiße jetzt aber Mitzbitzki-Eklektik-Halle. Nein, heißt sie nicht. Philipshalle ist Philipshalle ist Philipshalle und wird es immer bleiben. Zumindest in meinem Herzen.

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