Schulserie Die Dorfschule, die keine mehr ist

Düsseldorf. · In unserer Serie stellen wir die Schulen in der Stadt vor. Unsere Autoren besuchen die Einrichtungen an einem normalen Schultag und berichten davon. Am Ende des Jahres wählt eine Jury die Träger des Schulpreises, den WZ und Stadtwerke vergeben. Dieses Mal: die Grundschule in Knittkuhl.

 Helena und Nils leiten das Schülerparlament, das einmal im Monat tagt. Dieses Mal besprechen die Kinder, wie die Jungstoiletten endlich sauberer werden.

Helena und Nils leiten das Schülerparlament, das einmal im Monat tagt. Dieses Mal besprechen die Kinder, wie die Jungstoiletten endlich sauberer werden.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Einen Eindruck vom Schulleben am Rande der Großstadt gibt es bereits vor dem Betreten des Schulgeländes: Einige Tretroller, die vor dem Tor geparkt wurden, sind nicht abgeschlossen. Kaum vorstellbar in der Innenstadt. In Knittkuhl aber, kurz vor den Toren Ratingens, herrscht eine absolute Dorfidylle.

Jeden Morgen, wenn die Schulbusse die Kinder aus dem weitläufigen Einzugsgebiet zwischen Gallberg bis zu den Stadtgrenzen Ratingens und Mettmanns einsammeln, steht der Verkehrsbeamte aus dem Dörfchen an der Straße und sieht nach dem Rechten, überprüft die Fahrräder, sorgt dafür, dass die Kinder sicher aus dem Bus kommen und ermahnt Eltern, wenn die in der Morgenhektik mal wieder versuchen, mit dem Auto unmittelbar vor dem Schultor zu halten.

 Paul und Tom schauen regelmäßig auf dem Kartoffelacker nach dem Rechten. Sie sind in der Garten-AG.

Paul und Tom schauen regelmäßig auf dem Kartoffelacker nach dem Rechten. Sie sind in der Garten-AG.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Die Gemeinschaftsgrundschule Knittkuhl hat sich seit 1972 aus drei ehemaligen Dorfschulen zu einer modernen offenen Ganztagsschule entwickelt. 300 Kinder besuchen die Schule aktuell in zwölf Klassen.

 Wolfgang Gruß ist pensionierter Lehrer und täglich zwei Stunden an der GGS Knittkuhl, um mit Flüchtlingskindern Deutsch zu lernen.

Wolfgang Gruß ist pensionierter Lehrer und täglich zwei Stunden an der GGS Knittkuhl, um mit Flüchtlingskindern Deutsch zu lernen.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Die ländliche Lage versteht Schulleiterin Antje Grüneklee als Alleinstellungsmerkmal, keineswegs als Nachteil. „Die Naturverbundenheit ist eine unserer wichtigsten Säulen. Wir nutzen die Gegebenheiten vor Ort, haben im Schulprogramm beispielsweise Wandertage festgelegt.“ Im Herbst gehen die Schüler zur Kartoffelernte auf die umliegenden Bauernhöfe und packen auf dem Acker mit an. Im Frühjahr und Sommer geht es zum Imker nach Ratingen. Das, was die Kinder – und auch Lehrer – lernen, wird sogleich auf dem Schulgelände angewendet. „Wir haben im Schulgarten einen Kartoffelacker angelegt und sind gerade dabei, ein Insektenhotel zu bauen“, sagt die Schulleiterin, während sie über das weitläufige Gelände schlendert, vorbei am Sportplatz, einen kleinen Hügel hinunter zur großen Wiese, dem grünen Klassenzimmer, mit Gartenbänken, Liegen und Kletterbaum.

Schulgarten und
bienenfreundliche Blumenwiese

Tom und Paul sind mindestens einmal in der Woche im Schulgarten und schauen sich die Fortschritte auf dem Acker an. Auch beim Gestalten der bienenfreundlichen Blumenwiese haben sie mitgewirkt. „Es macht Spaß, draußen zu sein. Da gibt es immer etwas zu tun“, sagt Drittklässler Paul. Wertvolle Tipps und praktische Hilfe bekommen Lehrer und Kinder von vielen Eltern, die selbst aus dem landwirtschaftlichen Bereich kommen, Bauernhöfe in der Umgebung betreiben und Spezialisten in Sachen Gemüseanbau sind. „Aber auch die Kinder der Landwirte haben das Wissen schon verinnerlicht und zeigen den Lehrern, wie es richtig geht“, sagt Antje Grüneklee und lacht. Die Eltern an der Schule in Knittkuhl sind äußerst engagiert. Nicht nur beim Garten- und Verschönerungstag einmal im Jahr, wenn die Beete neu bepflanzt, das Gelände und die Klassen gesäubert werden, packen alle mit an. Dem Förderverein gehören mehr als die Hälfte der Eltern an – gerade hat der Förderverein wieder eine Summe freigegeben, um Spielgeräte für den Schulgarten anzuschaffen. Die Kinder selbst können entscheiden, wie sie die 250 Euro investieren wollen.

Die Schulgemeinde möchte aber über ihren Gartenzaun hinausschauen und hat das Projekt Schulgarten thematisch ausgeweitet. „Es geht um Natur- und Umweltschutz und darum, was jeder Einzelne dafür tun kann, dass die Natur um uns herum auch so wunderschön bleibt“, erläutert die Schulleiterin die Idee von Schulsozialarbeiterin Michaela Seeck-Wiedeman. Die sitzt heute mit dem Schülerparlament zusammen und lässt einige Klassensprecher resümieren, was die Klassen bei ihrem letzten Besuch im Wald innerhalb einer Stunde an Müll gesammelt haben. „Zigaretten, Tücher, Flaschen“, zählt Greta auf. Die Idee der Schülerin: „Wir sollten noch mal einen Dreck-weg-Tag machen.“ Dann geht es darum, was mit dem Geld des Fördervereins passieren soll. „Wir könnten eine höhere Rutsche besorgen“, meint Lina. „Oder eine Affenschaukel zum Entspannen“, schlägt ihre Mitschülerin vor. Moderiert wird das Schülerparlament, das einmal im Monat tagt, von Helena und Nils, den Präsidenten. Sie wurden von den Schülern demokratisch und ganz nach dem Vorbild der „echten Wahlen“ mit Stimmzettel und Urne gewählt. Helena und Nils leiten seitdem nicht nur das Schülerparlament, sondern haben auch repräsentative Pflichten.

Heute muss Helena noch einmal das Thema Toiletten zu einem hoffentlich guten Ende bringen: „Ihr wisst, dass die Jungsklos ein Problem sind“, beginnt die Viertklässlerin. „Wir haben für die Pissoirs Klebepunkte besorgt. Damit jeder weiß, wohin er treffen muss“, sagt sie ungerührt. „Meint ihr Jungs, ihr bekommt das hin?“

Seit Jahren sind die Anmeldezahlen an der GGS Knittkuhl stabil. „Ich kann als Schulleitung sehr gut planen“, sagt Antje Grüneklee. Seit drei Jahren leitet sie die Schule offiziell, davor war sie kommissarische Leitung, davor Konrektorin. Sorgen um Konkurrenz durch andere Schulen sind ihr fremd. Aber auch in der Peripherie Düsseldorfs wächst der Bedarf an Übermittag- und vor allem Ganztagsbetreuung. „Mit unseren Raumkapazitäten sind wir langsam am Limit“, sagt sie.

Klassische Hausaufgaben
gibt es nicht mehr

Das vor sieben Jahren eröffnete Gebäude für die OGS war ursprünglich für vier Gruppen ausgelegt, mittlerweile werden sieben Gruppen mit insgesamt 175 Kindern dort betreut. „Und je nachdem, was auf dem Gelände der Bergischen Kaserne noch entsteht, wird sich das Problem verschärfen. Wenn Wohnbebauung kommt, dann benötigen wir eine Dependance oder Aufstockung.“

175 von 300 Kindern nutzen die Ganztagsbetreuung bis maximal 17 Uhr. Nach dem Unterricht und dem Mittagessen können die Kinder nach Lust und Laune Themenräume aufsuchen bis um 14 Uhr die Lernzeit beginnt. Klassische Hausaufgaben, die der Lehrer täglich vorgibt, sind durch sogenannte Lernzeitpläne abgelöst worden. Diese Pläne geben für eine Woche, manchmal für zwei, vor, was alles vom Schüler bearbeitet werden soll.

In diesem Rahmen bestimmt das Kind dann selbst, was es sich wann vornimmt. Ab 15 Uhr beginnen die AGs. Es gibt Kooperationen mit der Musikschule, dem örtlichen Sportverein oder einem bildenden Künstler. Im Schulgarten wird unter Anleitung mit Helm und Seil auf Bäumen geklettert, in der Holzwerkstatt geschnitzt oder in der Turnhalle getrommelt.

Während Helena und Nils im Schülerparlament zum nächsten Thema überleiten, wird im Raum gegenüber gepaukt. Deutsch steht auf dem Plan. Aktuell besuchen 20 nach Deutschland geflüchtete Kinder die GGS Knittkuhl. Die meisten von ihnen wohnen in der Unterkunft an der Blanckertzstraße. „Als wir Ende 2015 die ersten Kinder aufnahmen, hat uns das vor eine große Herausforderung gestellt“, erinnert sich Antje Grüneklee.

Ein pensionierter Realschullehrer aus Knittkuhl habe aber sofort seine Hilfe angeboten und von Beginn an intensiv mit den Schülern Deutsch gelernt. Bis heute kommt Wolfgang Gruß täglich für zwei Stunden zu Fuß zur Schule am Mergelsberg spaziert, um mit den Kindern zu üben. Zweieinhalb Jahre lang machte er das ehrenamtlich, mittlerweile ist er angestellt . Warum der 75-Jährige damals wie heute vollen Einsatz zeigt, weiß er kurz und knapp zu beantworten: „Einmal Lehrer, immer Lehrer.“

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