Stadt-Teilchen Das Fenster ist die Mattscheibe, draußen läuft der Film

Düsseldorf · Ein Leben ohne schöne Cafés ist möglich, aber wenig sinnvoll. Eine Beobachtung.

 Eine Momentaufnahme im Café: links grün, rechts gelb. Jetzt lässt sich gut plaudern.

Eine Momentaufnahme im Café: links grün, rechts gelb. Jetzt lässt sich gut plaudern.

Foto: ja/Hoff

Es ist nur eine Momentaufnahme. Links grün, rechts gelb. Ein Morgen im Café. Ein sorgenloser Moment. Noch ist der Tag nicht alt, noch ist nichts zu tun. Natürlich kommt da noch was. Aber jetzt ist erst einmal nichts. Café-Zeit. Einfach vor sich hin dösen. In die Gegend schauen und plaudern.

Plaudern ist Luxus. Mal so hören, wie es dem Gegenüber geht, erzählen, was so vorgefallen ist in der Zeit, in der man einander nicht gesehen hat. Zeit verplempern. Einfach nichts anderes tun außer dem, was einem gerade einfällt.

 WZ-Kolumnist

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Foto: NN

Es sind die großen Momente des Lebens, wenn man sich trifft in einem Café und rumplempert. Wenn man gemeinsam aus dem Fenster schaut, Menschen beobachtet und kommentiert, was die so machen.

Da ist der Mann, der so wackelig geht, bei dem man Angst bekommt, dass er es nicht über die Ampel schaffen könnte, weil er so langsam ist. Er schafft es auch nicht. Schon in der Mitte der Straße springt die Fußgängerampel auf Rot. Müssen wir jetzt aufspringen und helfen? Nein, die Autos warten einfach, bis der wackelige Mann die andere Seite erreicht hat. Niemand motzt, niemand hupt.

Es wirkt fast, als breite sich die im Café herrschende Entspannung aus, als nähme sie auch den Menschen da draußen die Eile, den Zwang, den Druck. Niemand scheint etwas wirklich zu müssen. Es sind jene Momente, in denen sich die urbane Zeit bis zum Zerreißen dehnt und dann doch nicht reißt.

Das ist das Schöne an der Großstadt, dass es diese Cafés gibt, in denen man hocken und schauen kann. Und wenn das mit dem Schauen durch ist, dann guckt man eine Weile, bevor man irgendwann wieder ins Schauen verfällt. Man könnte das auch fernsehen nennen, wäre dieser Begriff nicht so negativ besetzt von der paralysierenden Glotze. Nun ist das Café-Fenster die Mattscheibe, und was sich draußen abspielt, ist der Film, die hippe Serie, die packende Dokumentation. Live.

Auf dem Land würde das so nie funktionieren. Da schaute man aus dem Fenster, und draußen passierte - exakt nichts. Vielleicht würde mal ein Vögelchen von rechts nach links flattern, und in der Ferne drehte sich ein Windrad, aber in Wahrheit geschieht  auf dem Lande meistens einfach nichts.

Da hat man es im vermeintlichen Moloch Stadt doch so viel besser, denn erst, wenn es draußen braust und tost und durcheinandergeht, wird es drinnen so richtig schön. Auf dem Land müsste man auf einen Sturm warten, der ein bisschen die Bäume biegt, aber hier in der Stadt ist immer was los, rund um die Uhr. Da rattert die Straßenbahn, da kehrt jemand die Straße, da lärmen Schulkinder, da trägt irgendwer eine lustige Mütze.

Am schönsten ist es am Vormittag, in dieser blauen Stunde für Freiberufler, schwänzende Schüler oder für Menschen mit viel Tagesfreizeit. Die können hier genießen, die Zeit plätschern hören und sich einen Kaffee nach dem anderen zuführen, bis der Blutdruck „poch poch“ an der Schädeldecke macht.

Dann wird umgestiegen auf andere Heißgetränke. Sie bestellt eine frische Minze, er Ingwer mit Orange. Und dann stehen sie da, diese beiden heißen Verheißungen. Man weiß in diesem Café, wie man sie serviert. Unten drunter ein Serviettchen, und in jedem Glas steckt akkurat ein Löffel.

So wie sie da stehen, diese beiden Gläser, möchte man sie eigentlich gar nicht anrühren. Sie wirken wie eine künstlerische Komposition, nur zum Anschauen, nicht zum Einverleiben. Sie ziehen kurz alle Aufmerksamkeit auf sich, sie bilden den Mittelpunkt.

Aber dann passiert wieder etwas jenseits der Scheibe, dann ist wieder Aufregung auf der Straße. Ein Krankenwagen rauscht vorbei, und sofort will der Geist wissen, wo der wohl hinfährt, was wohl passiert ist, wem es da gerade schlecht geht. Es folgt ein Mensch, der Autos anschaut, fotografiert, sich etwas notiert und dann die Scheibenwischer der Gefährte mit Zettelchen verziert. Auch das ist Stadt, auch das ist eine Betrachtung wert.

Warum? Das weiß hier keiner. Und genau das ist das Schöne an dieser blauen Stunde im Café, dass für kurze Zeit nichts eine Rolle spielt außer dem, was sich dem Geist gerade aufdrängt. Und selbst das spielt schon Sekunden später keine Rolle mehr, weil sich etwas anderes ins Sichtfeld schiebt, weil man vielleicht heimlich lauscht, was da am Nachbartisch verhandelt wird.

Im Prinzip darf hier jeder wieder Kind sein und sich eine extrem kurze Aufmerksamkeitsspanne gönnen. Hin und her schweifen, die Augen rollen, und dann, wenn es an der Zeit ist, am immer noch heißen Getränk nippen.

Natürlich ist damit das eben noch zum Kunstwerk erklärte Glas-Ensemble unwiderruflich zerstört. Aber was macht das schon? Es wird bald mal wieder ein neues Ensemble geben. Dann vielleicht eines mit Grün rechts und Gelb links.

Alles ist möglich in der Café-Zeit, und wenn man mal ganz ehrlich ist, dann erscheint ein Leben ohne schöne Cafés möglich, aber wenig sinnvoll. Café-Zeit ist Luxus, und wenn sich das regelmäßig alle gönnen würden, wenn sich das alle leisten könnten, dann wäre diese Welt möglicherweise ein besserer Ort.

Gehen Sie wieder mal ins Café, vertrödeln Sie ihre Zeit. Sie haben mehr davon als Sie denken. Und wenn sie dann beim Verplempern von Momenten etwas übermütig werden, dann machen Sie mal was ganz Verrücktes und bestellen Sie sich zwei Gläser nur für sich. Ein gelbes Glas und ein grünes Glas, und dann nippen Sie abwechselnd an den Köstlichkeiten und freuen sich über die Geschmackserlebnisse.

Und dann, wenn Sie genug getrödelt haben, dann gehen Sie raus und überreden jemanden, sich auch mal eine Café-Zeit zu gönnen. Das Heißgetränke-Ensemble wartet schon.

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