Stadt-Teilchen Besuch in einer Straße, die keinen Anfang hat

Düsseldorf · Das Ende der Lindenstraße findet zum Glück nur im Fernsehen statt.

 Wie imposante Trutzburgen wirken manche Gebäude an der Lindenstraße.

Wie imposante Trutzburgen wirken manche Gebäude an der Lindenstraße.

Foto: ja/Hoff

Was habe ich mich erschreckt, als ich im vergangenen Jahr die Schlagzeile „Aus für Lindenstraße“ lesen musste. Sofort baute sich vor meinem geistigen Auge die Frage auf, warum man denn diese wunderbare Straße in Flingern zumachen wolle, warum dieses wunderbar geschlängelte Stück Urbanität ein Ende haben soll. Ich war der Ohnmacht nahe.

Natürlich wurde ich rasch wieder wach und nahm zur Kenntnis, dass es nur um die Seifenoper im Fernsehen geht. Die soll es nach dem März nicht mehr geben, und nach der Ansicht von ein paar aktuellen Folgen kam ich rasch zu dem Schluss, dass es nicht von Schaden sein wird, wenn ich fürderhin nichts mehr aus dem Mutter-Beimer-Kosmos erfahre, wenn ich nicht mehr mitbekomme, was sich auf diesem letztlich doch sehr kurzen Stück Straße abspielt, das laut Drehbuch in München liegen soll, in Wahrheit aber in Köln-Bocklemünd aufgebaut ist.

 Der unschöne Beginn der Lindenstraße ... 

Der unschöne Beginn der Lindenstraße ... 

Foto: ja/Hoff

Im Prinzip wollte man dort immer die deutsche Durchschnittlichkeit abbilden, packte aber so ziemlich alle Furchtbarkeiten, die diese Welt zu bieten hat, auf diese rund 150 Meter vorgetäuschte Großstadt. Lindenstraße, das sollte das Abbild von überall sein, also auch ein Abbild der Düsseldorfer Lindenstraße.

 ... und das ist die Lindenstraße in Gold.

... und das ist die Lindenstraße in Gold.

Foto: ja/Hoff

Was für eine Beleidigung! Mit Sicherheit sind in meiner Lebenszeit in der Düsseldorfer Lindenstraße weniger Morde passiert als in der Seifenoper-Straße in 35 Jahren. Außerdem ist die Lindenstraße in Düsseldorf mit ihren hochgewachsenen Bäumen schon rein optisch um 2000 Prozent schöner als das Kulissenmonstrum in Köln mit seinen Mickergewächsen.

 WZ-Kolumnist

WZ-Kolumnist

Foto: NN

Um es mit der Vielfalt in der echten Lindenstraße aufnehmen zu können, müssen andere Straßen sehr früh aufstehen. Was es hier nicht alles gibt. Jede Menge Kramläden finden sich und putzige Cafés voller Menschen, die nicht dauernd so griesgrämig gucken wie die im Fernsehen. Es gibt Vegetarisches und Deftiges im Restaurantbereich, es gibt was für Kinder und einen wunderbar antiquiert wirkenden Buchladen, der sich in einer Art Baracke zwischen die imposanten Häuser der Umgebung duckt.

Man kann absehen, dass es für die Buchstation da über kurz oder lang Schwierigkeiten geben dürfte, denn dass dieser schöne Teil von Flingern im Prozess der Gentrifizierung schon ziemlich weit vorne liegt, ist unübersehbar. Man wohnt hier gerne wegen der Vielfalt, aber die Vielfalt schwindet, wenn alle dort wohnen wollen, wo die Vielfalt ist. Dann machen die kleinen Läden zu und müssen teuren Wohnungen weichen.

Eine Inspektion der Lindenstraße zeigt das sehr deutlich. Nicht nur sind hier weite Teile der Straße von Kriegsschäden verschont geblieben, es weisen die meisten der verbliebenen Bauten auch einen hohen Pflegestandard auf. Es gibt vielfach satte Farben, feinen Stuck, und an einem Haus hat man die Außenverzierungen gar mit Goldfarbe veredelt, wohl um zu zeigen, dass es den Bewohnern gerade nicht so wirklich schlecht geht.

Erstaunlich viele imposant-wuchtige Eckbauten finden sich auch, also Häuser, die gleich zwei Straßen beherrschen und teilweise wirken wie Trutzburgen, die über den Straßenverkehr wachen. Sie sehen so aus, als habe hier schon früher der Wohlstand gewohnt, als würde man die Zahl der Wohnquadratmeter eher im dreistelligen als im zweistelligen Bereich angeben.

Man wohnt auf der Lindenstraße offenbar mit viel Selbstbewusstsein. Es finden sich viele gute Adressen auf den rund 1,8 Kilometern, die man zurücklegen muss, wenn man bei den hohen Nummern an der Grafenberger Allee loslegt und dann nach einigen Windungen am Anfang der Lindenstraße in die Birkenstraße biegt.

Allerdings ist das mit dem Anfang auf der Lindenstraße so eine Sache. Die Lindenstraße hat nämlich keinen. Sie beginnt mittendrin, startet quasi aus dem Nichts und legt gleich mit den Hausnummern 34 und 45 los.
Die zugehörigen Häuser transpirieren dazu die zweckmäßige Schmucklosigkeit von achtlos Dahingeworfenem. Fast so wie in der Serie. Mir war das bislang nicht bewusst. Natürlich konnte ich die Karnevalsweisheit herunterbeten, dass alles ein Ende und nur die Wurst zwei hat, aber dass eine Straße einfach keinen Anfang haben soll, war mir neu.

Ich habe dann ratlos ein paar Anlieger befragt, die es aber auch nicht so genau wussten und vermuteten, dass die Lindenstraße früher möglicherweise weiter in Richtung Worringer Straße reichte, dass dann aber irgendwann im wahrsten Wortsinne die Bahngleise dazwischenkamen und den Anfang der Lindenstraße einfach verschluckten.

So kommt es, dass in der Lindenstraße ausgerechnet jene Nummern fehlen, die in der Fernsehausgabe eine gewichtige Rolle spielen.
Dort ist die Lindenstraße Nummer drei ein Dreh- und Angelpunkt. Was wurde dort nicht schon gestritten, geweint und verzweifelt, gemordet und gelogen. Folgt man der Bilanz der Serienmacher, dann ist die Lindenstraße drei ein ganz schöner Moloch gewesen, und die Düsseldorfer können ganz froh sein, dass ihnen diese Nummer fehlt. Das Leben ist eben keine Fernsehshow. Glücklicherweise.

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