Stadt-Teilchen Meine Kultur. Meine Heimat. Mein Aldi

Düsseldorf · Es geht ein Riss durch Deutschland und Düsseldorf ist Zonenrandgebiet.

 So unterschiedlich kann die Einkaufswelt des Nordens und des Südens aussehen, wie schon an diesen Tüten erkennbar ist.

So unterschiedlich kann die Einkaufswelt des Nordens und des Südens aussehen, wie schon an diesen Tüten erkennbar ist.

Foto: Hans Hoff

Es wird in diesem Jubiläumsjahr ja viel berichtet über die Mauer, die 1989 fiel. Was waren das für besondere Tage damals im November. Ich weiß noch, wie ich bei einem Freund in der Stresemannstraße zu Besuch war und wir irgendwann durch einen Telefonanruf mitbekamen, dass da in Berlin etwas Ungewöhnliches passierte. Es gab dann im Fernsehen Bilder von einer Pressekonferenz, wo ein Regierungssprecher der DDR gefragt wurde, wann die gerade bekanntgewordenen Reiseerleichterungen für DDR-Bürger denn in Kraft träten. Er antwortete leicht unsicher: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Die Mauer war plötzlich durchlässig geworden. Weg war sie noch nicht, aber sie hatte Risse bekommen. Es dauerte danach nicht mehr lange, da war die Zweiteilung Deutschlands Geschichte.

Daran musste ich kürzlich denken, als mir auffiel, dass Deutschland trotzdem immer noch zweigeteilt ist. Nicht die bei den jüngsten Wahlen bestätigte Zweiteilung in den Köpfen war es, die meine Gedanken beschäftigte. Nein, es war ein Riss, der quer durchs Land geht, der den einen Teil meiner Heimat von dem anderen abteilt und deutlich macht, dass es hier anders ist als drüben. Und Düsseldorf liegt direkt an der Risskante, an dieser Grenze, die sich quer durchs Land zieht. Düsseldorf ist sozusagen Zonenrandgebiet.

Die Rede ist natürlich von der Teilung in Aldi Nord und Aldi Süd. Das was die Gebrüder Albrecht einst vereinbarten, um ihre Geschäfte zu trennen, hat immer noch Bestand und prägt die örtliche Kultur mehr als mancher wahrhaben will. Kultur spiegelt ja den Stil unseres Lebens, und der wird unter anderem geprägt von dem, was wir konsumieren.

Düsseldorf ist Aldi Süd, klar umrissene Discounter-Zone. Aber das andere Land ist nie ganz weit. In Haan beispielsweise wird schon bei Aldi Nord eingekauft, obwohl Haan ja strenggenommen nicht nördlich liegt, sondern eher südöstlich. Aber da ist immerhin noch Hilden dazwischen, das als letzte Bastion zum Südbereich zählt und eine Art Brückenkopf der hiesigen Konsumentenkultur bildet. Direkt an der Grenze liegt allerdings der Nordosten unserer Stadt, jener Teil Düsseldorfs, in dem man nicht weit fahren muss, um in diese andere Kultur einzutauchen.

Ich habe das neulich getan und bin immer die Bergische Landstraße hinauf gefahren. So lange gefahren, bis ich auf den Schildern Düsseldorfer Straße lesen konnte und der Weg mich geradewegs nach Mettmann hineinführte. Kurz danach bin ich dann noch zweimal links abgebogen, und am Steinesweg tat sich dann die mir fremde Welt auf. Dort liegt sie, die aus Düsseldorfer Sicht erste Filiale von Aldi Nord, also jene exotische Welt, in der früher wahrscheinlich auch der Neandertaler eingekauft hätte, wenn es Aldi damals schon gegeben hätte.

Es ist ein schmuckloser Backsteinbau, keiner, mit dem sich ästhetisch protzen ließe. Man sieht dem Gebäude die Zweckmäßigkeit an, die hier beim Bau eindeutig vor Schönheit ging. Auf dem Parkplatz erblicke ich jede Menge Autos mit Düsseldorfer Kennzeichen. Drinnen erwarte ich, meine alten Urteile bestätigt zu bekommen. Ich kenne Aldi Nord von Reisen aus früheren Zeiten, als bei Aldi Süd schon behutsam modernisiert wurde. Da war Aldi Nord oft noch ein Palettenparadies, wo einfach hin gekippt wurde, was man loswerden wollte. Hauptsache billig. Der Kunde kaufte schon.

Nachdem allerdings andere Ketten den Ruf des Billigheimers übernommen haben, hat man sich bei Aldi schick gemacht. Bundesweit. Im Norden wie im Süden. Ich merke das gleich, als ich die Nordfiliale betrete und notiere, dass man hier Zeitungen erwerben kann. Die gibt es in meinem Süd-Aldi nicht. Ich vermerke auf meinem Notizblock, dass der Brötchenknast, wo Backwaren hinter Gittern gehalten werden, einen ordentlichen Eindruck macht. Auch ansonsten geht es sehr gepflegt zu. Wo früher eine gewisse Hemdsärmeligkeit herrschte, bemüht man sich nun, auch die ästhetischen Bedürfnisse der Kunden einigermaßen zu befriedigen. Ich glaube, selbst der Neandertaler würde sich die Haare machen, bevor er hier shoppen ginge.

An einem Grabbeltisch stoße ich dann auf einen Herren meines Alters, der gerade in Latschen wühlt und telefoniert. Offenbar mit der Gattin. „Ich stehe hier gerade bei Aldi Nord. Brauchen wir noch Aktiv-Sandalen?“ Doch, ich schwöre, das hat er gefragt. Er hat deutlich gesagt, dass er bei Aldi Nord ist, was natürlich auf seine Herkunft aus dem anderen Teil Deutschlands deutet. Ich nehme das als Beleg für meine These, dass es eine Art Einkaufstourismus gibt. Man kann ja im Internet prima die jeweiligen Angebote der Konkurrenten ausforschen und sich dann gegebenenfalls entscheiden, auch mal eine längere Tour anzutreten.

Draußen auf dem Parkplatz sehe ich den älteren Herren dann in eines der Autos mit dem D-Kennzeichen einsteigen. Wusste ich es doch. Ich ergoogele noch schnell die nächste Heimatfiliale und gebe das Kölner Tor in Gerresheim ins Navi ein. Das ist immerhin zehn Kilometer weit weg. Man hat also ein bisschen Zeit, sich von der einen Kultur zu lösen und in die andere einzutauchen.

Immer die B7 entlang geht es, über die A3 hinweg, die auf ihre Weise ja auch eine Art Grenze bildet. Ich rolle runter nach Gerresheim und öffne das Fenster, um wieder Heimatluft zu inhalieren. Ah, Düsseldorf. Aldi-Süd-Land. „Hört her, ich komme aus der Ferne“, möchte ich den Menschen im Vorbeifahren zujubeln, aber ich lasse es natürlich, weil es albern wäre. Es zeigt mir, wie sehr ich auf Vertrautes aus bin, wie fragil ich werde, wenn ich mich dem Anderen schutzlos ausliefere.

Ich atme tief ein, als ich an der Filiale am Kölner Tor vorfahre. Endlich, Aldi-Süd. Mein Aldi. Meine Kultur. Meine Heimat. Nun ist die Kölner-Tor-Filiale eine, die sichtbar an ihrer Innenstadtteillage leidet und aufgrund der örtlichen Enge ein bisschen Großzügigkeit vermissen lässt. Hätte man mir beide Filialen im Blindtest vorgeführt, hätte ich sie für eine Aldi-Nord-Filiale gehalten. Aber Vorurteile sind nun mal dazu da, revidiert zu werden.

Ich notiere, dass etliche Marken ähnlich oder gar gleich sind. In beiden Ketten gibt es bei meiner Visite Duschwandabzieher für 4,99 Euro. Zufall? Sollten die beiden Welten sich näher sein, als die Kunden ahnen? Gibt es den Riss durch Deutschland möglicherweise schon längst nicht mehr und das Märchen von den getrennten Reichen der Brüder ist eines aus der Vergangenheit? Muss Düsseldorf dann möglicherweise bald die Zonenrandförderung zurückzahlen, die der Bund an Gemeinden verteilt, die nahe der Grenze angesiedelt sind? Müssen Verbraucherschützer demnächst die Vielfalt der unterschiedlichen geschäftlichen Ausrichtungen als Mittel gegen die Entindividualisierung der Konsumwelt anmahnen? Oder wird alles besser, wenn es überall auf der Welt in allen Filialen die gleichen Duschwandabzieher gibt?

Es sind Fragen, die mich ratlos zurück lassen. Werde ich dereinst vor dem Fernseher sitzen und hören, wie in der Glotze jemand verkündet, dass Aldi-Nord und Aldi-Süd sich vereinen? Wird der Sprecher dann auf die Nachfrage, wann das in Kraft trete, sagen: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Historische Tage stehen bevor. Ich fühle das.

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