Kolumne Düsseldorf als Straßenpate zwischen Köln, Las Vegas und Töging am Inn

Düsseldorf · Warum Düsseldorf, die siebtgrößte Stadt Deutschlands, im deutschen Straßennamenranking nur auf Platz 35 steht. Wo in der Welt es Straßen gibt, die „Düsseldorf“ im Namen tragen. Und wie Düsseldorf bei den Straßennamen das „Toleranz-Duell“ gegen Köln gewinnt.

Auch in Berlin gibt es eine Düsseldorfer Straße - im Stadtteil Wilmersdorf.

Auch in Berlin gibt es eine Düsseldorfer Straße - im Stadtteil Wilmersdorf.

Foto: Sebastian Brück

Düsseldorf. Weil mein bester Freund P. eine Datenkrake ist, tentakelt diese Geschichte um 73 deutsche Straßen, die allesamt „Düsseldorfer Straße“ heißen. Sie beginnt — das kann man sich nicht ausdenken — am Kölner Weg in Düsseldorf. Dieser Kölner Weg, von dem die meisten Düsseldorfer noch nie gehört haben, befindet sich im Süden der Stadt. Er ist Teil einer wunderschönen und nicht zu langen Joggingstrecke durch den Himmelgeister Rheinbogen — ein Naturschutzgebiet, gesäumt von Ackerflächen, Pappelreihen und Kopfweidenwiesen. Seit vier Wochen laufen mein bester Freund P. und ich hier eine Fünf-Kilometer-Strecke. Dienstagmorgens, vor der Arbeit. Denn so haben wir keine Entschuldigung, den Termin ausfallen zu lassen. Start- und Endpunkt: der „Parkplatz an der Jücht“.

Als wir bei der Premiere unserer wöchentlichen Laufrunde den für Autos gesperrten Teil des Kölner Wegs entlang und an den beiden jahrhundertealten Libanonzedern vorbeilaufen, stellt mein bester Freund P. die Frage, ohne die dieser Text nie entstanden wäre: „Warum heißt der Kölner Weg eigentlich Kölner Weg?“

Und ich antworte: „Vermutlich, weil er nach Köln führt, zumindest der Richtung nach.“

Und P. sagt: „Gerechterweise müsste es in Köln als Gegenstück einen Düsseldorfer Weg geben.“

Und als wir nach einer guten halben Stunde wieder am Parkplatz ankommen, greift er sofort zum Smartphone und findet nach ein paar Sekunden das passende Verzeichnis: strassen-in-deutschland.de.

Dass ich meinen besten Freund eben „Datenkrake“ genannt habe, ist übertrieben, ja sogar ein bisschen gemein. Treffender wäre: P. ist ein Mensch, der gerne Daten sammelt, um daraus Statistiken zu erstellen.

„Natürlich haben die Kölner keinen Düsseldorfer Weg“, konstatiert P. „Aber immerhin haben sie eine Düsseldorfer Straße, die von Köln-Mülheim Richtung Leverkusen — also im Endeffekt Richtung Düsseldorf — führt.

„Wie gnädig“, sage ich. Und dann schlage ich etwas vor, das meinem statistikaffinen Freund P. vermutlich ohnehin durch den Kopf schwirrt: „Du könntest ja mal rausfinden, welche Städte in Deutschland sonst noch eine Düsseldorfer Straße haben.“

P. schaut auf die Uhr, grinst sein ironisches P.-Grinsen, sagt „gute Idee, wird gemacht, ich muss los“ und schwingt sich aufs Rennrad.

Einen Dienstagmorgen später präsentiert mein stets mit dem Rennrad an- und abreisender Freund während unserer Laufrunde erste Namenspaten-Ergebnisse: In Ratingen und in Chemnitz gebe es einen Düsseldorfer Platz und in Holzwickede bei Dortmund einen Düsseldorfer Weg, den einzigen Düsseldorfer Weg Deutschlands übrigens. Auch je einmal vertreten seien die Düsseldorfer Landstraße, nämlich in Duisburg, und der Düsseldorfer Ring im 4000-Einwohner-Städtchen Amorbach im bayerischen Odenwald.

Ich bin überrascht: „Ein Düsseldorfer Ring in der bayerischen Provinz?“

„Unterfränkische Provinz“, korrigiert P. „Warum das so ist, musst du bis nächste Woche selbst rausfinden. Du bist hier schließlich der Journalist, nicht ich!“

Mein in der Werbebranche arbeitender Freund P. legt nach: Es gebe insgesamt 73 Mal eine „Düsseldorfer Straße“ in Deutschland, inklusive der Düsseldorfer Straße in Düsseldorf-Oberkassel. Von diesen 73 Düsseldorfer Straßen läge mehr als die Hälfte in Nordrhein-Westfalen, was bei einer NRW-Landeshauptstadt kaum verwunderlich sei. Von den restlichen „Düsseldorfer Straße“-Treffern seien wiederum neun in Bayern, acht in Hessen, sieben in Niedersachsen, fünf in Baden-Württemberg sowie je einer in Bremen, Berlin, Sachsen, Brandenburg und Rheinland-Pfalz zu verzeichnen.

P. hat offenbar Geschmack an dem Thema gefunden, will es weiterverfolgen. Seine Mission bis zu unserer nächsten Laufrunde: Ermitteln, welche deutschen Großstädte die erfolgreichsten Namensgeber für Straßennamen sind. So viel könne er übrigens nach der Vorrecherche schon mal verraten, verkündet P.: Für das städterankingverwöhnte Düsseldorf sehe es dabei eher schlecht aus.

Während P. ein bedeutungsschwangeres Gesicht aufsetzt, sage ich: „Deine Straßennamenhitliste wäre aber auch eher etwas für die Abteilung unnützes Wissen, oder?“

„Unnützes Wissen macht manchmal viel Spaß und ist oft interessant“, entgegnet P. Und dann verrät er mir exklusiv ein Detail, das er bereits recherchiert hat: „Von den 20 einwohnerstärksten Städten Deutschlands haben alle eine Düsseldorfer Straße — außer Hamburg, Leipzig, Bochum, Hannover und Münster.“

Noch einen Dienstagmorgen später eröffnet mein straßennamenbesessener Freund P. unsere Laufrunde auf Höhe der Libanonzedern erneut mit einer Frage: „Hast du herausgefunden, warum Amorbach in Unterfranken einen Düsseldorfer Ring hat?“

Ich erzähle P., wie ich des Rätsels Lösung in einem online verfügbaren Artikel aus dem „Main Echo“ gefunden habe: Diesem zufolge wurden im Zweiten Weltkrieg zwischen 1940 und 1945 rund 40.000 Frauen und Kinder aus Düsseldorf zeitweise in kleinere Städte Unterfrankens evakuiert. Neben Amorbach unter anderen auch noch Wörth am Main und Marktheidenfeld, die passenderweise heute beide eine Düsseldorfer Straße haben. Für die rheinischen Gäste wurden damals sogar Barackensiedlungen erbaut, und noch bis in die 1960er Jahre hinein gab es in Klingenberg und Amorbach eine „Düsseldorfer Siedlung“.

P. macht während des Laufens ein Daumen-Hoch-Zeichen, wirkt aber trotz meiner durchaus erstaunlichen Informationen keineswegs überrascht. Wahrscheinlich hat er den Artikel schon selbst gefunden und gelesen. Bevor er nach dem Joggen per Rennrad entschwindet, drückt P. mir einen Ausdruck in die Hand: Er hat bei strassen-in-deutschland.de nachgezählt, wie häufig die insgesamt 80 deutschen Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern, die Großstädte also, Pate für Straßennamen gestanden haben: „Kannst du dir nach der Arbeit in Ruhe zu Hause anschauen.“

P.'s Straßennamenfieber steckt mich an. In den folgenden Tagen studiere ich immer wieder seine Top-Liste. Fazit: Wenn eine Stadt viele Einwohner hat, bedeutet das nicht notwendigerweise, dass sie auch als Namenspate gefragt ist — und andersherum. Eine Berliner Straße gibt es bundesweit 961 Mal — das bedeutet Platz 1. Schon auf Platz 2 folgt die erste Überraschung: Die Dresdner bzw. Dresdener Straße kommt auf 480 Treffer, obwohl Dresden bei der Einwohnerzahl lediglich auf Rang 12 steht. Überhaupt ist Ostdeutschland in den Top10 erstaunlich stark vertreten, außerdem mit der Leipziger Straße (465 Treffer, Platz 3), der Erfurter Straße (231, Platz 6), der Magdeburger Straße (215, Platz 7) und der Rostocker Straße (185, Platz 8). Wahrscheinlich ist das so, weil nach der Wiedervereinigung viele ostdeutsche Straßen neu benannt wurden. Während die viertgrößte Stadt Köln mit 166 Kölner Straßen auf Platz 10 landet, liegt Düsseldorf, die siebtgrößte deutsche Stadt, mit 73 Düsseldorfer Straßen abgeschlagen auf Platz 35.

Man könnte jetzt fragen: Ist die Landeshauptstadt Düsseldorf bei Straßennamengebern weniger beliebt als Köln? Und: Warum schneiden andere große NRW-Städte wie Dortmund und Essen noch schlechter ab? Seriös könnte das wohl nur ein Straßennamenwissenschaftler beantworten. Was mich erst mal viel mehr interessiert: Gibt es auch im Ausland Straßen, bei denen Düsseldorf Namenspate ist? Ich beginne zu recherchieren — und bin verblüfft …

Als ich am nächsten Dienstagmorgen meinem besten Freund und Laufpartner P. auf Höhe der Libanonzedern berichten möchte, was ich herausgefunden habe, bremst er mich aus: Er sei jetzt durch mit dem Thema, ich solle die neuen Infos lieber für mich behalten, am besten einen Artikel dazu schreiben, den könne er dann ja lesen.

Eine typische P.-Marotte: Zunächst geht er komplett in einer Aufgabe auf, und wenn sie aus seiner Sicht erledigt ist, hakt er sie komplett ab, will nichts mehr davon wissen. Ich hätte ihm gerne erzählt, dass man von der österreichischen 891-Einwohner-Gemeinde Elbigenalp aus über einen Düsseldorfer Weg den 2657 Meter hohen Großen Krottenkopf besteigen kann. Oder dass es in Wien eine Düsseldorfstraße gibt, die zuvor Düsseldorfer Straße hieß und ihren Namen 1922 aus Dank für die Hilfe der Stadt Düsseldorf nach dem Ersten Weltkrieg erhielt. Vielleicht hätte P. sich gewundert, dass es in den USA eine ganze Reihe von „ü“-losen Straßen gibt, bei denen unsere Heimatstadt Pate stand — von der Dusseldorf Avenue in Palm Bay, Florida über den Dusseldorf Square in Bethlehem, Pennsylvania und den Dusseldorf Drive in Evansville, Indiana über die schlicht und einfach „Dusseldorf“ benannte Straße in San Antonio, Texas bis hin zum Dusseldorf Way am Rande von Las Vegas.

Okay, es könnte sogar sein, dass P. schon mal davon gehört hat, dass es auch in Düsseldorfs britischer Partnerstadt Reading einen Düsseldorf Way gibt, sogar inklusive „ü“. Ganz sicher weiß P. aber nicht, dass in der Gemeinde Thouaré-sur-Loire in der Nähe von Nantes eine Rue de Düsseldorf das Gewerbegebiet durchquert. Ebenso wenig dürfte er wissen, dass man in einer Villengegend in den Bergen oberhalb von Altea an der spanischen Costa Blanca von dem in einer Sackgasse endenden Carrer Düsseldorf überrascht wird und in Vitoria-Gasteiz, der Hauptstadt des Baskenlands, an der Düsseldorf Kalea auf dem Parkplatz einer Aldi-Filiale halten könnte. Ja, sogar in Süd-Brasilien, nahe Porto Alegre könnte sich P. gleich zwei Mal eine Rua Dusseldorf anschauen: Die erste im Städtchen Nova Petrópolis misst gerade mal 50 Meter, liegt am Fuße eines grünen Hügels und ist von vier schicken Einfamilienhäusern bestandenen, die zweite in der Küstenstadt Tramandaí ist eher Schotterpiste als richtige Straße, kaum bebaut, von Windrädern gesäumt und nur 250 Meter vom Strand entfernt. Wo wir schon mal in Südamerika sind: Auch in Chile gibt es mit der Pasaje Dusseldorf ein passendes Sträßchen, in einem Wohngebiet im von deutscher Einwanderung geprägten Osorno im Süden des Landes. Die Dusseldorf Street in Namibias Haupstadt Windhoek könnte wiederum als Folge der Kolonialgeschichte so benannt worden sein. Die größte Überraschung, die P. verpasst, ist aber eine Straße namens „Dusseldorf“ in der südafrikanischen Stadt Benoni, östlich von Johannesburg.

Sehr gerne wäre ich all diese Infos losgeworden. Stattdessen sage ich zu meinem angeblich Düsseldorfer-Straße-müden Freund: „Du spinnst!“

Daraufhin er, mit Pokerface und plötzlich wieder zur Datenkrake mutierend: „Eine unfassbar wichtige Info habe ich aber noch für dich …“ Er deutet auf die vor uns liegende, parallel zum Deich verlaufende Strecke. „… wo wir hier gerade auf dem Kölner Weg Richtung Köln laufen …“ Und dann legt P. los. Kernfrage seines Monologs, der bestimmt 100 Meter dauert: Welcher der beiden Rivalen vom Rhein kann mehr vom Konkurrenten inspirierte Straßennamen aufbieten? Die Antwort: Köln habe lediglich die Düsseldorfer Straße, Düsseldorf hingegen neben dem Kölner Weg auch noch die Kölner Straße, die Kölner Landstraße und das Kölner Tor.

„Bundesligareifer 4:1-Sieg für Düsseldorf“, bilanziert P., lächelnd.

„Die meisten Kölner würden die Treffer genau anders herum zählen“, sage ich.

„Mag sein, aber dann wäre es kein Toleranz-Duell mehr“, sagt P.

Ohne dass es geplant ist, hört sich unser anschließendes Lachen fast so an wie das Schluss-Lachen bei den drei ???-Hörspielen, ein wenig gespielt, und weil wir das sofort merken und lustig finden, geht „gespielt“ nahtlos in „richtig“ über. Verdammt anstrengend ist das: gleichzeitig zu lachen und zu laufen.

Als wir uns ein wenig außer Atem gerade wieder dem Parkplatz nähern, schlägt mein bester Freund P. eine Blog-Idee vor: „Wir reisen durch Deutschland und die Welt und besuchen dabei alle Straßen, bei denen Düsseldorf Namenspate gewesen ist. Du schreibst die Geschichten dazu auf, ich fotografiere.“

„Klingt gut“, sage ich. „Und das Blog nennen wir dann Düsseldorfer Straßen.“

„Ich wollte schon immer mal nach Süd-Chile und nach Süd-Brasilien“, sagt P.

„Wie jetzt!“, sage ich im Ironie-Modus. „Woher willst du denn wissen, dass es da überhaupt passende Straßen gibt?“

„Tja“, sagt P. „Es soll tatsächlich Leute geben, die mich die Datenkrake nennen.“ „Was du nicht sagst!“ Ich tue erstaunt. „Zu dumm, dass es zwei Dinge gibt, die das Projekt verhindern werden: Zeit und Geld.“

„Lass uns doch in Töging am Inn in Süd-Deutschland anfangen, die haben auch eine Düsseldorfer Straße,“ schlägt P. unbeirrt vor.

„Das klingt mir zu exotisch“, sage ich.

Seitdem haben wir nie wieder über das Thema geredet.

Der Blog "Düssel-Flaneur" ist hier zu finden.

1. Berliner Straße: 961 (Platzierung gemessen an der Einwohnerzahl: 1)
2. Dresdener bzw. Dresdner Straße: 480 (12)
3. Leipziger Straße: 465 (10)
4. Frankfurter Straße: 269 (5)
5. Münchener bzw. Münchner Straße: 234 (3)
6. Erfurter Straße: 231 (38)
7. Magdeburger Straße: 215 (31)
8. Rostocker Straße: 185 (39)
9. Bremer Straße: 182 (11)
10. Kölner Straße: 166 (4)
11. Nürnberger Straße: 163 (14)
12. Hamburger Straße: 162 (2)
13. Potsdamer Straße: 160 (44)
14. Mainzer Straße: 150 (36)
15. Stuttgarter Straße: 145 (6)
16. Chemnitzer Straße: 143 (29)
17. Würzburger Straße: 129 (58)
18. Augsburger Straße: 125 (23)
19. Trierer Straße: 116 (75)
20. Jenaer Straße: 110 (73)
(...)
35. Düsseldorfer Straße 73 (7)
(...)
61. Neusser bzw. Neußer Straße: 29 (54)

Die Methode: Großstädte in Deutschland, die bundesweit am häufigsten als Namenspate vertreten sind. Erstellt auf Basis der bei www.strassen-in-deutschland.de verfügbaren Daten. Ausgewertet wurden die 80 Städte, die mehr als 100.000 Einwohner haben und somit offiziell als Großstadt gelten. Gezählt wurden nur die Treffer als „Straße“, nicht als Ring, Chaussee, Platz, Allee oder Weg. Liste

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