Düsseldorf Dix-Blätter aus einer Schublade

Die Galeristen Remmert und Barth entdeckten ein bisher verschollenes Bilderbuch eines der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts.

Düsseldorf: Dix-Blätter aus einer Schublade
Foto: Galerie

Düsseldorf. Die Galerie Remmert und Barth meldet eine Sensation: 14 großformatige Blätter von Otto Dix an seine kleine Stieftochter Hana, die 90 Jahre in den Schränken und Schubladen versteckt blieben. Hana scheute die Öffentlichkeit, denn sie hatte allzu viele Enttäuschungen in ihrem langen Leben (1920-2006) erfahren. Sie behielt die Werke von Dix bis an ihr Lebensende, liebevoll und äußerst vorsichtig von einem Fachmann eingebunden, so dass den Blättern nichts passierte. Niemand wusste davon, niemand hatte sie gesehen. Nun geht die Nachricht von dem Fund wie ein Lauffeuer durch die Kunstszene. Am Montag landeten die ersten betuchten Interessenten mit dem Flugzeug in Düsseldorf.

Hana war fünf Jahre alt, als sie das Buch 1925 erhielt. Es beginnt mit einem riesigen Füllhorn, auf dem süße, kleine, barocke Putten sitzen, die den Titel aus dem Horn stürzen lassen: „Bilderbuch für Hana“.

Die Bilder von Otto Dix sind lustig, zeugen von seinem genialen Zeichentalent. Vor allem in seinen Düsseldorfer Jahren (1922-1925) entdeckte und pflegte er seine Fähigkeiten für das Aquarell. Die Bremer Stadtmusikanten schauen wie Hyänen in ein gemütliches Wohnzimmer. Martha und Hans Koch, deren Tochter Hana ist, tauchen in Ritterrüstung auf, der Vater hält eine große Klistierspritze anstelle eines Schwertes in der Hand.

Hana ist das Burgfräulein im rosa Kleid und rotem Federhütchen. Bravourös sind die biblischen Geschichten, Daniel in einer furchterregenden Löwengrube, der heilige Antonius wie eine hagere Marionettenfigur, Jonas ein Stückchen rote Hose im großen Wal und die Sieben Todsünden als Gespenstersonate. Doch all diese Schätze blieben zu Hanas Lebzeiten versteckt.

Um Hanas Scheu zu verstehen, muss man die Familienverhältnisse kennen, die reif für einen Roman sind. Hana ist die Tochter des Düsseldorfer Urologen und Kunstfreunds Hans Koch, der mit seiner Ehefrau und Hanas Mutter Martha von 1918 bis 1920 das „Graphische Kabinett“ führte und die Avantgarde sammelte. Dix zog seinetwegen nach Düsseldorf und verliebte sich Hals über Kopf in Kochs Ehefrau.

Es entstand eine Patchwork-Familie. Koch ließ sich 1922 scheiden, weil er seinerseits in Marthas Schwester Maria verliebt war. Martha und Dix heirateten zehn Monate nach dieser Scheidung und nahmen ihre gemeinsame Wohnung auf dem Hindenburgwall, unweit der Galerie von Johanna Ey. Das Pärchen und spätere Ehepaar Dix nannte sich „Mutzli und Jimmy“.

Das Kuriosum: Kochs neue Ehefrau Maria zog Marthas Kinder auf, und Dix verschwand 1925 mit Martha nach Dresden und zog drei eigene Kinder auf. 1926 wurde er an der Elbe Professor an der Akademie der Künste. Zu Weihnachten gab es Post. So kam Hana, genannt Hanali, zu ihrem Bilderbuch.

Hana lebte also in der Familie ihrer Stiefmutter, besuchte das Lyzeum in Düsseldorf und danach die Klosterschule für höhere Töchter in Bad Reichenhall. Sie studierte an der damals berühmten Fachschule für Textilindustrie in Krefeld und heiratete einen Kölner Architekten, weil sie von ihm ein Kind bekam. Der berühmte Architekt verleugnete aber diese Tochter. So zog sie ihr Kind allein auf, erbte aber mit dem Tode ihres Vaters Hans Koch (1952) und mit dem Tode ihrer Mutter Martha die Hälfte der Restsammlung Koch.

Während ihr Bruder Martin den Kunsthandel bediente, soll Hana „wie eine Glucke“, so Galerist Peter Remmert, auf ihren Schätzen gesessen haben. Sie hatte allzu schlechte Erfahrungen mit dem Kunsthandel gesammelt. Die Düsseldorfer Galeristen aber sandten ihr regelmäßig Einladungen zu Vernissagen, die auch dem Vater Hans Koch als Sammler galten. Schließlich willigte sie ein und schickte ihre Tochter vor. Hana selbst tauchte nie auf.

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